Oft kommt es nicht vor, dass sich ein Filmemacher der Gegenwart mit seinem neuen Film den vielleicht mächtigsten Mann der Welt zum Feind macht. Ali Abbasi ist es mit seinem Trump-Film „The Apprentice“ gelungen. Jetzt ist er auf dem 21. Marrakech International Film Festival in der Jury. Und nimmt in Interviews unverändert kein Blatt vor den Mund.
Nachdem Sie gerade erst in Cannes mit „The Apprentice“ im Wettbewerb vertreten waren, sind Sie nun in Marrakesch Teil der Jury um Luca Guadagnino. Wie gefällt Ihnen diese Rolle? Gibt es neue Erkenntnisse für Sie?
Ali Abbasi: Wie Sie vielleicht wissen, ist es mir gegenwärtig unmöglich, in mein Heimatland Iran zurückzukehren. Marrakesch ist so nahe an Daheim, wie es mir aktuell möglich ist. Ich war früher schon einmal hier, und ich liebe die Stadt. Aber ich muss auch sagen, dass dieses Festival auf seine Weise einzigartig ist. Es hat genug Unterstützung und Einfluss, um eine wirklich interessante Gruppe von Menschen zusammenzubringen und sie einzusetzen, um die Region und Filme zu unterstützen, die man sonst vielleicht nicht bemerken würde.
Und die Juryarbeit?
Ali Abbasi: Mir kommt es komisch vor, Filme zu bewerten. Nominierungen und Goldmedaillen und Pokale, das ist doch etwas, was dem Sport vorbehalten sein sollte. Ich sage Ihnen aber, was ich daran liebe, in Jurys zu sein. Ich habe den Luxus, Filme anschauen zu können. Sonst habe ich nicht die nötige Zeit dafür, ehrlich gesagt. Und ich sehe nicht nur Filme, ich kann auch mit anderen Filmemachern über sie reden und über alles mögliche reden, was uns auf den Nägeln brennt.
Sie haben in diesem Jahr hohe Wellen geschlagen mit Ihrem neuen Film, „The Apprentice“. Gerade erst gab es eine Kontroverse um Ihren Hauptdarsteller Sebastian Stan, der für die Variety-Reihe „Actors on Actors“ ausgewählt wurde – und dann wollte sich kein anderer Schauspieler finden, der bereit war, mit ihm vor die Kamera zu treten. Können Sie einschätzen, was da vor sich ging?
Ali Abbasi: Ich kann nur wiedergeben, was man mir gesagt hat. Aber offensichtlich wollten die PR-Leute nicht, dass ihre Klienten ihre Meinung zu Donald Trump kundtun. Sie wollten das vermeiden. Es ging also nicht um Sebastian. Es ging um das Thema des Films, in dem er die Hauptrolle gespielt hat. Die wohlverdiente Unterstützung, die er für seinen anderen Film in diesem Jahr erhält, „A Different Man“, zeigt deutlich, dass der Boykott nicht gegen seine Person gerichtet ist. Auf der anderen Seite kann ich nur sagen: Gestern habe ich mich mit Sean Penn unterhalten, um mich dafür zu bedanken, dass er in seiner Pressekonferenz so nett war, meinen Film zu loben. Und ich höre auch von anderen Leuten, dass sie nicht länger stillhalten wollen und sich angeboten haben, die Session zusammen mit Sebastian zu machen. Hollywood geht es nicht anders als anderen liberalen Institutionen oder Einrichtungen in den USA: Alle stehen immer noch unter Schock. Es ist ein bisschen so, als ginge man gerade durch eine Scheidung und solle sich jetzt einen Film über eine Scheidung ansehen.
Wie beurteilen Sie generell die Erfahrung, die Sie in diesem Jahr mit „The Apprentice“ gemacht haben? Vor zwei Jahren waren Sie mit „Holy Spider“ in Cannes und wurden sofort danach von Iran attackiert. Jetzt passiert Ihnen dasselbe mit Ihrem neuen Film, nur diesmal kommen die Angriffe aus den USA.
