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TORONTO-Snapspot 1: Raus aus der Talsohle

Seit Donnerstag läuft das 49. Toronto International Film Festival. Bis vor wenigen Jahren war das TIFF die erste Adresse unter den Herbstfestivals, wurde aber mittlerweile von Venedig und Telluride überholt. Unser Gastautor Jason Gorber, ein renommierter Filmjournalist aus Toronto, wirft für SPOT einen Blick auf den Status Quo. Und was kommen könnte.

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Das Toronto International Film Festival (Credit: SPOT)

Die letzten Jahre waren für das Toronto International Film Festival eine Herausforderung. Seit 2019, dem gefühlten Höhepunkt seiner mehr als zehnjährigen Dominanz in der Herbstfestivalsaison, hat es einige schwere Wunden erlitten, die meisten davon außerhalb seiner Kontrolle, einige aber auch selbst verschuldet.

Im Jahr 2020 wirkte sich die weltweite Pandemie auf das Festival in einer Weise aus, die existenziell besorgniserregend war und zu Drive-in-Vorführungen und einem Stay-at-home-Modell führte. In den Jahren 2021 und 2022 erholte sich die Lage langsam, aber dann begann Venedig unter der Leitung von Alberto Barbera damit, Titel abzuwerben, die zuvor ein sicherer Kandidat für das TIFF gewesen wären. 

Im Jahr 2023 schränkten die Streiks der WGA und der SAG die Anzahl der Filmschaffenden, die hier auf den roten Teppichen zu sehen waren, stark ein – ein wichtiger Faktor für die Ticketverkäufe und die internationale Begeisterung. Schlimmer noch, der Versuch, diese Einschränkung zu umgehen, indem man eine Reihe von Erstlingsfilmen etablierter Stars programmierte – die DGA akzeptierte die Vertragsbedingungen, nach denen ein Schauspieler/Regisseur an den Premieren teilnehmen konnte -, ging in erheblichem Maße nach hinten los. Viele der Filme waren bestenfalls vergessenswert, schlimmstenfalls lächerlich, und selbst dann machte sich eine beträchtliche Anzahl dieser vermeintlichen Stars nicht die Mühe, die Enge ihres Zuhauses zu verlassen, um der Veranstaltung beizuwohnen.

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Amy Adams in „Nightbitch“ (Credit: © 2024 Searchlight Pictures)

Darüber hinaus waren viele der Top-Filme von Venedig 2023, darunter der Oscar-Preisträger „Poor Things“ sowie nominierte Filme wie „Maestro“ und „Ferrari“, in den vergangenen Jahren genau die Art von Filmen, die darum betteln gebettelt hätten, sich zuerst dem TIFF-Publikum zu präsentieren. Hinzu kommt der gleichzeitige Aufstieg von Telluride, der damit begann, dass dort heimliche Sneaks von bereits für Toronto als Weltpremiere angekündigte Titel für das exklusive, unverhältnismäßig wohlhabende Publikum des TIFF stattfanden, von denen viele Mitglieder der Academy sind.

Abgesehen von den Sorgen um Pandemie und Streiks ist es dieser Doppelschlag, gepaart mit klugen Schachzügen von New York und London, der verändert, wie sich das TIFF aufstellt, künftig um die Rolle des globalen Anführers der Herbstfestivalsaison zu kämpfen.

So ist das TIFF 2024 vor allem ein Versuch, sich selbst zu behaupten und nicht nur die Tradition des „Festival of Festivals“ fortzusetzen, die vor fast fünf Jahrzehnten die Grundlage für seine Finanzierung war, sondern auch zu zeigen, wie relevant es für das internationale Publikum und die Filmemacher bleibt.

