Mit der Preisverleihung und dem Screening von Mati Diops „Dahomey“ geht heute Abend die 62. Viennale zu Ende. Schon jetzt konnten die Veranstalter eine erfreuliche Bilanz ziehen.
Mo Harawes „The Village Next to Paradise”, der auch auf der Liste der möglichen Filme für eine Nominierung für den European Film Award steht, wird heute Abend zum Abschluss der 62. Viennale mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnet.
In der Jurybegründung heißt es dazu: „Die Jury verleiht den Wiener Filmpreis 2024 an einen Film, dem es mit eindrücklicher Offenheit gelingt, eine Realität zu zeigen, die aus europäischem Blickwinkel häufig abstrakt bleibt – oder in Form von Newsberichten zur Schlagzeile verkürzt wird. In Somalia, und großteils mit lokalem Team und Set-unerfahrenen Schauspieler:innen gedreht, erzählt ‚The Village Next to Paradise‘ zuvorderst vom Alltag einer Familie. Einstellung um Einstellung verschiebt sich unsere Wahrnehmung der mehrschichtigen Verzweigungen, Umstände, Träume und Schwierigkeiten der Protagonist:innen. Vieles, wie die Sehnsucht der Menschen nach Zugehörigkeit und Solidarität, vermittelt sich subtil und zugleich voller Liebe. Wie Spuren am Wegrand lassen sich Hinweise deuten und in größere – mitunter globale – Zusammenhänge einordnen. Vieles erzählt sich in atemraubend fotografierten Bildern, denen Regisseur Mo Harawe Vertrauen und Zeit zum Dauern schenkt. Dabei überraschen uns sukzessive Wendungen und eine Selbstverständlichkeit, mit der sich Schönheit und Zärtlichkeit, Schwere und Komplexität wechselseitig durchdringen. Harawes Langfilm-Erstling ist damit Kino im wahrsten Sinn und lässt uns mit einem bleibenden Eindruck zurück. Mit einem Nachhall, der die eigenen, angelernten Perspektiven auf unsere Welt (nicht nur filmisch) in Frage stellt.“
Der Spezialpreis der Jury geht an Ruth Beckermanns Dokumentarfilm „Favoriten“, über den die Jury sagt: In ‚Favoriten‘ richtet Ruth Beckermann ihren forschenden und durchdringenden Blick von Wien aus auf die Überschneidung zweier entscheidender, neuralgischer – und globaler – Themen unserer Zeit: die Idee/Möglichkeit von multiethnischem und -kulturellem Zusammenleben (wie es in Favoriten, dem wahrscheinlich vielfältigsten Bezirk Wiens tatsächliche Realität ist) und die Idee/Möglichkeit der Weitergabe von Wissen als Schlüsselkomponente für ein soziales Miteinander in einer sich entwickelnden und funktionierenden Gesellschaft. Die Ergebnisse von Beckermanns geduldiger Beobachtung in einer Wiener Volksschule und über mehrere Jahre hinweg sind ein wahrer dokumentarischer Glücksfall.“
Mit dem Viennale-Preis der Standard Leser:innen Jury wird Lucie Prosts „Fario“ ausgezeichnet, der FIPRESCI-Preis geht an die kanadische Oscareinreichung „Universal Language“, die in Cannes mit dem erstmals vergebenen Publikumspreis der Quinzaine des Cinéastes ausgezeichnet worden war. Mit dem Erste Bank Filmpreis wird heute Abend Klára Tasovskás „I’m Not Everything I Want to Be“ ausgezeichnet.
Erfreuliche Bilanz
In ihrer Festivalbilanz sprechen die Viennale-Veranstalter von 75.800 Besuchern in 13 Festivaltagen, was ebenso einem leichten Plus im Vergleich zu 2023 entspricht wie die Auslastung der Festivalspielstätten von 76,3 Prozent.
Als „Highlights“ der diesjährigen Viennale-Ausgabe nennen die Veranstalter neben dem kürzesten jemals bei der Viennale gezeigten Eröffnungsfilm, „C’est pas moi“ von Leos Carax u.a. Jesse Eisenbergs „A Real Pain“, Sean Bakers „Anora“, Aaron Schimbergs „A Different Man“ oder Jacques Audiards „Emilia. Pérez“ von Jacques Audiard, für „besonders großen Buzz“ hätten österreichische Filme wie „The Village Next to Paradise“, Kurdwin Ayubs „Mond“, Alexander Horwaths „Henry Fonda for President“ Juri Rechinskys „Dear Beautiful Beloved“ sowie „Bluish“ von Lilith Kraxner und Milena Czernovsky gesorgt.
„Es war eine wunderbare Ausgabe, die sich natürlich mit dem politischen Klima der Unsicherheit und Besorgnis und den Konfliktsituationen an so vielen Fronten auf internationaler Ebene auseinandersetzen musste. Die Teilnahme des Publikums war außergewöhnlich, und die Großzügigkeit der Gäste hat Begegnungen, Diskussionen und viele Reflexionen gefördert, die, davon bin ich überzeugt, uns allen das Gefühl gegeben haben, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich der Gewalt nicht anpassen will, sondern sich ihr mit Hilfe der vielen Sprachen des Kinos entgegenstellt“, zeigte sich Festivalleiterin Eva Sangiorgi äußert zufrieden mit den vergangenen beiden Festivalwochen.
Als Abschlussfilm der 62. Viennale wird heute Abend Mati Diops „Dahomey“ gezeigt.