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Natja Brunckhorst: „Dieser Stoff schrie nach: Kino! Kino! Kino!“

Morgen feiert „Zwei zu eins“ Weltpremiere – als Eröffnungsfilm des 41. Filmfest München. Im Interview spricht Natja Brunckhorst über ihr Verständnis als Filmemacherin, archaische Grundmuster in Kinogeschichten und Authentizität.

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Natja Brunckhorst machte sich 1981 durch die Hauptrolle in „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ einen Namen. Als Drehbuchautorin trat sie erstmals 1998 für die Fernsehserie „Einsatz Hamburg Süd“ in Erscheinung, auch für einige „Tatort“-Episoden lieferte sie die Bücher. Für das Drehbuch „Feuer und Flamme” erhielt sie 2001 den Deutschen Filmpreis. „Amelie rennt“ erhielt u.a. die Lola 2018 für den besten Kinder- und Jugendfilm. „Alles in bester Ordnung” war ihr Regiedebüt und ein großer Achtungserfolg in den deutschen Kinos. (Credit: Jeanne Deegra)

Sie sind Jahrgang 1966, waren damals also, zum Zeitpunkt des Geschehens in „Zwei zu eins“, 24 Jahre alt. Welche Erinnerungen haben Sie persönlich an diese letzten Monate der DDR?

Natja Brunckhorst: Leider gar nicht so viele. Ich habe das natürlich mitgekriegt, aber eher über die Presse. Ich war zu dem Zeitpunkt auf der Schauspielschule und wie Sie vielleicht wissen, nehmen sich Schauspielschüler immer sehr ernst. Von daher lag mein Fokus einfach wo anders. Vielleicht hatte ich genau deshalb jetzt so viel Lust, das noch mal alles nachzurecherchieren. Und ich habe für den Film wirklich viel recherchiert und mit vielen Menschen gesprochen. Das war eine tolle Reise für mich. 1990 war einfach ein ganz besonderes Jahr, ein Jahr, in dem viel möglich war. 1991 sah das schon wieder anders aus, da ging es richtig negativ los. Aber 1990 war besonders, die Rechte der DDR waren aufgelöst, Polizisten wussten nicht mehr, was sie machen sollten. Das wurde auch reichlich ausgenutzt…

„Zwei zu eins“ ist inspiriert von wahren Ereignissen. Als Sie über die Geschichte gestolpert sind, haben Sie sofort Kino-Potenzial darin entdeckt? Und war es eine bewusste Entscheidung, mit Ihrem zweiten Spielfilm eine deutliche Nummer größer zu gehen?

Natja Brunckhorst: Ehrlich gesagt, denke ich über die Größe eines Films nicht direkt nach, sondern über die Faszination einer Idee. Auf die Idee zu „Zwei zu eins“ bin ich gekommen, als ich in einem Buch von Peter Ensikat den Satz las: „Das Papiergeld der DDR wurde in einem Stollen eingelagert.“ Dieser eine Satz war’s. Da schrillten alle Alarmglocken. Dieser Stoff schrie nach: Kino! Kino! Kino! Es ist doch so absurd, dass das tatsächlich stattgefunden hat, dass da tatsächlich Leute auch eingebrochen sind. Ich suche immer Kinogeschichten, die überall tauglich sind, auf der ganzen Welt. Und diese Geschichte hat das Zeug zum Klassiker. Menschen brechen in einen Stollen ein, in dem Geldhaufen rumliegen wie bei Dagobert Duck. Es ist bis heute nicht geklärt, wie viel Geld da eigentlich rausgeholt worden ist. 

Die besten Geschichten schreibt eben das Leben…

Natja Brunckhorst: Im Zuge meiner intensiven Recherchen bin ich natürlich auch in diesen Stollen gegangen, habe mir alles zeigen lassen. Auch mit dem Beamten der KfW-Bank, der damals den Anruf kriegte, dass da Geld im Umlauf ist, das es gar nicht gibt, habe ich gesprochen. Er ist nach diesem Anruf selbst dorthin gefahren, alleine, hat sich umgeschaut und ein Loch in der Wand entdeckt. Als er nachts Wachen postieren ließ, wurden prompt zwei Diebe gefasst. Ich bin gebeten worden, bei jedem Interview zu betonen, dass da wirklich kein Geld mehr liegt. Es liegt dort wirklich kein Geld mehr ;-). Kein einziger Schein. Es wurde letztendlich alles verbrannt.

