Neun deutsche Produktionen hat Giona A. Nazzaro für das 77. Locarno Film Festival ausgewählt. Weitere sieben Titel sind deutsche Koproduktionen. In den internationalen Wettbewerb wurden unter anderem die neuen Arbeiten von Christoph Hochhäusler und Pia Marais eingeladen. Zwei Koproduktionen laufen auf der Piazza Grande: „The Seed of a Sacred Fig“ von Mohammad Rassoulof und „Electric Child“ von Simon Jaquemet.
Locarno ist ein gutes Pflaster für deutsche Filmschaffende und Produzenten. War immer schon so. Wird auch in diesem Jahr so sein, dem ersten Jahr mit der neuen Festivalpräsidentin Maja Hoffmann, die den langjährigen Festivalpatriarchen Marco Solari ablöst – und die vierte Ausgabe unter der künstlerischen Leitung von Giona A. Nazzaro, der mittlerweile seinen Groove gefunden, dem Festival seine souveräne künstlerische Handschrift verpasst hat – die Handschrift eines echten Cinephilen, der das Kino in alle seinen Ausprägungen feiert.
Gerade ist die Vorstellung des Programms von Locarno 77, das vom 7. bis 17. August in dem malerischen Tessiner Urlaubsort am Lago Maggiore stattfindet, zu Ende gegangen. Neun deutsche Produktionen hat Giona A. Nazzaro ausgewählt. Weitere sieben Titel sind deutsche Koproduktionen.
Zu den majoritär deutschen Produktionen zählt Christoph Hochhäuslers neuer Film, „La mort viendra“, den Bettina Brokemper mit ihrer Firma Heimatfilm produzierte, im Verbund mit Amour Fou Luxembourg und Tarantula aus Belgien als Koproduktionspartner. „La mort viendra“ läuft im Hauptwettbewerb, dem Concorso Internazionale. Ebenso wird die in Südafrika geborene deutsche Filmemacherin Pia Marais ihre erste Regiearbeit seit „Layla Fourie“ vorstellen, der 2013 in den Wettbewerb der Berlinale gewählt worden war: Bei „Transamazonia“ ist Pandora Filmproduktion deutscher Koproduzent. Dazu kommen im internationalen Wettbewerb noch zwei weitere deutsche Koproduktionen: „Bogancloch“ von Ben Rivers (deutscher Koproduzent: Flaneur Films), sowie der türkische Film „Yeni șafak solarken“ von Gürcan Keltek (deutscher Koproduzent ist The Story Bay).
Auch aus Österreich ist ein Titel im internationalen Wettbewerb vertreten: Mit ihrem zweiten Film, „Mond“, feiert Kurdwin Ayub Weltpremiere. Ihr erster Langfilm, „Sonne“, wurde 2022 in der Reihe Encounters der Berlinale uraufgeführt. Wie „Sonne“ ist „Mond“ eine Produktion der Ulrich Seidl Filmproduktion. „Sonne“ hatte damals im Anschluss an seine Weltpremiere in Berlin u.a. die Diagonale eröffnet und hatte einen erfolgreichen Festivallauf, gepflastert mit diversen Auszeichnungen.
Aus der Schweiz ist im Hauptwettbewerb „Der Spatz im Kamin“ von Ramon Zürcher vertreten, eine Produktion der Zürcher Film mit einem sehr starken, auch deutschen Cast, zu dem Maren Eggert , Britta Hammelstein, Luise Heyerund Andreas Döhler gehören. Zürcher wurde bei seinem mit seinem Bruder Silvan realisierten Vorgänger „Das Mädchen und die Spinne“ 2021 in der Reihe Encounters mit dem Regiepreis ausgezeichnet. Als Schweizer Koproduktion ist zudem noch der portugiesische Film „Fogo Do Vento“ von Marta Mateus im Concorso Internazionale vertreten.
Insgesamt wurden 17 Filme für den internationalen Wettbewerb ausgewählt, neun von ihnen wurden von Frauen inszeniert. Vier der Filme sind Erstlingsarbeiten. Die bekanntesten Namen sind gewiss Wang Bing, der „Youth (Hard Times)“ vorstellt, und Berlinale- und Cannes-Regular Hong Sang-Soo, der mit „By the Stream“ vertreten sein wird.
