Bei der Pressekonferenz am Eröffnungstag der 81. Mostra bekam Alberto Barbera den Unmut der nach Venedig gereisten Freelance-Journalisten zu spüren. Nachdem der Festivalchef darauf verwiesen hatte, dieses Jahr würden so viele Stars wie nie vor Ort sein, machte die schreibende Zunft ihrem Ärger Luft: Für sie sei dieser Jahrgang des Festivals der schlimmste ever. Weil zwar sehr viele Stars und Filmschaffende nach Venedig reisen würden, aber so gut wie keine Interviews und keinerlei Pressejunkets stattfinden würden. Rein wirtschaftlich wäre das für sie eine Katastrophe.
In der Pressekonferenz am Eröffnungstag der 81. Mostra hieß Festivalchef Alberto Barbera nicht nur Jury-Präsidentin Isabelle Huppert willkommen und bedankte sich dafür, dass sie sich trotz aktueller Theaterengagements die Zeit genommen habe, sondern stellte auch die anwesenden Jurymitglieder des Hauptwettbewerbs (auch Julia von Heinz gehört dazu und war da) und der Orizzonti-Reihe vor. Zunächst war es still im Saal, auf Barberas Geheiß, Fragen zu stellen, blieb es stumm. Er witzelte noch, dass es besser nicht gehe, weil er dann endlich zum Mittagessen komme. Doch dann wurde immerhin Jury-Präsidentin Isabelle Huppert gefragt, was ihr dieses Amt bedeute und ob es vielleicht auch etwas gebe, was sie mit Blick aufs Kino besorgt. Die Grande Dame des französischen Kinos erzählte, dass sie sich sehr geehrt fühle, hier sein zu dürfen.
„Ich habe eine lange, lange Beziehung zu diesem Festival, wie lange, sage ich Ihnen lieber nicht“, so Huppert. Sie freue sich auf die Treffen mit ihren Jurykolleg:innen, auf die Gespräche über die Filme, die Barbera im Wettbewerb um den Goldenen Löwen kuratiert habe. Sorgen mit Blick aufs Kino äußerte sie insofern, als sie sagte, dass es gar nicht anders gehe, als dass Kino einfach weiterleben müsse. „Ich bin kein Regisseur, aber ich weiß, was es bedeutet, einen Film zu machen: Man braucht Mut, man muss sich klar sein, dass man auch viel mit sich allein zu kämpfen hat. Film ist immer ein Kampf, deshalb braucht es Festivals wie Venedig, um das Ökosystem am Leben zu halten, um die Werte, für die Kino steht, zu schützen und hochzuhalten.“
Dem stimmte die amerikanische Regisseurin Debra Granik zu, die dieses Jahr die Orizzonti-Jury leitet. „Wir sind hier, weil wir diese Kunstform lebendig halten wollen. Wir brauchen das Kino, um zu leben, um Geschichten erzählen zu können, die nicht vom Mainstreamsog des digitalen Zeitalters verschlungen werden. Filmfestivals sind wie Trutzburgen.“
Als Alberto Barbera noch gefragt wurde, ob er froh sei, dieses Jahr nicht mit Hollywoodstreiks konfrontiert zu sein, sagte er, dass es im vergangenen Jahr gar nicht so schlimm gewesen sei. „Natürlich hat es ein wenig gedauert, über die Enttäuschung hinwegzukommen, weil wir nicht Luca Guadagninos ‚Challengers – Rivalen‘ als Eröffnungsfilm bringen konnten (die Enttäuschung lag vor allem bei Luca), und ja, wir hatten bei den großen Filmen keine Chance, sie gebührend zu promoten, weil kein Talent hatte anreisen können. Dennoch bin ich mit der letztjährigen Edition sehr zufrieden. Trotz der Abwesenheit der Stars bekam das Festival große Beachtung, von den Filmkritikern, aber auch vom normalen Publikum. Wir haben sogar einen Besucherzuwachs verzeichnet.“ Mit Blick auf die 81. Ausgabe, die heute Abend mit „Beetlejuice Beetlejuice“ von Tim Burton eröffnet wird (die SPOT-Besprechung folgt heute Abend), sei natürlich wieder alles anders. Mit Stolz verkündete der Festivalchef, dass sie 2024 die längste Liste an Stars und Talents ever hätten, die über den Roten Teppich laufen werden. „Sie kommen aus aller Welt. So viele waren es noch nie. Die Erwartungen der Medien sind sehr hoch, und ich hoffe sehr, dass die Vorfreude beim Publikum auf unsere Filme ebenso hoch ist wie bei uns.“
Da schnellten plötzlich die Arme hoch im Auditorium. Jetzt war die anwesenden Journalistenschaft aufgewacht. Wie, die meisten Stars? Große Erwartungen der Medien? Sieht nach einer glänzenden Runde aus? Eine Kollegin sprach schließlich für alle im Raum: „Wir lieben Venedig. Wir lieben Filme“, sagte sie. „Aber wir kommen auch hierher, um zu arbeiten. Dieses Jahr ist keinerlei Interaktion möglich, wir bekommen keine Interviews, es finden keine Junkets statt. Ist Ihnen diese Situation überhaupt bewusst?“
Venedig ist ein teures Pflaster. Als Freelancer ist man darauf angewiesen, mit Interviews im Gepäck nachhause zu kommen. Es muss sich wirtschaftlich rechnen. Dass es so gut wie keine Junkets gibt, hat es in der Vergangenheit noch nie gegeben. Schwierig sei es zwar immer schon gewesen, aber dass man so ausgetrocknet werde als Filmjournalist, sei neu, wie man am Lido hört. Frustrierend sei, dass man von den Produktionsfirmen und Verleihern, so die Filme schon welche haben, keine zufriedenstellende Antwort erhalte. Barbera räumte ein, dass er über diese Situation nicht im Bilde sei. Und dass diese Situation doch wohl nur ein paar der großen Filme betreffen könnte. „Aber wir als Festival können da nichts tun. Das sind die Marketingüberlegungen der Produktionsfirmen/Verleiher. Da haben wir keinen Einfluss. Wir können die Verleiher oder Studios nicht dazu drängen. Mir tut es sehr leid, das zu hören. Aber was genau hinter der Entscheidung steckt, keine Junkets anzubieten, kann ich Ihnen nicht sagen.“
Für die anderen vielen Journalisten, die noch den Arm gehoben hatten, und zur selben Problematik ihrem Frust Luft machen wollten, blieb keine Zeit mehr. Finito. Die Verfügbarkeit von Herrn Barbera und den Jurypräsident:innen war vorbei, die PK beendet.
Aus Venedig berichten Barbara Schuster & Thomas Schultze