Im Vorfeld der Diagonale haben wir mit Christine Dollhofer, Geschäftsführerin des Filmfonds Wien, gesprochen. Sie blickt zurück auf ein sehr erfolgreiches Förderjahr 2023 und freut sich über die Mittelerhöhung durch die Stadt Wien.
Das Jahr hätte nicht besser starten können für den Filmfonds Wien: Vier geförderte Filme und eine Serie auf der diesjährigen Berlinale, bereits nach Rotterdam zum IFFR wurden vom FFW unterstützte Projekte eingeladen, ebenso nach Sundance und zum Festival Max Ophüls Preis. Jetzt steht die Diagonale vor der Tür, wo sich sowieso alles um das aktuelle österreichische Filmschaffen dreht. Zeugnis einer florierenden Kreativlandschaft?
Christine Dollhofer: Das ist vor allem Zeugnis einer jahrelang gepflegten Förderpraxis, bei der es darum geht, sich breit aufzustellen und wirklich alle filmischen Formen vom Hybrid bis Family-Entertainment, vom Publikumsfilm hin zum künstlerischen Film zu berücksichtigen. In Österreich existiert eine Kinokultur, die sowohl in den kurzen Formaten über die experimentellen und animierten hin zu den dokumentarischen und narrativen sehr gut aufgestellt ist, auch in der internationalen Verwertung dank Institutionen wie Sixpack Films und Austrian Films. Schön ist auch, dass die Filmabteilung im BMKÖS und die Filmabteilung der Stadt Wien – beide für den innovativen Film zuständig, eine junge Generation aufbauen, aber auch den künstlerischen Film hochhält. Die kreativen Ideen des vorhandenen künstlerischen Pools können durch eine kontinuierliche Förderpolitik gedeihen, zu der auch die Unterstützung von Debüts, generell junger Talente, gehört. Was uns in Österreich außerdem zugute kommt, ist die relative Autonomie der Förderinstitutionen, weil die Sender ja erst im zweiten Schritt eingebunden sind. Das System mit einer Fachjury bzw. Auswahlkommission, beim FFW und beim Österreichischen Filminstitut, und nun in Folge ergänzend mit den neuen finanziellen Möglichkeiten durch das Anreizmodell funktioniert sehr gut.
Wenn wir ins Jahr 2023 zurückschauen, fällt auf, dass österreichische Filme nicht nur auf internationalen Festivals, sondern auch im heimischen Kino eine starke Präsenz hatten. Der Marktanteil lokaler Produktionen war schon viele Jahre nicht mehr so hoch…
Christine Dollhofer: Definitiv. Wir hatten vier Blockbuster, an denen alle der FFW beteiligt war, nämlich „Griechenland“, „Pulled Pork“, „Der Fuchs“ und „Neue Geschichten vom Franz“. Mich freut sehr, dass auch mehrere Dokumentarfilme vergangenes Jahr bis zu 30.000 Besucher:innen verzeichnen konnten. Sehr gut liefen zum Beispiel „Feminism WTF“ oder die „Elfriede Jelinek“-Doku im Kino. Auch hier zeichnet sich wieder die Bandbreite ab. Publikumserfolge im heimischen Kino sind natürlich super. Allerdings darf man die weiteren Auswertungsphasen wie Streaming oder TV-Ausstrahlung, wo die Filme ebenso gut performen, nicht vergessen. Und auch Filme, die im heimischen Kino vielleicht nicht so gut performen, wurden dafür international gut verkauft bzw. wurden auf zahlreichen Festivals gefeiert. Bei der Erstellung der Erfolgsbilanz sollten immer alle Verwertungskomponenten herangezogen werden.
Blicken wir auf den Filmfonds Wien: Wie fällt Ihre Bilanz des letztjährigen Förderjahrs aus?
