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Sven Wälti: „Die SRG ist mittlerweile der größte Filmförderer in der Schweiz“

Sven Wälti, Leiter Film für die Schweizerische Radio und Fernsehgesellschaft SRG, über das Rekordjahr beim Pacte de l’audiovisuel, dessen Erhöhung für die nächsten vier Jahre, Entwicklungen bei den Schweizer Produzenten und die erste Koproduktion mit Netflix.

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Sven Wälti arbeitet seit 2012 als Leiter Film für die Schweizerische Radio und Fernsehgesellschaft SRG SSR mit Sitz in Bern. Er ist verantwortlich für den „Pacte de l’audiovisuel“, dem Koproduktionsabkommen zwischen der SRG SSR und der unabhängigen Filmbranche (Credit: SRG)

2023 war ein Rekordjahr für den Pacte de l’audiovisuel: Die SRG hätte 2023 laut Vertrag eigentlich „nur“ 32,5 Mio. Schweizer Franken in das Schweizer Filmschaffen investieren müssen. Es wurden dann aber mehr als 50 Mio. Schweizer Franken. Was hat dazu geführt? 

Sven Wälti: Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Pacte de l’audiovisuel ist traditionellerweise ein Vier-Jahres-Vertrag. Der jüngste ist Ende 2023 ausgelaufen. Spätestens zum Ende einer Periode müssen wir unsere Verpflichtungen erfüllt haben, die wir vertraglich eingegangen sind. Der Pacte 2020-2023 fiel in die Coronapandemie. Das heißt, in den ersten zwei Jahren, die der Pacte Gültigkeit hatte, wurde weniger produziert. Deshalb mussten wir 2023 aufholen, was wir in den Vorjahren nicht ausgegeben hatten. Das ist aber nur ein Teil der Erklärung für das Rekordjahr. Denn über das Koproduktionsabkommen des Pacte haben wir ja eine fixe Summe vereinbart. Damit die SRG alles, was sie machen will, auch mitproduzieren kann, braucht es mehr Geld. Deshalb haben wir noch zusätzliche Budgets, über die keine Verpflichtung herrscht gegenüber der Filmbranche. Es kommen also immer noch zusätzliche Mittel von den Sendern wie dem SRF, oder auch direkt von der Generaldirektion der SRG, um vor allem im Bereich fiktionale Serien mehr Geld investieren zu können. Das war auch ein entscheidender Grund, weshalb 2023 ein Rekordjahr war.

Mehr als 190 Filme und Serien wurden 2023 mit Geldern der SRG koproduziert. Eine ganze Menge…

Sven Wälti: Es war definitiv ein tolles Jahr für den Schweizer Film, es entstanden mehr Projekte als im Durchschnitt. Die Branche jammerte immer wieder, dass es zu wenig Fördergeld gibt. Aber eigentlich stimmt das gar nicht. Die SRG ist mittlerweile der größte Filmförderer, der größte Unterstützer von Schweizer Produktionen.

Das wird das BAK, die staatliche Filmförderung, nicht gerne hören, oder?

Sven Wälti: Man kann uns nicht vergleichen, weil wir keine klassische Filmförderung sind, sondern als Koproduzent in die Projekte einsteigen. Wir sind in einer doppelten Rolle unterwegs: zum einen durch die Verpflichtung gemäss Konzession, das Schweizer Filmschaffen zu fördern, zum anderen bekommen wir mit unserer Beteiligung natürlich die Sende- und Onlinerechte für die eigenen Distributionskanäle bekommen. Allein vom Betrag her geben wir aber das meiste Geld für die Filmbranche aus.

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Schweizer Serienhit, mit Geldern der SRG produziert: „Tschugger“; dieses Jahr startet noch die vierte und letzte Staffel (Credit: SRG)

Der Pacte wurde jüngst nicht nur um weitere vier Jahre verlängert, sondern sogar erhöht…

Sven Wälti: Durch gestiegene Produktionskosten haben wir das Budget um 1,5 Millionen Schweizer Franken auf 34 Millionen Schweizer Franken pro Jahr erhöht. Das ist unser Kommittent. Wir tun alles, damit diese Unterstützung eine verlässliche Säule bleibt. Allerdings hat die SRG derzeit größere Probleme, weil in der Schweiz eine erneute Volksinitiative versucht, die Medienabgabe zu senken. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind in ganz Europa unter Druck. Würde diese Volksabstimmung durchkommen, könnte das natürlich Auswirkungen auf die Finanzierung des Schweizer Films haben. 

Der Pacte entsteht zwischen der SRG und sieben Branchenverbänden. Ist das nicht oft auch ein Ringen und Kämpfen, bis man da zusammenkommt?

Sven Wälti: So schnell ging es schon lange nicht mehr. Den Pacte gibt es bald seit 30 Jahren. Ganz früher war das mit der Verlängerung immer alles recht einfach. Da traf sich der Generaldirektor bei einem schönen Festival wie Locarno mit der Filmbranche und regelte das bei einem Mittagessen. Doch mit der Veränderung des Marktes, vor allem mit Auftauchen der Plattformen, wurde es komplizierter. Wir hatten durchaus größere Diskussionen um die Onlinerechte. Das haben wir das vorletzte Mal lange verhandelt und haben eine Übereinkunft getroffen. Davon profitieren wir jetzt, weil wir den Punkt nicht noch mal neu definieren, sondern nur noch nachjustieren müssen. Es geht darum, die Position für alle Beteiligten zu verbessern. Dieses Mal war es uns allen wichtig, schnell positive Signale verbreiten zu können in Anbetracht dieser für die SRG etwas ungewissen Zeit. Wir wollten zeigen: Die Branche steht hinter der SRG und die SRG hinter der Branche.

