Mit ihrer Heimatfilm gehört Bettina Brokemper zu den Leuchttürmen unter Deutschlands unabhängigen Produzent:innen – und erst recht in ihrer Heimat NRW. Eine kongeniale Kreativpartnerschaft verbindet die Produzentin mit Christoph Hochhäusler. Für unseren NRW-Schwerpunkt im Rahmen des 34. FFCGN haben wir sie getroffen.
Christoph Hochhäusler und Bettina Brokemper sind ein eingespieltes Team. Mit „La mort viendra“ entstand die bereits fünfte Zusammenarbeit zwischen dem Filmemacher und der Kölner Produzentin, die für Kino mit Haltung stehen, für klare, nicht korrumpierbare Handschriften. Mit „Falscher Bekenner“ sind sie gemeinsam durchgestartet, 2005, zwei Jahre nach der Gründung von Heimatfilm (bei Hochhäuslers Langfilmdebüt „Milchwald“ gab es Heimatfilm noch nicht). Der Film feierte in Cannes Weltpremiere. Seither wurden fast alle seine Arbeiten auf A-Festivals eingeladen. Nach zwei Mal Cannes und ein Mal Berlinale nun zuletzt Locarno: Mit „La mort viendra“, auf französisch in Brüssel gedreht, konkurrierte er um den Goldenen Leopard. Dabei folgt der Gangsterfilm mit nur einem Jahr Abstand auf seinen Noir-Thriller „Bis ans Ende der Nacht“, der 2023 bei der Berlinale Weltpremiere feierte und dort Thea Ehre den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle bescherte.
Es lässt sich durchaus festhalten: Hochhäusler und Brokemper haben einen Lauf, wobei Brokemper noch eins draufsetzt: 2023 war sie nicht nur mit „Bis ans Ende der Nacht“ im Bären-Rennen, sondern auch mit „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ von Margarethe von Trotta, und 2024 schlug sie nicht erst in Locarno bei einem A-Festival auf, sondern war bereits im Februar ebenfalls wieder in Berlin präsent: als Koproduzentin von „Des Teufels Bad“. Der neue Film des erfolgreichen Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala gewann nicht nur dort (Kameramann Martin Gschlacht freute sich über den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung). Das Horror-Historiendrama wurde mit acht (!) Österreichischen Filmpreisen prämiert und unlängst zur österreichischen Oscareinreichung ernannt.
Die tiefe Verbundenheit zu Christoph Hochhäusler entstand bereits an der Uni: Beide studierten leicht zeitlich versetzt an der HFF München. „Ich war im Produktionsstudium, das damals wenig kreativ war. Dann kam eine neue Abteilung dazu, Werbung. Dort gab es ein Seminar, in dem ein Werbespot für ALFA-Telefon entwickelt werden sollte. Ich wurde mit Christoph zusammengewürfelt, je ein Student aus der Produktion und ein Student aus der Regie sollten die Köpfe zusammenstecken“, erinnert sich Brokemper. Innerhalb von zwei Stunden hatten sie 15 Ideen, „Es war ein Füllhorn, es sprudelte aus uns heraus. Drei davon haben es in die Endrunde geschafft. Unsere Professoren waren begeistert. Aber auch wir selbst waren begeistert, weil wir feststellten, dass wir ziemlich gleich ticken“, so Brokemper.