Christine Dollhofer: 2023 war geprägt von vielen Neuerungen und Initiativen. Die Implementierung des neuen Fördermodells mit ÖFI+, FISA+, Wertschöpfungsbonus und Exzellenzbonus zum 1. Januar 2023 spielte eine große Rolle. Seither wird viel Kapital in den Markt gespült, insgesamt ist dadurch sehr viel Bewegung in die Branche gekommen, viele neue Finanzierungsmodule und viel Internationalität. Bezeichnend war 2023 auch deshalb, weil in einer ausklingenden Phase der Corona-Pandemie sehr viele Projekte entwickelt, gedreht und herausgebracht wurden. Der Verwertungsstau hat sich langsam aufgelöst. Außerdem standen und stehen zahlreiche strukturelle und allgemein gesellschaftsbezogene Änderungen im Produktionsprozess an, wie Green Producing, der Code of Ethics, das Kinderschutzkonzept, das nun verpflichtend eingebracht wird. In der Auseinandersetzung innerhalb der Branche hat sich das Bewusstsein für diese Themen durchaus geschärft. Auch das Gender Budgeting hat sich bei uns ohne große Querelen eingegroovt. Wir haben 2023 schon die 50 Prozent bei der Herstellung von Kinofilmen überschritten. Letztes Jahr ist wirklich viel passiert!
Wie würden Sie die Lage der Filmbranche in Österreich beschreiben?
Christine Dollhofer: Für die Produktionsfirmen sind die neuen Gegebenheiten ebenfalls herausfordernd und bedeuten auch, sich den oben angeführten Aufgaben zu stellen. Aktuell sind die Kollektivverträge neu verhandelt worden, die Teuerungen auf allen Ebenen sind eine weitere Problematik. Insgesamt ist das Antragsaufkommen aber enorm gestiegen, sprich, der Wettbewerb ist noch härter geworden. Ich nenne es immer den Wettbewerb der guten Projekte. Manchmal weiß man gar nicht mehr, welches tolle Projekt man als erstes unterstützen soll. Sehr positiv ist das Zusammenspiel der österreichischen Förderstellen und Interessenvertretungen. Alle ziehen an einem Strang, tauschen sich aus, kommunizieren gemeinsam. Das bringt uns alle voran und war nicht immer so.
Das neue Anreizmodell hat die österreichische Filmwirtschaft ordentlich gepusht und pusht sie auch weiterhin. Inwiefern tangiert es die Arbeit des FFW? Was spüren Sie?
Christine Dollhofer: Wir haben 2024 erfreulicherweise eine Mittelerhöhung von zwei Mio. Euro erhalten, auf gesamt 13,5 Mio. Euro Jahresbudget für alle unsere Förderschienen und die Verwaltung. Seit Einführung des Incentives erhalten wir spürbar mehr Anträge für minoritäre Koproduktionen. Durch ÖFI+ aber auch durch den Wertschöpfungsbonus kann in Österreich internationales Geld aufgestockt werden. Da ist es attraktiv und eben lukrativ, als österreichische Firma auch minoritär bei Projekten einzusteigen. Nicht nur schafft so etwas neue Netzwerke und neue Firmenzusammenschlüsse, es steigert auch die Professionalisierung. Außerdem merken wir, dass seit Einführung von ÖFI+ auch kleinere Projekte öfter zum Zuge kommen, weil sie nun zusätzliche Fördersäulen anzapfen können. Das sind Projekte, die traditionell zunächst einmal BMKÖS-gefördert werden und dann noch die Kombination FFW bzw. andere Länderförderungen und ÖFI+ holen können. Ein weiterer Punkt ist, dass die Antragshöhen, die bei uns gestellt werden, seit Einführung von ÖFI+ etwas geringer ausfallen, auch aufgrund des Wissens, dass in unserem selektiven Fördertopf nicht so viel Geld enthalten ist wie beim ÖFI. Wir müssen mit unseren Mitteln besser haushalten, haben ja auch zum Beispiel noch die TV-Förderung zu bedienen.
Um das Anreizmodell wurde bekannterweise viele Jahre gekämpft. Sind Sie zuversichtlich, dass die Branche darauf nun für immer und ewig bauen kann?
