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REVIEW FESTIVAL: „Call Me Levi“

Aufwändiger Vierteiler über die wahre Geschichte, wie der deutsche Jude Levi Strauss das Patent für die Blue Jeans erhielt.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland, Belgien, Italien 2024; Laufzeit: 4 x 45 Minuten; Regie: Neele Leana Vollmar; Drehbuch: Robert Krause, Neele Leana Vollmar; Besetzung: Vincent Redetzki, Amy Benkenstein, Anton von Lucke, Lea van Acken; Produktion: Lieblingsfilm; Produzent:in: Robert Marciniak, Susanne Hildebrand; Koproduktion: ARD Degeto Film, MDR, Bravado Film; Sender: ARD Degeto Film

REVIEW:
Die Nieten haben den Unterschied ausgemacht. Und ließen Levi Strauss zum reichen Mann werden, weit entfernt vom oberfränkischen Buttenheim, auf der anderen Seite des Atlantiks, in San Francisco, wohin es den jüdischen Industriellen Mitte des 19. Jahrhunderts verschlagen hatte: Hosen aus Denim-Stoff hatte es bereits gegeben, doch die tendierten dazu, bei der geringsten Belastung an den Nähten zu reißen und waren deshalb wenig geeignet für die Anforderungen der Goldschürfer und Arbeiter im amerikanischen Westen. Erst der jüdische Schneider Jacob Davis war auf die Idee gekommen, die Hosen mit Doppelnaht zu versehen und zusätzlich mit Nieten aus Pferdegeschirren zu verstärken. Weil er sich die 68 Dollar für das Patent nicht leisten konnte, wandte er sich an seinen Geschäftspartner Levi Strauss. Gemeinsam gelten sie als die Erfinder der Blue Jeans, den Reibach machte indes Strauss – Davis blieb bis zu seinem Tod sein Angestellter.

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Ein deutscher Jude im Wilden Westen: Vincent Redetzki in „Call Me Levi“ (Credit: Martin Rattini / Lieblingsfilm)

Eine Geschichte, wie gemacht für eine Verfilmung, idealerweise als Miniserie, als Vierteiler, um mehr Lokalkolorit zu vermitteln, tiefer in die Figuren und die Zeit eintauchen zu können. Und vor allem, um dieser doch epischen Einwanderergeschichte gerecht zu werden, die so viel zu erzählen hat: über Pioniergeist, Aufbruchsstimmung, Brüderzwiste, Zusammenhalt, Zivilcourage, Zivilisation, den Alltag im gerade bezwungenen Wilden Westen, Antisemitismus in Europa und den USA, gesellschaftlichen Rassismus, organisiertes Verbrechen. Und natürlich die Geschichte der Hose, die dank Levi Strauss um die Welt ging, erst Arbeitern in Nordamerika unschätzbare Dienste erwies und dann zum Sinnbild jugendlicher Rebellion wurde, dank Brando und Dean. Die Münchner Lieblingsfilm (Produzent: Robert Marciniak) hat das Potenzial dieser großen Geschichte erkannt und gemeinsam mit Filmemacherin Neele Leana Vollmar, die eine langjährige Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma verbindet (siehe zwei Filme der „Rico, Oscar“-Reihe, „Mein Lotta-Leben“), umgesetzt, zwar vielleicht nicht mit der Wucht und Bildgewalt eines „Es war einmal in Amerika“ oder der atmosphärischen Dichte eines „The Immigrant“, aber doch mit weit ausgebreiteten Armen und hohem Production-Value (tolles Kostümdesign!), um über die Laufzeit von rund drei Stunden durchaus einen beeindruckenden narrativen Sog zu entfalten. 

Das Drehbuch von Vollmar und Robert Krause nutzt klug die Emotion des epischen Rahmens, eine deutsche Erfolgsgeschichte von geschichtlich relevantem Ausmaß, um die diversen Themen durchzudeklinieren, ein echtes Sittengemälde zu erschaffen mit einem schönen Frank-Capra-Moment ganz am Schluss. Ein gewisser Hang zum historischen Revisionismus ist auszumachen. Ob die Schwester von Strauss und die Frau von Davis tatsächlich eine so große Rolle in der Durchsetzung der bahnbrechenden Erfindung gespielt haben oder eine zumindest homoerotische Episode zwischen Strauss und einem speditiven Journalisten verbürgt ist, sei dahingestellt. Sie unterfüttern das Narrativ und geben Amy Benkenstein und Lea Van Acken die Chance, nicht einfach nur an der Seite von Vincent Redetzki und Anton von Lucke, sondern wirklich auf Augenhöhe mit ihnen zu spielen. Nicht allen erzählerischen Konventionen kann „Call Me Levi“ entkommen: Wenn eine Figur irgendwann einmal verstohlen hüstelt, kann man davon ausgehen, dass sie später von Lungenkrebs dahingerafft wird. Und zumindest in meinen Ohren hörten sich vereinzelt eingestreute moderne Popsongs falsch an. Vielleicht ist das aber auch nur eine Zerreißprobe, wie in der letzten Szene der Miniserie: Sie hält trotzdem. Weil sie so gut gearbeitet ist.

Zur Besprechung lagen die Folgen 3 und 4 vor sowie eine Zusammenfassung der ersten beiden Folgen, wie sie auch beim Filmfest München zu sehen sind. 

Thomas Schultze