Das Jahr neigt sich dem Ende zu (wie Sie sicher schon gemerkt haben). Nach vielen anderen Bestenlisten also höchste Zeit für die Bestenliste der SPOT-Redakteure und -Kritiker inklusive einiger persönlicher Anmerkungen. Viel Spaß bei der Lektüre.
Marc Mensch, Chefredaktion
„Unter dem Strich war es zumindest im Mainstream-Segment aus meiner Sicht nicht gerade eines der stärkeren Jahre.“
Ich habe es in der Vergangenheit schon mehrfach betont, tue es aber auch hier gerne wieder: Ich bin kein Freund starrer Listen. Nicht nur, weil mir eine konkrete Reihung schon generell widerstrebt. Sondern vor allem, weil es stets des Kontextes bedarf. Künstlerische Aspekte bestimmen meine Favoritenliste natürlich durchaus mit, sind aber beileibe nicht der primäre Faktor – und treten bisweilen sogar völlig in den Hintergrund. Die inhaltlich reichlich simple Spaßgranate „Deadpool & Wolverine“ jedenfalls habe ich mittlerweile drei Mal gesehen (das Intro sicher 25 Mal, wenn man wackelige YouTube-Mitschnitte mit einbezieht). Ob ich mir das Meisterwerk „The Zone of Interest“ ein weiteres Mal antue (was so positiv gemeint ist, wie es nur sein kann) vermag ich noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Natürlich sehe ich viele Filme im beruflichen Kontext – was mein Vergnügen an den inflationären Dreieinhalbstündern übrigens nicht zwangsweise beflügelt hat – aber das Hauptgewicht liegt tatsächlich noch im privaten Umfeld. Wo für mich nach wie vor oft genug der pure Eskapismus im Vordergrund steht. Klar, umso besser, wenn das nicht komplett platt erkommt. Aber „Hirn aus“ sehe ich als Ansage in einem Jahr, in dem selbst bei ausgesprochener Affinität für das Förderrecht der Begriff „Förderreform“ zum Unwort zu werden drohte, mitunter durchaus auf der Habenseite. Wäre da nicht mein großes Bedürfnis, eine herausragende Dokumentation zu würdigen – wer weiß, welches glorreiche B-Movie es glatt auf die List hätte schaffen können. Unter dem Strich war es zumindest im Mainstream-Segment aus meiner Sicht nicht gerade eines der stärkeren Jahre. Zu oft ließen mich Filme 2024 mit einem gewissen Schulterzucken zurück – nicht umsonst steht ein Klassiker weit oben in meiner Liste. Ganz oben findet sich wiederum ein Film, dessen Rezeption bei mir Kopfschütteln verursachte. Nicht jene des Publikums. „Joker: Folie à Deux“ ist kein Werk für den Massenmarkt – und kollidiert brutalstmöglich mit Erwartungshaltungen. Gut so. Was aber manchen Kritiker umtrieb? Naja, egal. Abschließend noch ein Shout-Out an „Civil War“. An einen Film mit wenigstens zwei Szenen für die Ewigkeit. Eine voll schwarzem Humor. Eine, die mich so sehr in die Magengrube traf, wie keine zweite in vielen Jahren. Aber mal ehrlich, A24: Was sollte diese Kampagne mit peinlichen KI-Motiven denn bitte sein…?
Top 10 des Jahres
1
Joker: Folie à Deux
Bin ich restlos glücklich mit diesem Film? Nein, das nicht – gerade am letzten Akt habe ich das eine oder andere auszusetzen, eine Straffung hätte hier Wunder gewirkt. Dennoch überstrahlt dieses außergewöhnliche Werk für mich alle anderen Filme dieses Jahres. Auch weil er endlich wieder einmal ordentlich Gesprächsstoff liefert. Und ich mir jedes einzelne Frame am liebsten einrahmen würde.
Civil War
Interstellar (WA)
Alles steht Kopf 2
Dune: Part Two
Deadpool & Wolverine
The Zone of Interest
Andrea lässt sich scheiden
Zurück in die Zukunft (WA)
Riefenstahl
Barbara Schuster, Chefredaktion
„Ganz eindringlich sind mir die Venedig-Screenings von ,Der Brutalist‘ und ,Babygirl‘ in Erinnerung.“
Wenn ich zurückdenke an das Kino-, TV- und Streaming-Jahr 2024 fallen mir wie Kollege Michael Müller erst mal meine vielen Festival-Reisen ein, auf denen ich Filmschätze entdecken durfte. Ganz eindringlich sind mir noch die Venedig-Screenings von „Babygirl“ und „Der Brutalist“ in Erinnerung. Diese Filme haben mir einfach den Boden unter den Füßen weggezogen. Auch „Des Teufels Bad“ möchte ich hier nennen, der definitiv zu den Filmereignissen meines Jahres gehört. Dann möchte ich hier auch ein privates Erlebnis nennen, auf einem Kurztrip nach London, wo ich im Kino „The Outrun“ nachholte, den ich immer wieder verpasst hatte auf Festivals oder den Pressevorführungen. Megafilm! Mega Saoirse Ronan! Außerdem liebe ich große Abenteuerepen. Ein tolleres als „Der Graf von Monte Christo“ gibt es nicht in diesem Jahr (Kinostart: 2025). Bleibende Erinnerung. Im Fernsehen und Streaming habe ich ganz klar zwei Favoriten: Die absolut coole Serie „30 Tage Lust“ von Trima Film und „Ripley“ von Netflix.