Christine Dollhofer: Wohin die Reise kulturpolitisch nach den Wahlen im Herbst geht, ist ungewiss. Das Incentive ist daher nicht für ewig in Stein gemeißelt. Wichtig ist die regelmäßige Evaluierung, damit alle sehen, schwarz auf weiß, welche Wertschöpfung er mit sich bringt. Wir müssen immer gut kommunizieren, warum wir die Mittel brauchen, was sie einer Volkswirtschaft bringen. Beim Film ist es besonders schwierig, weil er einerseits eine Kunstform, andererseits ein Wirtschaftsfaktor ist. Das Geld des FFW kommt zu 100 Prozent aus der Kulturförderung, nicht aus einem Wirtschaftstopf. Deshalb haben wir auch die Aufgabe, die Filmkultur zu befördern und die in Wien lebenden Filmschaffende zu begünstigen.
Die genaue Verteilung des Gender Budgeting in der größten Förderschiene des Filmfonds Wien betrug nach der vierten und letzten Förderrunde 2023 52,5 Prozent weiblicher Anteil und 47,5 Prozent männlicher Anteil. Waren Sie überrascht, dass die 50:50-Quote so schnell erreicht werden konnte?
Christine Dollhofer: Als der FFW und das ÖFI Gender Budgeting angekündigt hatten, gab es kurz Bedenken. Mittlerweile bekommen wir keine negativen Rückmeldungen mehr. Alle haben verstanden, dass sich nicht wahnsinnig viel verändert hat. Ich sage immer: Wo ist das Problem? 50 Prozent des Geldes ist ja auch für die männlichen Kollegen reserviert. Es ist auch nicht so, dass wir mit Taschenrechnern in der Jurysitzung sitzen. Wir beschäftigen uns mit den einzelnen Projekten. Das 50/50-Verhältnis hat sich ganz natürlich ergeben. Eine Schwankungsbreite von fünf Prozent ist vorgesehen – es kann also auch sein, dass 2024 das Pendel wieder leicht in die andere Richtung schlägt. Es soll ein flexibles Modell bleiben. Wichtig ist, dass es in den Köpfen angekommen ist, dass man als Produktionsfirma darauf achtet, welche Stoffe man entwickelt, welche jungen Talente da sind. In den letzten Jahren wurden viele Kreative aufgebaut in den Bereichen Drehbuch, Regie, auch in der Produktion. Es hat sich einiges getan.
Im jüngsten Förderbericht war auffallend, dass es im Bereich Herstellung/Kinofilm 2023 33 Prozent weniger Zusagen gab als 2022. Sind Schwankungen in dieser Größenordnung normal?
Christine Dollhofer: Hier muss man wissen, dass wir 2021/2022 insofern sehr viele Anträge und Zusagen hatten bzw. geben konnten, weil es die Covid-Überschreitungsreserve gab, die zusätzlich für die Projekte als Antrag in der Statistik aufschlägt. Diese Schwankung ist also eher ein Ausreißer, ein unsauberer Vergleich. Besser ist es, 2019 mit 2023 zu vergleichen: Die Anzahl der Anträge ist um fast 100 gestiegen, das Antragsvolumen ist um fast acht Mio. Euro gestiegen. 2019 konnten wir in der Herstellung noch 47 Prozent der Projekte zusagen, jetzt sind es nur noch 37 Prozent. Wobei es Bereiche gibt wie die Strukturförderung, also Institutionen etc. oder die TV-Förderung, wo wir mit nahezu 100 Prozent fördern konnten und damit auf alle Fälle mehr als 2019. Das Budget im Bereich Herstellung/Kino ist einfach sehr limitiert. 2023 hatten wir hier 71 Anträge, von denen wir 26 zusagen konnten, also gerade mal ein Drittel. Das wird noch weniger werden, weil das Antragsvolumen stetig steigt.
Viele Produzenten sehen den Fachkräftemangel trotz erhöhtem Produktionsaufkommen nicht mehr als vordergründiges Problem. Wie spiegelt sich Ihnen die Situation?
