Welche Spuren hinterlässt die angespannte Auftragssituation auf Ebene einer Agentur und ihrer Klientinnen und Klienten? Wir sprachen mit der Inhaberin der Agentur Schlag über erheblichen Umsatzrückgang, schwierige Zeiten – aber auch die positiven Perspektiven, die nicht zuletzt eine Förderreform bieten kann.
Wie schwierig die momentane Auftragslage ist, haben in den vergangenen Monaten nicht zuletzt Produktionsverbände und filmtechnische Dienstleister mit teils düsteren Stimmungsbildern aus dem Mitgliedskreis wiederholt deutlich gemacht. Wir haben mit Antje Schlag, Agentin und Inhaberin der Agentur Schlag darüber gesprochen, wie sich die aktuelle Lage auf ihr Geschäft und die Situation der Klientinnen und Klienten auswirkt – und darüber, welche positiven Perspektiven es trotz aktuell angespannten Klimas gibt.
Produktionswirtschaft und filmtechnische Dienstleister haben in den vergangenen Monaten mit ihren Klagen über ein zunehmend prekäres Geschäftsklima immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Ein solcher Abwärtstrend kann an einer Agentur ja nicht spurlos vorübergehen…
Antje Schlag: Selbstverständlich nicht. Der allgemein zu verzeichnende Auftragsrückgang bedeutet auch deutlich weniger Angebote für unsere Klientinnen und Klienten – und das über alle Bereiche hinweg. Ausgehend vom Verlauf der ersten Monate dieses Jahres und der aktuellen Beauftragungssituation müssen wir uns auf einen Umsatzrückgang von wenigstens 20 bis 30 Prozent in diesem Jahr einstellen. Die bisherigen Mindereinnahmen werden wir bis 2025 nicht aufholen können. Das ist schon ein ordentlicher Schlag ins Kontor.
Konzentrieren sich die Auftragsrückgänge auf bestimmte Bereiche bzw. auf bestimmte Auftraggeber?
Antje Schlag: Vor allem der komplette Ausstieg von Sky aus der Eigenproduktion und der Quasi-Wegbruch von Paramount+ durch deren strikten Sparkurs haben uns bzw. unsere Klient:innen wirklich hart getroffen, ebenso wie die zögerliche Beauftragung durch die bestellenden Streamingdienste. Nicht, weil wir ausschließlich auf das Streamingpferd gesetzt hätten – aber gerade dieser Bereich hatte in den vergangenen Jahren enorme Perspektiven eröffnet. Zum einen, weil dort eine sehr engagierte Umwerbung von Talents stattfand, die sich auch in entsprechenden Honoraren ausdrückte. Zum anderen aber nicht zuletzt deswegen, weil diese Auftraggeber auch inhaltlich teils völlig neue Wege beschreiten wollten. Weil sie andere Genres ermöglichten, Vielfalt in jeder Hinsicht forderten – und damit auch Türen für den Nachwuchs geöffnet haben. Umso stärker schmerzen die Einschnitte und Absagen von auch schon fertig entwickelten Projekten, die – teils sehr kurzfristig entschieden – nicht mehr ins Portfolio gepasst haben.
„Der Quotendruck nimmt massiv zu, auf Ebene der Auftraggeber werden vor allem hochkommerzielle Inhalte gefragt sein.“
Antje Schlag
Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Auftraggeber denn da der Fels in der Brandung?
Antje Schlag: Jein, zumindest nicht in der aktuellen Situation. Denn mit dem Umbau der Mediatheken und der immer stärkeren Fokussierung auf den nicht-linearen Bereich erleben wir auch dort aktuell eine ganz andere Beauftragungssituation als noch vor einigen Jahren. Man sortiert sich dort gerade an vielen Stellen ganz neu.
Was heißt das konkret?