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Brían F. O’Byrne und Ralph Fiennes in Edward Bergers „Konklave“ (Credit: Focus Features)

Zumindest auf dem Papier besteht die Hoffnung auf einen massiven Zustrom sowohl von Zuschauern als auch von Filmen, die einen Großteil des diesjährigen filmischen Diskurses ausmachen werden. Natürlich feiern viele kanadische Filme hier ihre Weltpremiere, wie Kaniehtiio Horns indigener Rachethriller „Seeds“, während andere, wie Matthew Rankins sublimer „Universal Language“ (Kanadas Beitrag für den besten internationalen Film bei der Oscarverleihung im nächsten Jahr) oder David Cronenbergs neuester Film „The Shrouds“, bereits im Mai in Cannes zu sehen waren.

Zu den wichtigsten Weltpremieren, die das TIFF zu bieten hat, gehören „Nightbitch“ von Marielle Heller, das Disney+-Debüt von Elton Johns Bio-Doku „Never Too Late“, „Der wilde Roboter“ von DreamWorks Animation, Ron Howards „Eden“ mit Jude LawDaniel Brühl und Sydney Sweeney, „We Live in Time“ mit Florence Pugh und Andrew Garfield sowie „K-Pops“, eine Dramödie von Superstar-Schlagzeuger Anderson .Paak.

Mike Flanagan, dessen „Oculus“ hier 2013 im Rahmen der Midnight Madness Premiere feierte, stellte seine Adaption von Stephen Kings Novelle „The Life of Chuck“ vor und erntete begeisterte Reaktionen, während die kanadische Ikone Pamela Anderson in Gia Coppolas „The Last Showgirl“ von einem Ensemble begleitet wurde, zu dem auch die aktuelle Oscar-Preisträgerin Jamie Lee Curtis gehört.

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Postermotiv: „We Live In Time“ mit Andrew Garfield und Florence Pugh (Credit: Studiocanal)

Nick Hamms „Wilhelm Tell“, Karrie Crouses „Hold Your Breath“, Max Minghellas „Shell“, Samir Oliveros‘The Luckiest Man in America“ und Marianne Elliotts „Der Salzpfad“ sind nur einige der vielen weiteren Filme, die zum ersten Mal in Toronto gezeigt werden.

Die King Street, die am ersten Wochenende des Festivals gesperrt ist, wirkt etwas spärlicher als sonst, aber die Vorführungen sind voll, die Warteschlangen lang und die roten Teppiche mit vielen Stars geschmückt, von A-Listen-Talenten bis hin zu Newcomern, die man beobachten sollte. Die Zahl der Filme, die das TIFF komplett gemieden haben, ist zurückgegangen, und für jedes Venedig-Schaufenster wie „Joker: Folie à Deux“, der die Reise nach Toronto gescheut hat, werden Filme wie der außergewöhnliche „Konklave“ hier nach Telluride zu sehen sein.

Das Gefühl nach nur wenigen Tagen lässt sich am besten als vorsichtig optimistisch beschreiben. In einem Jahr, das im Vergleich zur glorreichen Hochphase 2019, die noch in der Luft hängt, bereits ein eher mittelmäßiges Filmjahr ist, gibt es immer noch ein Gefühl für die Entdeckung neuer Titel, aber auch für einen weiteren Schub für Fest-Favoriten wie den Palme d’Or-Gewinner „Anora“ von Sean Baker, die aktuelle Berlinale-Doku „No Other Land“ oder den Preisträger des Münchner Filmfests, „Sad Jokes“ von Fabian Stumm.

Wie viele dieser Titel bei Kritikern und Publikum gleichermaßen ankommen werden, wird sich erst zeigen, wenn sich das Chaos des Startwochenendes gelegt hat. Die Voraussetzungen sind gegeben, damit das größte öffentliche Filmfestival der Welt (die Organisatoren in Berlin bestreiten diese Behauptung) in diesem Jahr wieder voll durchstarten kann oder zumindest die Besucher daran erinnern kann, was für ein besonderes Ereignis dies sein kann, und, was noch wichtiger ist, neue Besucher anzieht, die die Bequemlichkeit des Streamings und die steigenden Kosten meiden und die Filme unterstützen, die in diesem Jahr in Toronto gezeigt werden.

Jason Gorber