Das Locarno Film Festival ist besonders. Da sind die Äußerlichkeiten: die Stadt, die Piazza Grande, das Urlaubsflair, die Lage am Lago Maggiore, der Termin im Hochsommer. Dann ist da aber natürlich das, auf was es ankommt: die Filme und die Begegnungen mit den Machern.
Für die amerikanische Produzentin Stacey Sher, die eine enge Weggefährtin von Filmemachern wie Quentin Tarantino und Steven Soderbergh war, ist die Auszeichnung in Locarno, der Raimondo Rezzonico Award, eine ganz besondere Ehre. „Viele wissen einfach nicht, was Produzenten eigentlich machen. Unser Job ist eher unsichtbar“, so Sher. Trotz Jetlag, für den sie sich mehrmals entschuldigte, saß sie gut gelaunt beim Interview mit SPOT und erzählte über die Arbeit mit den beiden Ausnahmeregisseuren. Stattgefunden hat es in einer der besten Patisserien Locarnos, und entzückend war es, als Sher vom Haus während des Interviews mit einem als Pardo, dem Wahrzeichen des Festivals, dekorierten Keks auf den Tisch gestellt bekam.
Sher erzählte jedoch nicht nur über ihre beeindruckende Karriere, sondern auch über die Veränderungen in der Branche. „Die Wertschätzung der Dinge hat sich bei den Menschen verändert.“ Ihr Mann sei in der Musikbranche und habe das so formuliert: als die Leute eher bereit waren, sechs Dollar für einen hippen Kaffee zu bezahlen anstatt 1,99 Dollar für einen Song, sei die Kunst ins Wanken gekommen. Das betreffe auch den Filmbereich, das Kino. Aber, so Sher: Sie ist Optimistin. Das Kino sei schon so oft totgesagt worden. Das Kino wird immer weiterleben! Das ganze Interview lesen Sie hier.
Locarno lockt stets mit Entdeckungen ebenso wie mit den neuesten Arbeiten bereits etablierter Namen. Wenn man sich alleine durchschlägt, muss man seinen Tag gut planen. Beeindruckt hat mich Christoph Hochhäuslers „La mort viendra“, ein mit einer Bildgestaltung zum Niederknien (Reinhold Vorschneider) gefilmter film policier – in Brüssel gedreht, auf französisch. Was für ein cooles Setting. Hochhäuslers Produzentin Bettina Brokemper von der Kölner Heimatfilm hat mir erzählt, warum der Filmemacher und sie so gut zusammen funktionieren. „La mort viendra“ ist die mittlerweile sechste Zusammenarbeit der beiden. Über eine Stunde saßen wir im Café. Sie brennt fürs Kino, fürs Kunstkino, für ein Kino mit Haltung, mit Handschrift. Es war eine große Freude, mit ihr zu sprechen!
Was wäre Locarno ohne Campari? Der italienische Getränkehersteller ist langjähriger Sponsor des Festivals und ist direkt hinter der großen Leinwand auf der Piazza Grande mit einer Lounge präsent. Dorthin lädt Locarno Pro ein paar Mal zu Freidrinks ein. Am 9. August wurde die Lounge von German Films gehostet, die für die deutschen Filme in Locarno Werbung machen, also in diesem Jahr „La mort viendra“ oder auch Willy Hans‘ „Der Fleck“ (neben einigen Kurzfilmen). Simone Baumann und Sylva Häutle hatten alle Hände voll zu tun, die zahlreichen Industry- und Pressegäste zu begrüßen. Die Schlangen vor der Getränkeausgabe waren lang. Aber irgendwann hatte man dann seinen Campari Amalfi in der Hand.
Neben „La mort viendra“ waren für mich zwei tolle Entdeckungen: „Der Fleck“ von Willy Hans und „Der Spatz im Kamin“ von Ramon Zürcher (sein Bruder Silvan ist Produzent). Im lazy spirit einer Gruppe Jugendlicher am Flussufer ist „Der Fleck“ eine assoziativer Trip, der das Individuum in seiner Einsamkeit im Vergleich zum Individuum in einem Gruppenzusammenhang untersucht, „Der Spatz im Kamin“ erzählt über eine mehr als dysfunktionale Familie. Mehr als einmal bleibt einem das Lachen im Hals stecken bei dieser toll besetzten Ensemblekomödie – Maren Eggert und Britta Hammelstein als Schwestern sind der Hammer. Im bis auf den letzten Platz besetzten Fevi wurde Weltpremiere gefeiert und die Zürcher Brothers hatten eine große Equipe dabei, mit der sie zeigten, dass Film keine One-Man/ One-Woman-Show ist, sondern immer Teamwork. Beim anschließenden mehr als einstündigen Q&A beantworteten Ramon & Silvan Zürcher, Maren Eggert, Lea Zoe Voss, Britta Hammelstein und Kameramann Alex Hasskerl geduldig alle Fragen – trotz großer Hitze, die vielen ganz schön zu schaffen macht…
… wenn man nicht die Gelegenheit nutzt, sich zwischendurch im Lago Maggiore abzukühlen. Handtuch und Badeanzug sind immer im Gepäck. Wie gesagt: Locarno ist besonders.
Aus Locarno berichtet Barbara Schuster.