Antje Schlag: Auch bei den öffentlich-rechtlichen Auftraggebern wird progressiver entwickelt und umso natürlicher ist es, dass da Veränderungen von linearen Sehgewohnheiten zu Mediathekenangeboten ihre Zeit brauchen. Es dauert aktuell einfach länger, bis ein neues Format tatsächlich beauftragt wird. Noch vor einem Jahr konnte mitunter ein Konzept ausreichen, um in den Redaktionen zu begeistern, heute darf es wenigstens eine zweite oder dritte Fassung sein, weil immer neu an den Sachen entwickelt wird. Das liegt daran, dass man sich noch in einer Findungsphase dahingehend befindet, was eigentlich der richtige Content für diese „neuen“ Ausspielwege ist. Was leider nicht nur bedeutet, dass enorm viel Zeit bis zu einer tatsächlichen Beauftragung vergehen kann. Sondern dass zuletzt eben auch Projekte in einem fortgeschrittenen Stadium nicht zur Realisierung kamen. Das mag sich auf Sicht wieder einpendeln, trägt in der aktuellen Gemengelage aber natürlich zu einem insgesamt dramatischen Auftragsrückgang bei.
Produktionsallianz-CEO Björn Böhning sprach unlängst davon, dass etliche Produktionen in der Hoffnung zurückgehalten würden, sie in 2025 auf erheblich bessere Förderbeine stellen zu können.
Antje Schlag: Das mag in einzelnen Bereichen, die besonders stark an Filmförderungsmechanismen hängen, womöglich so sein. Zumindest von unserer Warte aus kann ich es ad hoc nicht bestätigen. Ich denke, dass niemand, der es geschafft hat, sich die Finanzierung für ein Projekt zu sichern – was gerade im Arthouse-Segment regelmäßig mehrere Jahre dauert – sich jetzt noch in eine Warteschleife begibt, nur um sich dann potenziell in eine Flut von Anträgen einzureihen. Ich denke, dass man da eher nimmt, was man jetzt bekommen kann.
„In meinem Beruf „Ermöglicherin“ sein zu können, erfüllt mich.“
Antje Schlag
Worauf stellen Sie sich perspektivisch ein?
Antje Schlag: Realistisch betrachtet werden wir uns darauf einstellen müssen, dass wir so schnell nicht wieder zu einer Beauftragungssituation wie in den zurückliegenden Jahren des Booms gelangen werden. Aber es wird sich wie gesagt einpendeln. Ich sehe die Zäsur gerade auch auf der inhaltlichen Ebene: Wir bewegen uns auf allen Ebenen sehr stark in Richtung der „Bestseller“, auch in den öffentlich-rechtlichen Mediatheken. Der Quotendruck nimmt massiv zu, auf Ebene der Auftraggeber werden vor allem hochkommerzielle Inhalte gefragt sein – zulasten der Progressivität, dem Mut zum Neuen. Zugunsten hoffentlich eines hohen Publikumszuspruchs, was ja wiederum uns allen auch helfen wird.
Könnte eine Investitionsverpflichtung etwas an potenziell negativen Entwicklungen ändern, was „Progessivität“ und „Mut“ anbelangt?
Antje Schlag: Absolut! Tatsächlich denke ich, dass ein solches Instrument die einzige Möglichkeit ist, wie in Deutschland künftig noch echtes Arthouse entstehen kann. Wobei der grundsätzlich mit Abstand wichtigste Punkt in der gesamten Förderdiskussion aus meiner Sicht ist: Wir benötigen eine stabile Produktionslandschaft. Planbarkeit und Verlässlichkeit zählen zu den wichtigsten Faktoren in unserem Geschäft – und die kann es auf Seite der Agenturen nur geben, wenn es sie bei den Produzent:innen gibt. Wenn sich die Landschaft auf deren Seite verengt, wenn Projekte nur noch in Großkonzernstrukturen realisierbar sind, dann geht das nicht nur zulasten der Vielfalt, sondern uns gehen wichtige Ansprechpartner verloren. Deswegen bedürfen gerade die unabhängigen Produktionsunternehmen einer Stärkung – und die kann nicht zuletzt darüber hergestellt werden, ihre Situation bei den Rechten zu verbessern. Deswegen denke ich auch, dass die Förderreform in ihrer angedachten Form absolut in die richtige Richtung geht; man muss nur leider abwarten, was tatsächlich wann umgesetzt wird.