Nach ihrem Studium verabschiedete sich Brokemper für ein paar Jahre nach Los Angeles, weshalb sie Christoph Hochhäuslers Debüt „Milchwald“ nicht mitproduzieren konnte. Christoph hatte mich damals ein paar mal angerufen und um Hilfe gebeten“, so Brokemper. Als sie zurück nach Deutschland kam und begann, ihre Firma zu gründen und nach Projekten Ausschau zu halten, war der erste, den sie fragte, Hochhäusler. „So fingen wir damals an, ‚Falscher Bekenner‘ zu entwickeln.“ Das Problem war: Niemand hatte Interesse an dem Stoff. „Ich habe mir den Kopf eingerannt. Bis ich so sauer wurde, und die 50.000 Euro meines Existenzgründerkredits in das Projekt investiert habe“, erzählt die Produzentin. Der Film schaffte es nach Cannes, was, wie alle in der Branche wissen, bei deutschen Filmen nicht oft geschieht. „Wir hatten es schwer, weil unsere Euphorie und Freude nicht von allen Kollegen geteilt wurde“, so Brokemper. Cannes konnte sich Brokemper damals nur leisten, weil Peter Aalbaek Jensen von Zentropa, deren Kölner Dependance Brokemper seit vielen Jahren leitet, Trust Nordisk als Weltvertrieb an Bord geholt hatte. „Damals brauchte man ja noch Filmkopien. Wir haben ‚Falscher Bekenner‘ für sehr wenig Geld gemacht, die teuren Kopien für die Festivalteilnahme hätten wir uns nicht leisten können. Peter war immer ein großer Frauenförderer und ein ganz toller Mensch, auf dessen Handschlagdeals man vertrauen konnte.“
„Falscher Bekenner“ legte das Fundament der kongenialen Kreativpartnerschaft zwischen Bettina Brokemper und Christoph Hochhäusler. „Das Projekt hat uns zusammengeschweißt. Ich mag, wie Christoph denkt. Er ist ein sehr korrekter, gerader, keine Spielchen spielender Mensch. Außerdem ist er ein wandelndes Lexikon – nicht nur im Filmbereich, sondern auch was Architektur und Literatur betrifft. Christoph kennt und weiß fast alles. Wir können uns sehr ehrlich sagen, was man gut oder nicht gut findet. Wenn ich was nicht gut finde, spreche ich das an. Wenn es gute Gründe gibt, warum etwas so und nicht anders sein soll, lass‘ ich das auch sein. Ich arbeite mit Filmkünstlern und nicht mit Leuten, die sich geschmeidig machen müssen. Ich habe durchaus eine andere Meinung zu Dingen, gerade im Schnitt gibt es oft Differenzen. Aber das ist ok. Ich finde das nicht schlimm“, so Brokemper über ihr Verständnis als Produzentin. Innerhalb eines kreativen Prozesses müsse es auch Reibungen geben. „Im Kreativteil gibt es dann aber einen, der entscheidet. Und das bin nicht ich. Außer, es wird zu teuer. Dafür muss Verständnis da sein. Dann muss eine gemeinsame Lösung her. Das setze ich voraus, bei allen, mit denen ich arbeite.“
Bettina Brokemper bezeichnet sich als Sparringpartner für ihre Kreativen, als Möglichmacherin. „In meinem Job mache ich einen Spagat: Einerseits zeichne ich für die Organisation, für die Finanzierung und das Budget verantwortlich. Andererseits bin ich von der ersten Idee bis zur Abnahme der letzten Tonmischung dabei, begleite meine Kreativen mit Fragenstellen. Ich verstehe mich als kreative Produzentin. Bei manchen Kreativen sieht man auch, dass sie mit mir bessere Filme gemacht haben als mit anderen Produzenten. Das traue ich mich jetzt einfach mal zu sagen.“ Wenn der Austausch zwischen Produzent und Kreativem auf Augenhöhe gegeben ist, wenn sich beide Seiten darauf einlassen, ist schon mal viel gewonnen. „Ich habe zwar das Sagen auf dem Papier, aber diese Karte habe ich noch nie gezogen. Wenn ich diese Karte ziehen müsste, habe ich selbst vorher viel falsch gemacht. Das Beste ist, wenn ich ein Projekt so hingestellt bekomme, dass alles, was ich an Korrekturen machen muss, nur marginal ist Die Zusammenstellung aus Darstellern, HoD und allen Team-Mitarbeitern mit der Regie muss funktionieren. Dann bin ich froh. Dann ist es gelungen ist, etwas zu schaffen, was einen kreativen Raum öffnet, in dem jeder seine beste Leistung abrufen kann.“