(Credit: X Verleih/Peter Hartwig)

Welches Selbstbewusstsein haben Sie als Filmemacherin?

Natja Brunckhorst: Ich suche in Kinogeschichten immer archaische Grundmuster, archaisch menschliche Grundmuster. Ich liebe es besonders, wenn diese an Realität und eine Örtlichkeit angebunden sind, wie das bei „Zwei zu eins“ der Fall ist. „Zwei zu eins“ hat eine archaische Erzählstruktur, nach dem Motto „ein Dorf wehrt sich gegen die Oberen“. Eine solche Erzählstruktur würde auch in Japan funktionieren. Ich liebe Dinge, die an die Urwurzeln unseres Menschseins gehen und somit interkulturell werden. Gleichzeitig erzähle ich gerne mit ein bisschen Lockerheit. Die Menschen sollen aus dem Kino kommen und sagen: „Was für ein netter Abend!“ 

„Zwei zu eins“ ist ein historischer Stoff. Wie schwer ist es, im Jahr 2024 die Wendezeit adäquat dazustellen und inwiefern war Ihnen Authentizität wichtig?

Natja Brunckhorst: Authentizität war mir sehr wichtig. Das Interessante ist, dass ich erst mal mit meinen eigenen Klischees aufräumen musste. So ging es auch meinen Mitarbeitenden. Wir haben eine Vorstellung von einer DDR, die nur dem Klischee geschuldet ist nach dem Motto „Die hatten halt diese Tapeten“, „Das war halt so“… Das stimmt nicht! Ich habe viele Bücher gewälzt. Und natürlich hatten manche Menschen „diese Tapeten“. Aber ganz viele Leute haben ihre Wohnungen sehr individuell gestaltet, gerade weil sie dadurch ihre Individualität zeigen konnten. Es gibt tolle Bücher dazu. Deshalb stand für mich von Anfang an fest: In meinem Film kommen nicht „diese Tapeten“ vor, werden keine Klischees bedient. Natürlich tragen meine Darsteller:innen Kleidung jener Zeit – aber auch hier: wir machen uns mit der Kleidung oder den Frisuren nicht lustig über sie. In vielen historischen Filmen frage ich mich, warum die Schauspieler komische Perücken tragen müssen, warum das seltsam ausgestellt wird. Klischees wollte ich nicht bedienen in „Zwei zu Eins“. Nachdem das klar war, konnten wir unseren Weg relativ leicht gehen. Wir haben uns auf Hellblau als Grundfarbe verständigt, weil die Farbe gut zum Sommer passt. Man sieht viel hellblauen Himmel, hellblaue Klamotten…

„Easy ist Filmfinanzierung nie. Das ist eine eigene Kunst.”

Und waren die Locations auch leicht zu finden?

Natja Brunckhorst: Unser Hauptmotiv, das „Piratenhaus“, wie ich es immer nenne, haben wir weitflächig gesucht und wurden schließlich in Gera fündig. Es war perfekt, inklusive dieser Garagen und einem Gemeindesaal. Das war wunderbar. Wir konnten alles nutzen. Ich bin viel mit dem Fahrrad abgefahren, um zu gucken, was es im Umfeld gibt. Es ist erstaunlich, wie viel es in Gera noch gibt. Klar, manchmal durfte man die Kamera nicht zu weit nach links schwenken. Aber man kann dort erstaunlich gut die alte Zeit erzählen.

„Zwei zu eins“ ist definitiv ein Sommerfilm. Er spielt nicht nur im Sommer, sondern strahlt das auch aus. 