„Die besondere Herausforderung im Nachwuchsbereich liegt (…) darin, Produktion und Verleih für frische Gesichter zu begeistern.“
Antje Schlag
Wie geht es Ihren Klientinnen und Klienten in der aktuellen Situation?
Antje Schlag: Natürlich gibt es teils erhebliche Unterschiede. Wer zum Beispiel als Schauspielerin oder Schauspieler in einer der langlebigen Reihen der Öffentlich-Rechtlichen engagiert ist, hat zumindest kontinuierlich Arbeit und damit eine gewisse Grundversorgung. Andere, die üblicherweise die Perspektive auf ein bis drei Projekte im Jahr hatten, sind momentan oft sehr bemüht, Anstellung zu finden. Grundsätzlich muss man leider schon davon sprechen, dass seit vergangenem Sommer über sämtliche Gewerke hinweg große Verunsicherung und Unzufriedenheit herrschen, vereinzelt hören wir auch schon von ernsthaften finanziellen Problemen. Dass Sky auf Krisenkurs war, mag ja noch erkennbar gewesen sein – aber der Dominoeffekt, den das auslöste, war so nicht absehbar. Besonders schmerzhaft ist das natürlich für diejenigen, die von den Streamern zuvor besonders umworben waren und die im Vertrauen auf dortige Projekte weniger offen für andere Offerten waren. Gerade unter den Autorinnen und Autoren gab es einige, die eigentlich davon ausgehen durften, auf zwei bis drei Jahre ausgebucht zu sein – und die mit der Nichterteilung bzw. der Rücknahme von Aufträgen jetzt wirklich im Regen stehen.
Wie geht man auf Agenturseite damit um?
Antje Schlag: Ein wenig gilt es neben unserem täglichen Geschäft aktuell schon auch, die Motivation bei den Kreativen hochzuhalten. Ich denke nicht, dass es an grundsätzlichen Perspektiven fehlt. Aber es ist schon nicht wenig verlangt, inspirierend zu agieren, wenn das Geld zuhause knapp wird. Worauf wir zunehmend Gewicht legen, ist, unsere Klientinnen und Klienten stärker miteinander zu verknüpfen; die Regie für unsere Talente im Bereich Schauspiel zu interessieren; auf Ebene des Drehbuchs anzuregen, unsere Kreativen in den Blick zu nehmen. Eine unserer Stärken ist, dass wir mehrere Schlüsselgewerke vertreten und wir mit deren Verknüpfung auch stärker in eine Angebotsrolle gelangen. Grundsätzlich sind wir als Agentur schon seit geraumer Zeit bestrebt, uns in Richtung jener Formate zu orientieren, von denen wir glauben, dass sie künftig eine wichtige Rolle einnehmen. Nicht nur aus diesem Grund legen wir besonderen Wert darauf, herausragende Talente im Nachwuchsbereich zu finden. Die besondere Herausforderung im Nachwuchsbereich liegt – umso mehr in einer angespannten Beauftragungssituation – darin, Produktion und Verleih für frische Gesichter zu begeistern.
Ist der Markt denn grundsätzlich durchlässig genug für Nachwuchskräfte – und falls nicht, müsste man das über Förderregularien adressieren?