2023 feierte Heimatfilm 20-jähriges Bestehen. Genauso lange begleitet Brokemper bereits Christoph Hochhäusler – und umgekehrt. Wie hat er sich über die fünf gemeinsamen Filme hinweg entwickelt? „Wenn man sich Christophs Arbeiten anschaut, ist er sich extrem treu geblieben. Mit der einzigen Ausnahme, dass ihn seit ein paar Jahren Genre mehr interessiert als früher.“ Seine Handschrift sei reifer, genauer geworden, „er war immer toll! Wobei ich diese Wucht der ersten Filme auch total mag“, so Brokemper weiter. Sie erinnert sich, dass das Filmfestival Mannheim-Heidelberg ihr Schaffen 2021 mit einer Hommage würdigte. „Ich durfte mir Filme wünschen, darunter ‚Falscher Bekenner‘, den ich seit über 15 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Christoph wollte ihn nicht mitgucken, weil er kurz vor Drehstart eines neuen Films war. Ich saß da und dachte: Boah, was haben wir für einen guten Film gemacht. Es gibt Filme, die wenig altern, die modern bleiben. Das trifft auf ‚Falscher Bekenner‘ zu. Das ist meine Meinung, ganz subjektiv. Ich werde den Film demnächst auch restaurieren. Das Erlebnis in Mannheim war sehr beglückend.“
Solche Momente des Innehaltens, des Zurückblickens sind eher die Ausnahme. In ihrem busy Leben stoppt Bettina Brokemper sonst nie, um vergangene Produktionen noch mal anzuschauen. „Ich kann bei den meisten eh die Dialoge noch auswendig“, sagt sie. Ihr Blick ist noch vorn gewandt, hin auf die neuen Projekte, auf die sie sich freut. „Ich liebe meinen Job nach wie vor. Ich habe genau das gefunden, was ich gerne mache. Natürlich würde ich mir manchmal wünschen, dass es nicht immer so schwierig ist, das Geld für meine Filme zusammenzubekommen. Das Klinkenputzen ist mir unangenehm, mache es aber natürlich.“ Am meisten liebt sie die Entwicklung und die Postproduktion, der erste Moment, wo ein Film entsteht, im Kopf, auf dem Papier, und die abschließende Phase, im Schnitt, wo ein Film noch mal neu entsteht. „Das sind wahnsinnig tolle Prozesse.“
Nicht immer, aber oft entstehen ihre Kinofilme im Verbund mit anderen Kollegen aus Europa, wobei sie die Partner mit Bedacht auswählt: Die Größe der Firma muss stimmen und der Filmgeschmack zusammenpassen. Ist das gegeben, sind Koproduktionen mit Partnern aus den meist angrenzenden Ländern nur bereichernd: „Sobald man über seine Landesgrenze, seine Sprache, seinen Kulturkreis hinausguckt, merkt man: es gibt nicht den einen Weg, wie Sachen gehen. Sondern es gibt ganz viele Wege. Das hält einen im Kopf beweglich. Das finde ich gut. Außerdem bin ich neugierig, finde viele von den Stimmen im europäischen Ausland spannend.“ Und natürlich schade es nicht, wenn die Koproduktionsländer über attraktive Anreizmodelle verfügen. „Alle Länder sind aktuell besser aufgestellt als Deutschland. Ich hoffe, dass bei uns bald etwas passiert, wir sind sowieso schon viel zu spät dran. Am allerwichtigsten wäre die Investitionsverpflichtung. Die Förderreform ohne Investitionsverpflichtung wäre eine Katastrophe.“