An was wurde denn beim neuen Pacte nachjustiert?

Sven Wälti: Der Deal muss ja immer für beide Seiten interessant sein. Wir wollten die Online-Rechte für TV-Produktionen ein bisschen länger bekommen als im letzten Pacte, und zwar nicht nur sechs Monate, sondern neu 18 Monate. Neu ist auch, dass wir die Online-Rechte für alle Kinofilme bekommen. Vormals konnten die Produzenten beim Kinofilm die Rechte zurückbehalten. Die Frage für uns alle war nicht ob, sondern wann die SRG die Rechte bekommt. Deshalb haben wir uns auf eine längere Sperrfrist geeinigt, das heißt, die Produzenten haben im Gegenzug länger Zeit, die Kino-Filme bevor sie zu uns ins Free TV und auf unsere Onlineplattform Play Suisse kommen anderswo auszuwerten.

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„Heldin“ ist der neue Film von Petra Volpe (r.); Leonie Benesch (Mitte) spielt die Hauptrolle, Judith Kaufmann (l.) ist Kamerafrau (Credit: SRG)

Wie laufen die Einreichungen ab?

Sven Wälti: Es beginnt immer mit Eingaben in der jeweiligen Region, bestimmte Projekte werden auch national unterstützt. Einen Teil des Pacte-Budgets verteilen wir direkt an die Sender in den vier Sprachregionen. Gewisse Projekte, vor allem die größeren wie „Bon Schuur Tichino“, die schweizweit interessant sind, laufen über Bern und werden national besprochen.

Wie ist aus Ihrer Sicht die aktuelle Situation für die Produzenten in der Schweiz?

Sven Wälti: In der Schweiz ist in den letzten zehn Jahren viel dafür gemacht worden, dass es mehr Mittel gibt für die Filmproduktion, im Fernsehbereich, regional, erfolgsabhängige Modelle, Standortförderung etc… Und seit Januar 2024 greift nun auch die sogenannte „Lex Netflix“, die Plattformen dazu verpflichtet, in den Schweizer Film zu investieren. Das ist also insgesamt eine positive Entwicklung. Wir stellen aber auch fest, dass es viele Eingaben und auch unterfinanzierte Filme gibt. Deshalb haben wir im neuen Pacte beschlossen, die Erhöhung nicht dafür zu verwenden, noch mehr zu machen, sondern das mehr an Geld dafür verwenden, die Filme besser auszustatten. Ein anderer Punkt ist, dass wir mit vielen Diskussionen konfrontiert werden, dem Ruf nach besserer Bezahlung, weil Schauspielgagen nicht mehr angemessen sind, weil sich die Autorinnen und Autoren zu schlecht bezahlt fühlen… Es kommen von überall die Forderungen, dass für die erbrachten Leistungen mehr bezahlt werden muss. 

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Auch den neuen Film von Lisa Brühlmann, „When We Were Sisters“, hat die SRG koproduziert (Credit: Zodiac Pictures/Nikolas Leventakis)

Auf welche Koproduktionen aus dem Pacte darf man sich freuen?

Sven Wälti: Ende des Jahres lancieren wir mit dem Sender RTS die erste Koproduktion mit Netflix, „Winter Palace“. Wir haben die Erstausstrahlungsrechte, sieben Wochen später folgt dann Netflix. Die Zusammenarbeit hat gut geklappt. Allein hätten wir diese Serie nicht machen können, das war nur dank der Mitfinanzierung von Netflix möglich. „Davos 1917“ war auch so ein Beispiel, eine große Serie, die mit der ARD entstand. Große internationale Koproduktionen im Serienbereich werden immer wichtiger. Im Kino gibt es das schon lange. Wir beteiligen uns gerne auch als kleinerer Partner bei großen Produktionen aus Deutschland. Als kleines Land bekommen wir so Zugang zu großen Serien, die wir selbst nie hätten machen können. „Der Schwarm“ ist ein solches Beispiel.

Welche Highlights gibt es noch?

Sven Wälti: Ein weiteres Highlight ist sicher die vierte und letzte Staffel der Erfolgsserie „Tschugger“. Darauf freuen wir uns sehr. Dann sind wir stolz auf den neuen Film von Claude Barras, der nach „Mein Leben als Zucchini“ nun mit „Sauvages“ in Cannes Premiere feiert. Die Schweiz ist zudem Gastland beim Marché du Film und außerdem erstmals Austragungsort des Europäischen Filmpreises Ende des Jahres. Alles Ereignisse, von denen wir uns eine größere Sichtbarmachung und Wahrnehmung unseres Filmschaffens erhoffen. Mit Geldern der SRG sind zudem die neuen Kinofilme der beiden sehr talentierten Schweizer Regisseurinnen Petra Volpe und Lisa Brühlmann entstanden, „Heldin“ und „When We Were Sisters“. Ich durfte beide schon auf Stufe Rohschnitt sehen und kann sagen, dass ich sehr angetan bin. Von beiden Filmen erhoffen wir uns auch einen internationalen Erfolg.

Das Gespräch führte Barbara Schuster