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REVIEW FESTIVAL: „Allen Sunshine“

Einfühlsamer kanadischer Indie über einen Musikproduzenten, den die Freundschaft zu zwei zwölfjährigen Jungs aus der Stasis nach dem Selbstmord seiner Frau befreit. 

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Weltpremiere auf dem Filmfest München: „Allen Sunshine“ (Credit: Filmfest München)

CREDITS:
Land / Jahr: Kanada 2024; Laufzeit: 80 Minuten; Regie & Drehbuch: Harley Chamandy; Besetzung: Vincent Leclerc, Catherine Souffront, Stephanie Breton, Liam Quiring-Nkindi, Miles Phoenix Foley

REVIEW:
Der international enorm gute Leumund des Filmfest München basiert in nicht unbeträchtlichem Maß auf der Reihe „American Independents“, die Ulla Rapp von 1983 bis 2007 kuratierte und zwischenzeitlich einen legendären Ruf als Sundance an der Isar genoss. „Allen Sunshine“, das Spielfilmdebüt des libanesisch-griechisch-ägyptischen Regisseurs Harley Chamandy aus Montreal, Kanada, ist genau die Art von Film, wie Ulla ihn für ihre Reihe ausgewählt hätte, läuft auf dem Filmfest nun aber als Weltpremiere nun im Wettbewerb der Reihe „CineVision“, ein kleiner, eckiger Film mit einem sehr persönlichen Fingerabdruck, einem guten Auge und einigen wirklich schönen Einfällen. 

„Allen Sunshine“ ist ungefähr der letzte Spitzname, den Allen sich selbst geben würde: Er ist geflohen, vor sich, seinem Leben, dem, wie sich später herausstellen wird, unerträglichen Schmerz, den er nach dem Selbstmord seiner Frau empfindet. Hat sich eine entlegene Blockhütte ausgesucht an einem See inmitten eines der endlosen Wälder Kanadas und sich losgemacht von allem, was vorher war. Ein Leben als erfolgreicher Musikproduzent und Labelbesitzer. Ob er es nicht vermisse, fragt ihn sein Bruder, als der Allen aufgestöbert hat in seiner selbstgewählten Isolation. Es bedeute ihm nichts, antwortet er. Seine Zeit verbringt er jetzt auf einem kleinen Boot mit Außenbordmotor. Wiederholt zeigt die Kamera die Wogen des Sees, wie das Wasser ans Ufer schlappt. 

Dazu hört man dann sphärische Ambient-Synthesizermusik und erkennt erst im nächsten Schnitt, dass Allen diese Musik selbst spielt in seinem Homestudio und auf analogem Tape aufnimmt. „Heilung bedeute nicht, dass man den Schmerz einfach abtut“, sagt ihm sein hilfsbereiter Nachbar, der mit Allen zu dessen Geburtstag eine Blueberry-Pie bäckt. „Heilung bedeute lediglich, dass einen der Schmerz nicht mehr länger kontrolliere.“ Darum wird es danach gehen. Aber wie soll man es anpacken? Die Freundschaft zu zwei etwa zwölfjährigen Jungs ist ein Anfang, die Allen bei einem seiner Ausflüge auf dem See kennenlernt. Sie sind es, die ihm den Spitznamen „Allen Sunshine“ geben und nicht lockerlassen, bis er sich bereiterklärt, zusammen mit ihnen zu fischen. Als sie schließlich einen besonders paradiesisch bunten Fisch fangen, wie er sonst nur in Wes Andersons „The Life Aquatic“ schwimmen mag, tut er ihnen leid. Sie nennen ihn „Getrud“ und werfen ihn zurück ins Wasser.

Wie es Allen selbst wieder gelingen mag, zurück ins Wasser zu gleiten und Anteil zu haben am Leben, erzählt Harley Chamandy so lebensweise und einfühlsam, wie man es einem so jungen Menschen erst einmal nicht zutrauen würde. In der vielleicht schönsten Szene des Films lädt Allen eine Freundin zu sich ein und durchläuft in der Dauer eines Songs – „Vida Antigua“ von Erasmo Carlos – alle Stufen der Trauer, von Ekstase zu tiefer Niedergeschlagenheit. Das Gesicht von Vincent Leclerc ist dann wie eine Totenmaske, alles Leben weicht aus den Zügen. Dass dann Freundschaft und Musik vom Ende der Eiszeit künden in diesem wunderbar unforcierten Film ohne falsches Drama und Pathos, der einfach nur die Arme ausbreitet und einatmet, was das Leben zu bieten hat, ist ein schönes Signal: Life goes on, Gegenwart ist möglich, die Zukunft wartet. Auch wenn der Schmerz uns niemals verlässt, uns aber nicht mehr kontrolliert.

Thomas Schultze