Ali Abbasi: Eine gute Sache ist, wenn man in Iran aufwächst, dass man einen sehr guten Radar für solche Leute entwickelt, einen ausgezeichneten Bullshit-Detektor. Ich kann einen Maulhelden, einen Strongman Meilen gegen den Wind riechen. Donald Trump ist ein Maulheld, ein Strongman. Ihre Taktiken sind immer dieselben. Immer manipulieren sie die Medien. Immer versuchen se, Realität und Wahrheit bis zu einem Punkt zu verwässern, dass man nicht mehr weiß, was wahr ist und was nicht. Immer haben sie ihre Schergen, die sie für Angriffe nach vorne schicken. So dramatisch und einfach es in „The Apprentice“ rüberkommen mag, ist es in Realität sehr effektiv, was Roy Cohn seinem Musterschüler beibringt. Wenn man sich Khameinis Regentschaft in Iran sieht, sind die Parallelen erschreckend. Es ist durchaus ähnlich. Aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Ganz sicher will ich nicht die Vereinigten Staaten mit Iran gleichsetzen. Niemand wird in den USA erschossen, aufgehängt oder muss 25 Jahre hinter Gitter, wenn man seine Meinung äußert. Noch nicht zumindest. Zwinker, zwinker.
Aber wie reagieren Sie auf diesen Affenzirkus?
Ali Abbasi: Ich bin enttäuscht und schockiert, seitdem der Film Premiere in Cannes hatte, wie die Reaktionen aus den USA ausfallen. Am meisten schockiert mich, dass der Film allen Ernstes als kontrovers betrachtet wird. Das verstehe ich nicht, und werde ich auch nicht verstehen. Donald Trump ist kontrovers, nicht mein Film. Wenn man im Lexikon das Wort „kontrovers“ nachschlägt, sieht man sein Gesicht daneben. Aber ich denke auch, dass man die Grenzen einer gewissen Form von kapitalistischer Marktlogik vorgeführt bekommt. Deshalb haben wir in Europa von Steuerzahlern finanzierte Institutionen, die sicherstellen, dass Märkte keine Zensur ausüben können. Märkte sind ein höchst effizientes Instrument der Selbstzensur.
Und doch hat Trump die Mehrheit der Wähler hinter sich gebracht.
Ali Abbasi: Ich bin Filmemacher und kein Experte in Fragen der Weltpolitik. Amerikanische Wahlen sind komplizierte Angelegenheiten. Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Es gibt eine Fülle von Gründen, die eine Rolle für dieses Ergebnis gespielt haben. Keiner kann sagen, dass Präsident Biden gut beraten war, seinen Sohn zu begnadigen. Eines der großen Probleme der demokratischen Partei ist Glaubwürdigkeit – die Republikaner hatten genau dieses Problem, bevor Trump das Ruder an sich gerissen hat. Man sollte den Menschen nicht sagen, Tee sei schlecht für sie, während man selbst einen tiefen Schluck Tee nimmt. Das ist nicht glaubwürdig. Joe Biden ist nicht glaubwürdig. Man kann nicht in den Neunzigerjahren für eine Verschärfung der Drogengesetze geworben haben, weshalb viele Menschen aus Minderheiten ins Gefängnis mussten, und sich dann umdrehen und seinen Sohn begnadigen mit dem Argument, er nähme seit ein paar Jahren keine Drogen mehr. Als Vater verstehe ich ihn. Aber wenn man jemand ist, der sich für die Einhaltung von Gesetzen stark macht, ist das nicht sehr glaubwürdig. Aber hier ist die Sache, und ich möchte das klipp und klar gesagt haben: Selbst wenn 99,99 Prozent aller Amerikaner Trump gewählt hätten, würde es nichts daran ändern, dass Trump ein Faschist ist. Er ist ein Faschist und er wird ein Faschist bleiben. Und das wird sich nicht ändern. Er ist ein Paradebeispiel für einen Faschisten. Wenn man in die Zwanziger- und Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts blickt, wird man feststellen, dass viele Menschen bereitwillig Faschisten gewählt haben. Die Faschisten sind durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen und haben die Kontrolle an sich gerissen. Eine der Achillesfersen der Demokratie ist es, dass sie antidemokratischen Kräften Möglichkeiten bietet, legal an die Macht zu kommen und den demokratischen Prozess im nächsten Schritt abzuschaffen. Sehen Sie sich die Revolution in Iran im Jahr 1979 an! Diesen Film habe ich schon einmal gesehen.
Hat sich der Blick auf „The Apprentice“ verändert, seitdem Trump die Wahlen gewonnen hat?