Christine Dollhofer: 2023 war der Fachkräftemangel schon noch ziemlich virulent. Ich würde aber zustimmen, dass sich die Lage beruhigt hat. Aber die Babyboomer gehen bald in Pension, Nachwuchs braucht die Filmbranche auf alle Fälle. Wichtig ist vor allem eine gute Qualifizierung. Es gibt seitens der Wirtschaftskammer und anderen Interessenvertretungen die Bemühungen, Ausbildungen in der Filmbranche voranzutreiben. Das Bewusstsein, dass man in die Ausbildung investieren, attraktive Arbeitsbedingungen schaffen muss, um gute Leute für Filmberufe zu begeistern, ist da. In Ländern wie Deutschland hat sich das Thema Fachkräftemangel soweit ich höre etwas beruhigt, nachdem die Streamer so vorsichtig agieren und weniger produzieren. Aber der Arbeitsmarkt wird sich auch mit den globalen Entwicklungen – Stichwort AI – weiter verändern. Wichtig scheint mir vor allem attraktive Arbeitsbedingungen schaffen.
Green-Filming-Regularien hat der FFW schon lange verpflichtend implementiert. Gibt es dennoch Stellschrauben, an denen nachgebessert werden müsste?
Christine Dollhofer: Sowohl beim FFW als auch beim ÖFI und allen anderen Förderstellen ist es verpflichtend, einen Green Film Consultant für die Herstellung heranzuziehen. Diese Kosten werden anerkannt. Das ist natürlich ein Mehraufwand, aber durch das Heranziehen ausgebildeter Expert:innen, wird das Bewusstsein für Green Filming in die Breite getragen. Die Krux liegt ein wenig in der Überprüfung. Das ÖFI hat hier -federführend mit Nina Hauser – eine eigene Abteilung aufgebaut. Auch die LAFC hat Pionierleistung mit dem Evergreen Prisma geleistet. Wir können nur froh sein, dass wir engagierte und qualifizierte Leute in Österreich haben, die das Thema vorantreiben. Es geht vor allem darum, Daten zu erheben und zu evaluieren, um genau die Bereiche ausfindig zu machen, an denen wir noch nachjustieren müssen. Wir Förderinstitutionen tragen mit den Auflagen von einzulösenden Regionaleffekten nicht immer dazu bei, den Co2-Ausstoß zu verringern. Da müssen wir uns auch noch bewegen.
Gutes Stichwort: Regionaleffekt. Wie hoch war dieser beim FFW 2023?
Christine Dollhofer: Jeder Fördereuro in der Film- und TV-Herstellung hat fünf Euro Investition in die Wiener Filmbranche ausgelöst. Darauf sind wir sehr stolz. Das ist wohlgemerkt der reine Wiener Filmbrancheneffekt, der die weiteren (volks)wirtschaftlichen Effekte noch gar nicht mitrechnet, sondern nur die Ausgaben in der Filmbranche.
Was steht konkret an beim Filmfonds Wien? Welche Dinge stehen auf der To-Do-Liste?
Christine Dollhofer: Was die betriebsinterne Organisation betrifft, konnten wir glücklicherweise unlängst einen Haken hinter das nunmehr rein onlinebasierte Einreichsystem setzen. Die große Herausforderung wird sein, mit den neuen, uns zur Verfügung gestellten Mitteln auf der einen und dem erhöhten Antragsvolumen auf der anderen Seite weise Entscheidungen zu treffen. Und die Maßnahmen für Green Producing, Gender Budgeting, Code of Ethics oder Kinderschutzgesetz in der Praxis wirken zu lassen. Allgemein gesprochen, wird durch FISA+ wahnsinnig viel Umsatz nach Österreich transferiert, zahlreiche Projekte werden in Wien gedreht, viele Serviceproduktionen, die der FFW gemäß den Richtlinien gar nicht unterstützen könnte, die aber dennoch gut für den Standort sind. Für uns ist die Serienentwicklung ein spannendes Thema. Wir sind die einzige Förderung in Österreich, die die Entwicklung von Serienformaten fördert. Ich freue mich, dass wir die erste eigenproduzierte Prime-Video-Serie, „Beasts Like Us“ von Rundfilm, gefördert haben. Das Folgeprojekt „Drunter und Drüber“ haben wir ebenfalls unterstützt. Was das Kino betrifft, hoffe ich, dass die österreichische Branche ihre Erfolgsgeschichte mit Publikumserfolgen wie derzeit Josef Haders „Andrea lässt sich scheiden“ und Festivalerfolgen wie „Des Teufels Bad“ und „Mit einem Tiger schlafen“ (beide zur Zeit noch vor Kinostart) fortschreiben wird.
Barbara Schuster