Top 10 des Jahres
1
Babygirl
In Harris Dickinson habe ich mich schon in „Triangle of Sadness“ verliebt (Balenciaga! 🙁 H&M! 😁). Sehr gerne sah ich ihn dann in der guten Miniserie „A Murder at the End of the World“. Doch dann kam „Babygirl“. Das toppte alles. Karrierebestleistung (bis dato). Überhaupt, der ganze Film von Halina Reijn mit seinen verspielten Provokationenerzählt anhand einer unkonventionellen Affäre zwischen einer erfolgreichen Karrierefrau (Nicole Kidman) und einem neuen Praktikanten ihres Unternehmens (Dickinson), bei dem sich die Achse der Macht mehrmals verschiebt, es um gewollten Kontrollverlust geht und mit gängigen Vorstellungen von Sexualität, Geschlecht und Begehren gebrochen wird. Unvergesslich die Szene, in der Dickinson zu George Michaels „Father Figure“ tanzt. Sublim!
Des Teufels Bad
Der Brutalist
The Outrun
I’m Still Here
Der Graf von Monte Christo
September 5
Blitz
Robot Dreams
Ripley & 30 Tage Lust
Thomas Schultze, Chefredaktion
„Das Kino, es bleibt eine singuläre Erfahrung.“
Immer lieber bin ich zurückgekehrt ins Kino im Jahr 2024, habe mich verloren in den Bildern, die von der Leinwand auf mich strahlten. Und habe mich gewundert, warum es nicht mehr Menschen auch so ging. Das Kino, es bleibt eine singuläre Erfahrung. Die Filme, sie entfalten eine einzigartige Kraft, wenn sie in einem dunklen Saal gezeigt werden. Vielleicht war es nicht das allerbeste Kinojahr, aber alle Filme in meiner Top tendes Jahres, die streng genommen eine Top eleven ist, sind intensive Erfahrungen, erfüllende Erlebnisse. Keines davon möchte ich missen.
Top 10 des Jahres
1
Der wilde Roboter / Robot Dreams
Es war DAS JAHR des Animationsfilms! Kann also sein, dass „The Zone of Interest“ und „Poor Things“ mehr Substanz haben, in zehn Jahren die zwei Filme sind, an die man sich erinnert, wenn man an 2024 zurückdenkt. Aber „Der wilde Roboter“ und „Robot Dreams“ waren die zwei Filme, die uns daran erinnert haben, was uns glücklich macht: Freunde, Familie, Gemeinschaft.
The Zone of Interest
Poor Things
Sterben
Emilia Pérez
The Outrun Blitz
Des Teufels Bad
All We Imagine As Light
The Apprentice
Und fünf TV-Titel
Ripley
A Very Royal Scandal
Diplomatische Beziehungen, Staffel 2
Slow Horses, Staffel 4
Shogun
Michael Müller, Redakteur TV & Streaming
„Ich liebe es am meisten, eigene Entdeckungen zu machen.“
Mein Kino-, TV- und Streaming-Jahr 2024 war geprägt von den Festivals, die ich besuchen durfte: Berlinale, Series Mania, Filmfest München oder auch die Nordischen Filmtage Lübeck. Denn ich liebe es am meisten, eigene Entdeckungen zu machen. Meinen ersten Platz, die hochbegabte Regisseurin Sara Summa, entdeckte ich in den Vorbereitungen zu Interviews des First Steps Award wieder. Meinen zehnten Platz, die französische Ausnahme-Serie „Sambre“, die leider immer noch keinen deutschen Starttermin hat, sah ich in Vorbereitung von Interviews beim Unifrance Rendez-vous in Paris.
Top 10 des Jahres
1
Arthur & Diana
Die Berliner Regisseurin Sara Summa war auf der Berlinale 2019 eine kleine Sensation mit ihrem Debütfilm „Die Letzten, die sie lebend sahen“. Jetzt ist sie mit dem so innovativen wie süchtig machenden Roadmovie „Arthur & Diana“aus 16mm- und Camcorder-Ästhetik zurück, in dem sie fiktionalisiert die eigene Biografie verarbeitet und gleichzeitig von Freiheit und einem grenzenlosen Europa erzählt. Damit bewegt sie sich anregend an der Schnittstelle zwischen Dokumentation und Fiktion und darf zurecht in einem Atemzug mit Regiegrößen wie Alice Rohrwacher, Guillaume Brac oder Mikhaël Hers genannt werden.