Antje Schlag: Am Ende des Tages muss jede Produzentin und jeder Produzent selbst einschätzen, ob man ein Projekt auf Ebene von Schlüsselpositionen wie Regie oder Kamera einem Nachwuchstalent anvertrauen kann und will. Das wird immer eine Abwägung sein. Zwischen einer gewissen Sicherheit bei der Arbeit mit vertrauten Personen und der Chance auf frische Ideen, auf eine neue Dynamik. Daneben steht dann noch die Honorarfrage. Ich denke, das wird sich grundsätzlich die Waage halten – aber natürlich wäre es uns ein Anliegen, wenn es mehr Formate gäbe, die dem Nachwuchs die Chance bieten, tatsächlich in den Vordergrund zu treten. Denn wir sehen ja schon qua unserer Arbeit, wie viele wahnsinnig großartige Talente Jahr für Jahr aus den Hochschulen kommen – und ich frage mich wirklich, wie die Mehrheit dieser tollen Menschen jemals in eine nicht-prekäre Beschäftigungssituation gelangen will…
Haben Sie denn den Eindruck, dass in den Schlüsselgewerken hierzulande über Bedarf ausgebildet wird?
Antje Schlag: Ehrlich gesagt ja. Aber ich wäre nicht diejenige, die an dieser Stelle Einschnitte fordern könnte. Ich schätze die hiesige Hochschullandschaft extrem und ich bin Jahr für Jahr aufs Neue davon begeistert, was für spannende Leute von dort kommen – und mit welchen Visionen sie in der Branche Fuß zu fassen versuchen. In meinem Beruf „Ermöglicherin“ sein zu können, erfüllt mich.
Wie sehr beschäftigt Sie denn bereits das Thema KI und dessen potenzielle Auswirkungen auf Bereiche wie Drehbuch und Schauspiel?
Antje Schlag: Im Schauspielbereich sehe ich im Moment ehrlich gesagt noch überhaupt keine Bestrebungen, das Spiel einer echten Person durch KI zu ersetzen. Das heißt nicht, dass man insbesondere auf Ebene der Verbände dieses Thema nicht frühzeitig adressieren müsste, ich sehe es nur noch nicht als Problem in der Praxis. Ein wenig anders sieht das schon beim Drehbuch aus. Keine Autorin und kein Autor würde wohl behaupten, dass ihre Arbeit komplett ersetzt werden könnte. Aber es wird auch auf deren Ebene längst mit Tools gearbeitet, die z.B. die Recherche erleichtern. Die Ironie ist momentan, dass man es auf Produktionsseite wissen will, wenn beim Erstellen eines Drehbuchs auch KI zum Einsatz kam, man es umgekehrt aber nicht offenlegt, wenn man Entwürfe seinerseits mittels KI überarbeitet… Das Kernproblem an der ganzen Debatte ist: Die Entwicklung ist so rasant vorangeschritten, dass niemand sagen kann, wie die Situation in einigen Jahren aussieht: Welcher rechtliche Rahmen existiert, was die Tools tatsächlich können und was das Ganze kostet. Heute würde man noch ein Vielfaches einer Gage aufwenden müssen, um einen „virtuellen Schauspieler“ einzusetzen – ohne dasselbe emotionale Resultat erhalten zu können. Ist es tatsächlich denkbar, dass sich das ändert? Dass angesichts einer unberechenbaren Entwicklung teils enorme Beunruhigung und Irritation herrscht, liegt in der Natur der Sache. Ja, Dinge verändern sich. Teils immer schneller. Und die Zeiten, in denen der kreative Nachwuchs die Hochschulen in Erwartung dauerhafter Beschäftigung verlassen konnte, sind wohl leider erst einmal vorbei. Umso wichtiger ist es aber, mit derselben Dynamik aufzutreten, die der Markt zeigt…
Sie können trotz der Herausforderungen optimistisch nach vorne blicken?
Antje Schlag: Nicht nur können. Müssen. Wobei das nicht etwa nur „Zweckoptimismus“ ist. Zum einen, weil ich meine Agentur in einer guten Position sehe, sich langfristig an die Veränderungen im Markt anzupassen. Zum anderen gibt es gerade die Chance, ganz wesentliche Rahmenbedingungen für die Branche auf politischer Ebene zu verbessern. Dafür drücke ich ganz entschlossen die Daumen!
Marc Mensch