Ali Abbasi: Als wir „Holy Spider“ in Cannes zeigten, wurde uns in der ersten Woche vorgeworfen, wir seien Misogynisten, die ihren Spaß daran haben zu zeigen, wie Menschen gefoltert und umgebracht werden. Dann kam die Frauen-Leben-Freiheit-Bewegung in die Gänge, und auf einmal wollten die Menschen mit mir über diese Bewegung sprechen, als wäre ich ein Repräsentant. Der Film hatte sich nicht geändert. Gerade noch Frauenfeind, wenig später Sprachrohr der Frauenbewegung. SIE müssen MIR sagen, ob sich der Blick auf „The Apprentice“ geändert hat. Ich merke, da ist viel Angst, viel Zaudern, viel Zurückhaltung. Aber es gibt auch positive Signale, dass etwas in Bewegung kommt, der Schleier des Schweigens sich wieder lüftet: die Nominierungen bei den Independent Spirit Awards beispielsweise. Ich kann nur sagen: Ich würde kein Bild des Films ändern wollen. So eindeutig es ist, was ich von dem gewählten Präsidenten der USA halte, bedaure ich doch keine Sekunde, dass wir ein humanistisches, ausgeglichenes, komplexes Porträt seiner Beziehung zu Roy Cohn gemacht haben. Das ist der Film, das ist nicht verhandelbar. Darum ging es mir. Verändert hat sich vielleicht mein Blick: Hätte ich einen Film über Adolf Hitler als ungelenken Kunststudenten in den Zehnerjahren gemacht? Oder was?
Also doch Reue?
Ali Abbasi: Ich will kein netter Filmemacher sein. Nett zu sein, geziemt sich nicht für einen Filmemacher. Als Mensch ja, aber nicht in der Arbeit. Nett zu sein, bedeutet automatisch, dass man sich selbst zensiert. Wenn man dann aber nicht nett ist, sind die Probleme vorprogrammiert. In der Ära vor dem Streaming gab es ein etabliertes System mit Festivals und Kunstkinos. Es gab merkwürdige Allianzen. Die Kinos in den USA, die Ingmar Bergmans Filme zeigten und populär machten, haben auch Softpornos gezeigt. In der Ära des Streamings gibt es eine zusätzliche Ebene der Zensur. Sie legen einen willkürlichen Filter. Es gibt einen Grund, warum gewisse Filme nicht gezeigt werden. Die Plattformen wollen sich die Finger nicht verbrennen, Kinos gibt es immer weniger. Die Tugend, keine Selbstzensur zu betreiben, ist keine Tugend mehr. Wir waren die Gegenkultur, jetzt sind wir die elitären Arschlöcher, die den Menschen den Spaß verderben wollen.
Was sagen Sie zu dem neuen Film von Mohammad Rasoulof?
Ali Abbasi: Ich finde ihn toll, aber ich kann da nicht wirklich objektiv sein. Es war sehr emotional für mich, ihn in Cannes zu sehen. Hier in Marrekasch gab es verblüffend viele Filme, die sich mit demselben Thema befasst haben, und ich denke, das kann kein Zufall sein: die Unterdrückung von Unterdrückung. Man versucht zu verbergen, dass etwas Schlimmes passiert ist. Die argentinische Version, die marokkanische Version. Und Mohammad Rasoulofs meisterliche Version. Was mich sprachlos macht, ist seine endlose Empathie für die Menschen, die ihn ins Gefängnis gesteckt und sein Leben zur Hölle gemacht haben. Sehr mutig von ihm!
Können Sie bereits sagen, was Ihr nächstes Projekt sein wird?
Ali Abbasi: Es gibt noch kein neues Projekt. Ehrlich. Die Welt hat sich so sehr verändert und ich habe mich verändert. Dieses alte Dominoprinzip, fünf Stoffe gleichzeitig zu entwickeln und von einem Film zum nächsten zu wechseln, funktioniert nicht mehr. Da muss man einen Strich ziehen. Vor ein paar Wochen war ich in Los Angeles und sah einen Mann in einem fahrerlosen Taxi, der einfach nur Textnachrichten in sein Handy tippte. Und ich dachte mir: Verdammt, dieser Mann sitzt in einem Wunder, und er nimmt es nicht einmal wahr. Das ist der Punkt, an dem wir uns befinden. Ich muss also eine Pause machen und mir einfach mal ansehen, was los ist mit uns Menschen.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.