Auf der Piazza Grande, dem Herzstück des Schweizer A-Festivals, wo die Filme um den Prix du Public UBS konkurrieren (seit diesem Jahr gibt es noch den jurybasierten Letterboxd Piazza Grande Award zu gewinnen), laufen zwei deutsche Koproduktionen: Mohammad Rasoulofs „The Seed of a Sacred Fig“, der in Cannes Weltpremiere feierte, und der neue Film des Schweizer Filmemachers Simon Jaquemet, „Electric Child“, den Titus Kreyenbergs unafilm mitproduzierte.
Eröffnungsfilm ist auf der Piazza Grande „Le Déluge“ von Gianluca Jodice, in dem Mélanie Laurent und Guillaume Canet die Hauptrollen spielen. Eine ganze Reihe von Schweizer Koproduktionen lassen sich finden: „Reinas“ von Klaudia Reynicke, „Sauvages“ von Claude Barras, „Sew Torn“ von Freddy Macdonald und der Abschlussfilm „Le procés du chien“ von Laetitia Dorsch. Zudem wurden Titel gewählt wie „Timestalker“ von Alice Lowe, „Rita“ von Paz Vega oder „Mexico 86“ von César Díaz.
In den Wettbewerb für neue Stimmen, den Concorso Cineasti del Presente (für erste und zweite Langfilme), schaffte es der Abschlussfilm „Der Fleck“ von Willy Hans, produziert von Fünferfilm in Koproduktion mit den Schweizer 8Horses.
Veit Helmers neue Regiearbeit, „Akiko, der fliegende Affe“, der beim Goldenen Spatz Weltpremiere feierte, läuft in der Reihe Locarno Kids Screenings.
In die Reihe „Pardi di Domani – Concorso Internazionale“ für Kurzfilme und/oder mittellange Filme wurden gleich vier deutsche Produktionen eingeladen: „Gimn chume“ („Hymn of the Plague“, mit Russland) von Ataka51, „Icebergs“ von Carlos Pereira, „Dull Spots of Greenish Colours“ von Sasha Svirsky und „Mother Is a Natural Sinner“ (mit Iran) von Boris Hadžija, Hoda Taheri. Alle vier Titel feiern ihre Weltpremiere in Locarno. Außerdem feiert der griechische Beitrag „400 Cassettes“ Weltpremiere. Thelyia Petrakis Film entstand als deutsche Koproduktion.
Zwei deutsche Produktionen wurden in die unabhängige Sektion „Semaine de la Critique“ eingeladen, die 1990 von dem Schweizer Filmjournalistenverband in Kooperation mit dem Festival eingeführt wurde. Jedes Jahr werden hier sieben Dokumentarfilme gezeigt, die alle Weltpremiere oder internationale Premiere haben. Die Sektion fördert diese innovativen Filme, deren Themen und Stile von den konventionellen Trends abweichen. Aus Deutschland dabei ist Mala Reinhardt mit „Familiar Places“ und „Jenseits der Schuld“ von Katharina Köster und Katrin Nemec.
In einem Statement schreibt Giona A Nazzaro: „Der Erfolg der letzten Ausgabe ist bekannt. Die Filme des Festivals haben einen greifbaren Erfolg beim Publikum, bei der Kritik und auf kommerzieller Ebene, indem sie in den Kinos gezeigt werden. Die Filmfestivals sind Teil eines industriellen Prozesses, von dem Locarno als grösstes Schweizer Filmereignis ein wesentlicher Bestandteil ist – eine Position, die wir beanspruchen und verteidigen. Im Dienste des Autorenkinos in all seinen Formen ist der Wettbewerb mit hochkarätigen Namen besetzt.“ Und Präsidentin Maja Hoffmann sagt: „Der Erfolg des Filmfestivals von Locarno beruht auf einer starken Kombination aus einer außergewöhnlichen Filmauswahl, der einzigartigen Erfahrung der Stadt und ihrer dramatischen Umgebung und dem Einfallsreichtum des Festivalteams. Die Brillanz und der Scharfsinn unseres Teams entspringen einem tiefen Engagement für die Weiterentwicklung des Kinos. Wir sehen das Potenzial von Geschichten und Erzählungen, die die Welt beschreiben und ein Bewusstsein für die aktuellsten und zeitgenössischen Themen und Zusammenhänge schaffen, während sie gleichzeitig Emotionen, Gefühle und Ideen wecken (…) Mehr Ideen, mehr Konzepte, mehr Stimmen werden in Locarno ihre Heimat finden, eine Heimat, die immer die ihre sein und immer mit der Welt geteilt werden wird. Locarno ist die Heimat kreativer Köpfe und eines wissbegierigen und neugierigen Publikums.“
Das komplette Programm findet ihr hier.
Barbara Schuster, Thomas Schultze