Mit „Die Blutgräfin“, den Ulrike Ottinger nach einem mit Elfriede Jelinek geschriebenen Drehbuch inszenieren wird, steht nach „Hannah Arendt“, „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ und „La mort viendra“ zum Beispiel eine weitere Zusammenarbeit mit Amour Fou aus Luxemburg und Österreich an (Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu). Bei „La mort viendra“ waren auch noch die Belgier von Tarantula an Bord, bei „Ingeborg Bachmann“ die Schweizer Tellfilm (bei „Hannah Arendt“ gab es noch französische und italienische Partner). Erstmals arbeitete sie bei „Des Teufels Bad“ unlängst auch sehr erfolgreich mit der Ulrich Seidl Filmproduktion zusammen. „Christoph Hochhäusler hat den Kontakt hergestellt, er ist mit Veronika Franz und Severin Fiala bekannt und hat mich empfohlen. Ich las das Buch und dachte: Was für ein Brett! Da möchte ich dabei sein!“ An dem Duo Franz/Fiala schätzt sie dessen Klarheit. „Ich liebe Regisseure, die wissen, was sie wollen. Das macht meinen Job so viel einfacher“, schmunzelt sie. Die Zusammenarbeit hat sie in guter Erinnerung, über die vielen Preise, die „Des Teufels Bad“ schon gewonnen hat, und die Entsendung als Österreichs Oscarkandidat freut sie sich. „Ich wäre beim nächsten Projekt sofort wieder dabei.“
Das nächste Projekt wird jedoch erst einmal der historische Stoff „Miss Pirie und Miss Woods“ von Sophie Heldman, eine Koproduktion mit der Schweiz und UK. Gedreht wird auf englisch in Schottland. Die Geschichte basiert auf dem Buch „Scotch Verdict“ von Lillian Faderman und handelt von zwei Frauen, die um 1810 herum eine Mädchenschule in Schottland gründen und sich vor Gericht verantworten müssen, als ihnen vorgeworfen wird, ein Paar zu sein. Nach „Satte Farben vor Schwarz“ ist „Miss Pirie und Miss Woods“ Heldmans zweiter Langfilm, „eine sensible, warme Geschichte über Frauen am Anfang des 19. Jahrhunderts, die für ihre Freiheit kämpfen“, so Brokemper, die erstmals mit der jungen Regisseurin arbeitet. Bei all ihren Produktionen verweist sie stets auf ihr Team: „Ohne meine Mitarbeiter:innen wäre ich nichts. Ich schätze und liebe die Zusammenarbeit mit ihnen“, so Brokemper. Damit sie die Leute, die meisten seit vielen Jahren an Brokempers Seite, bezahlen kann, dient sich Heimatfilm auch als Serviceproduktion an. „Von den Kinofilmen allein könnte Heimatfilm in der jetzigen Marktsituation nicht überleben. Um die Firma am Laufen zu halten, machen wir also immer wieder Serviceproduktionen“, so Brokemper, die übrigens auch ausbildet: „Man kann ja nicht nur über Fachkräftemangel meckern.“
Serviceproduktionen sind ein überlebenswichtiges Tool. Ihr Herz schlägt jedoch weiter fürs Kino. Das, was sie sich vor über 20 Jahren und 55 Filmproduktionen später mit Heimatfilm auf die Fahnen geschrieben hat, gilt auch heute noch: „Filme sind wie Mitbewohner. Diese Mitbewohner haben es nicht leicht (schwierige Kindheit, politische Verfolgung, Liebeskummer…). Manchmal müssen sie einfach die Füße auf den Tisch legen, die Kekse im Bett essen oder sich bei einem Glas Wein ausheulen. Manchmal sind sie auch mit der Miete im Rückstand oder mit dem Abwasch. Aber sie bringen uns zum Lachen und zum Weinen, unterhalten die Gäste und bringen selbstgepflückte Blumen mit! Die Krümel machen sie auch wieder weg. Und wir sind fast ein wenig traurig, wenn sie ausziehen, um die Kinos zu erobern.“
Barbara Schuster