Sechsteiliger Gesellschaftsthriller nach dem Bestseller von Peter Grandl, in dem ein ehemaliger Mossad-Agent im Netz über das Leben dreier gekidnappter Neonazis abstimmen lässt.
Ein starkes Stück, was Regisseur Hannu Salonen und Thomas Peter Friedls The Amazing Film Companyda abgeliefert haben, einen fiebrigen, unerhörten Politthriller, der keine Gefangenen nimmt, aber doch fasziniert mit seiner feinen Figurenzeichnung. Was keine Überraschung ist, weil schon Peter GrandlsRomanvorlage von 2020 genau das war, ein aufpeitschender, minuziös recherchierter Pageturner, der aus seiner spekulativen Prämisse eine vielschichtige gesellschaftliche Erörterung entwickelt und aktuell virulente Themen mit journalistischer Präzision und dem Geschick eines erfahrenen Erzählers zu einem grimmigen Narrativ verdichtet. Es ist der Auftakt eines als Tetralogie angelegten Gesamtwerks, dem 2022 bereits der zehn Jahre später angelegte „Turmschatten“ folgte (und mit „Turmerbe“ eine weitere Fortsetzung und mit „Turmbau“ noch ein Prequel folgen sollen) – und erkennbar die Arbeit eines Mannes, der sich auskennt mit Drehbüchern und Kino, weil beim Leser sogleich intensive Bilder evoziert werden, vor dem geistigen Auge ein Film abzulaufen beginnt.
Was natürlich Sinn ergibt, weil Peter Grandl vom Film kommt, als Autor und Produzent für das Kino gearbeitet hat, jüngst auch am Drehbuch von „Manta, Manta Zwoter Teil 2“ beteiligt war. Und entsprechend auch als Schriftsteller dieses dringende Spür mitbringt für starke Situationen, Tempo und Timing. Er ist auch Drehbuchautor der sechsteiligen Serie, die ursprünglich für Paramount+ entstanden war, jetzt aber seit der Ankündigung des Streamers, seine lokalen Aktivitäten zu minimieren, zur Disposition steht und nach einem neuen Zuhause sucht. Was „Turmschatten“ auf jeden Fall finden sollte, weil es ein von Expertenhand realisierter Straßenfeger ist – oder zumindest das, was früher einmal ein Straßenfeger war, als Serien wie „Das Millionenspiel“ von Wolfgang Menge oder „Fleisch“ von Rainer Erler dafür sorgten, dass eine ganze Nation die Köpfe zusammensteckte und diskutierte. Ein bisschen muss man auch an Josef Haslingers nicht minder spekulativem und effektivem Bestseller „Opernball“, der seinerseits aktuell brisante politische und gesellschaftliche Themen zu einem packenden Thriller verdichtete und 1998 von Urs Egger aufwändig fürs Fernsehen verfilmt worden war. Die Hauptrolle damals? Na? Heiner Lauterbach, der auch in „Turmschatten“ Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist, wunderbar souverän und intensiv.
Ging es in „Opernball“ um einen Anschlag von Neonazis auf den Wiener Opernball, stellt Peter Grandl diesen Plot in „Turmschatten“ quasi auf den Kopf: Ephraim Zamir wird in einem mehrstöckigen Turm, den er erworben hat und mit eigenen finanziellen Mitteln zu einer Synagoge umfunktionieren will, von drei Neonazis attackiert, kann diese aber überwältigen: Die jungen Männer wissen nicht, dass sie es mit einem mit allen Wassern gewaschenen ehemaligen Mossad-Agenten zu tun haben, der sie als Gefangene hält und im Internet zur Abstimmung aufruft, ob die Geiseln leben oder sterben sollen. Einerseits verdichtet sich die Handlung immer mehr mit ihrem diabolischen Ticking-Clock-Szenario, das Polizei, Presse und Öffentlichkeit auf den Plan ruft, die den Turm zu belagern beginnen. Andererseits zieht die Handlung immer weitere Kreise, werden Bezüge und Motivationen offengelegt, in Rückblenden vertieft, mit wem wir es in diesem Katz-und-Mausspiel zu tun haben. Hannu Salonen hält die Fäden gekonnt in der Hand, treibt die Handlung konsequent voran und kann sich dabei auf sein Ensemble verlassen, neben Lauterbach seien Klaus Steinbacher, Désirée Nosbusch, Milena Tscharntke und Anja Herden genannt, von denen jeder auf seine Weise mit verdeckten Karten spielt. Das sorgt für Spannung und emotionale Einbindung, auf gut deutsch: für tolle Unterhaltung, wie man sie so gewagt in dieser Form selten findet im deutschen Fernsehen – das hoffentlich schnell ein gutes Zuhause findet. Ein starkes Stück. Eben.
Thomas Schultze