Natja Brunckhorst: Während des Drehbuchschreibens verbrachte ich mal eine Woche alleine in Halberstadt. Es war ein heißer Sommer. Da hatte ich – Stichwort Klischee-Falle – einen weiteren Aha-Moment: Natürlich gab es in der DDR damals auch heiße Sommer. Die DDR war nicht nur grau und muffig. Ich habe recherchiert und herausgefunden, dass gerade der Juli 1990 ein extrem heißer Monat war. Es gibt viele Fotos der damaligen Zeit, auf denen die Männer diese super kurzen Hosen getragen haben, auf denen zu sehen ist, wie Hinterhofpartys gefeiert wurden, wo Kinder im Waschzuber badeten. Das Gefühl dieser Fotos wollte ich einfangen. Ich habe meinen Leuten gesagt: Wir haben 36 Grad – durchgehend. Mit ein bisschen Staub in der Luft und einem leicht verschwitzten Look der Darsteller:innen haben wir das dann durchgezogen.

Alle Ihre Hauptdarsteller:innen haben DDR-Vergangenheit. War Ihnen das bei der Besetzung wichtig?

Natja Brunckhorst: Ja! Das war mir sehr wichtig. Und zwar deswegen, weil ich aus West-Berlin stamme, keine Ostdeutsche bin, obwohl ich aufgrund meiner Herkunft immer eine Affinität zur ehemaligen DDR hatte. Mir war ganz wichtig, dass alle meine Sätze im Drehbuch die richtige Basis hatten. Die Schauspieler hätten mir sofort auf die Füße treten dürfen, wenn Sätze nicht stimmig gewesen wären. Zum Glück hatte ich gut recherchiert, dass das nicht nötig war. Die Westleute habe ich übrigens mit Westler besetzt, wie zum Beispiel Olli Dittrich als Vertreter.

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„Zwei zu eins“: Reger Warenverkehr. X Verleih bringt den Film am 25. Juli in die Kinos (Credit: X Verleih/Peter Hartwig)

Row Pictures und Zischlermann Produktion waren Ihre beiden Hauptproduzenten. Lichtblick, die Ihren ersten Film, „Alles in bester Ordnung“ produzierten, sind als Koproduzent dabei. Was es leicht, „Zwei zu eins“ nach Ihrem Erfolg mit „Alles in bester Ordnung“ vom Boden zu kriegen?

Natja Brunckhorst: Easy ist Filmfinanzierung nie. Das ist eine eigene Kunst. Aber es war tatsächlich so, dass dadurch, dass ich mit „Alles in bester Ordnung“ so vorgelegt hatte, wir mit diesem Erfolg in die Finanzierung gehen konnten. Das Projekt stand von Anfang an unter einen guten Stern. Alles hat gepasst, das Team hat wunderbar zusammen funktioniert. Wenn ich daran denke, wie liebevoll uns die Menschen in Gera aufgenommen haben, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut. Die Hausgemeinschaft habe ich mit Laiendarstellern aus Gera besetzt. Viele haben sich extra Urlaub genommen, um mitmachen zu können. Ich freue mich besonders, wenn wir mit der Kinotour nach Gera kommen. 

Zum Abschluss die Frage: Wie sehen Sie sich selbst als Regisseurin? 

Natja Brunckhorst: Ich hatte immer unglaublichen Respekt vor Regie, weil ich den Set-Betrieb, wie alle wissen, als 13-Jährige bereits erleben durfte. Ich hatte den Eindruck, Regisseure sind durchgängig im Einsatz, 16 Stunden am Tag werden sie mit Fragen gelöchert. Ich hatte großen Respekt vor diesem Beruf, weshalb ich wahrscheinlich auch so lange damit gewartet habe. Jetzt bin ich dankbar, für mich herausgefunden zu haben, dass Regie genau das ist, was am besten zu mir passt. Das Regieführen liegt mir. Ich habe den Zugang zu den Schauspielern durch das, was ich selbst vor der Kamera an Erfahrung sammeln konnte, und habe auch einen guten Zugang zur Technik. Ehrlich gesagt sind wir Regisseure alle Universaldilettanten, können alles ein bisschen und nichts richtig. Ich dachte anfangs immer, dass man als Regisseur alles wissen muss. Das stimmt aber nicht. Man muss sich gute Leute an Bord holen – das ist wichtig! – und denen einen guten Ort schaffen und selbst darauf achten, wie ein Tellerdreher alles miteinander zu vereinen. Deswegen steht auf meinem Plakat auch nicht „ein Film von…“, sondern nur ganz hinten „ein Film von und mit“. Der Film ist von uns allen.


Das Gespräch führte Barbara Schuster