The Substance
Festmachen
Schwarze Früchte
Das Mädchen mit der Nadel
A Traveler’s Needs
Lars Is LOL
Ein Mann seiner Klasse
Die Zweiflers
Sambre
Jochen Müller, Redaktion
„Es waren die spielerischen Leistungen, die mich bei meinen Top-Ten-Filmen in erster Linie überzeugt haben.“
In den vergangenen Jahren war für mich eigentlich von vorneherein, spätestens aber ab dem Sommer, klar: Der neue „Eberhofer“ wird mein Film des Jahres. Umso spannender war das Rennen um Platz eins in diesem Jahr – einem Jahr ohne neuen „Eberhofer“ -, in das kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch einmal Bewegung kam. Nach dem Besuch von Edward Bergers „Konklave“ an seinem Startwochenende bin ich nochmal ins Wanken geraten, ob die Verfilmung von Robert Harris‘ Roman „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“, der seit Anfang April die Liste meiner Jahresfavoriten angeführt hatte, vom Thron stoßen könne. Letztlich habe ich „Rickerl“ im Wettstreit der an und für sich nicht miteinander vergleichbaren Filme auf der Eins belassen und „Konklave“ auf die Zwei gesetzt – rein aus dem Bauch heraus. Überhaupt waren es die spielerischen Leistungen, die mich bei meinen Top-Ten-Filmen in erster Linie überzeugt haben. Und mit „The Fall Guy“ durfte natürlich auch eine Reminiszenz auf eine Kultserie meiner Jugend in den Jahres-Top-Ten auch nicht fehlen.
Top 10 des Jahres
1
Rickerl – Musik is höchstens a Hobby
Seit der Kultserie „Ein echter Wiener geht nicht unter“ habe ich ein Faible für den derben Wiener Dialekt – und da bin ich bei Adrian Goingers „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ voll auf meine Kosten gekommen. Absolut begeistert hat mich Voodoo Jürgens, der für seine erste Hauptrolle als erfolgloser Musiker, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und um seinen Sohn kämpft, der nach der Trennung seiner Eltern bei seiner Mutter und ihrem neuen Freund, einem „gschtopften Piefke“ lebt, völlig zurecht mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet wurde.
Konklave
Zwei zu eins
Der Buchspazierer
Golda – Israels Eiserne Lady
Eine Million Minuten
Back to Black
Münter & Kandinsky
Alles steht Kopf 2
The Fall Guy
Corinna Götz, SPOT-Kritikerin
„Der Platz reicht nicht aus, um alle zu nennen, die bewiesen haben, dass es nichts gibt, was Frauen heute nicht (sein) können.“
Zumindest im Kino hatte man 2024 das Gefühl, dass die Ära des alten weißen Mannes zu Ende geht. Francis Ford Coppola präsentierte sein Vermächtnis, Robert Zemeckis scheiterte an dem Versuch, die Zeit anzuhalten, „Mad Max“ wurde nach 45 Jahren von „Furiosa“ besiegt, Lady Gaga war der bessere „Joker“ und der Auftritt des ein oder anderen Superhelden (Gladiator, Pitt, Clooney) so ermüdend wie inzwischen jede neue Taylor-Sheridan-Serie – jedenfalls verglichen mit der Energie und Naturgewalt, mit der weibliche Stars und Filmemacherinnen so oft vor und hinter der Kamera triumphierten. Zoe Saldaña, Selena Gomez, Karla Sofía Gascón in „Emilia Perez“, Saoirse Ronan in Nora Fingscheidts „The Outrun“ und in „Blitz“, Mikey Madison in „Anora“, Jodie Comer in „The End We Start From“ und „The Bikeriders“, Emma Stone in „Poor Things“ (und „The Curse“), Lily Gladstone in „Fancy Dance“ und „Under the Bridge“, Zoë Kravitz und ihr „Blink Twice“-Ensemble, Rose Glass’ „Love Lies Bleeding“, Coralie Fargeats „The Substance“ – der Platz reicht nicht aus, um alle zu nennen, die bewiesen haben, dass es nichts gibt, was Frauen heute nicht (sein) können. Nimm das, „The Apprentice“!
Top 10 des Jahres
1
Emilia Pérez
Jacques Audiards „Der wilde Schlag meines Herzens“ war eine Art lebensverändernde Kinoerfahrung, die weiterhin weitoben auf der Liste meiner All-Time-Favourites steht. „Emilia Pérez“ trifft einen noch unmittelbarer, treibt einem vom ersten Moment an die Tränen in die Augen, ein Film, der alles ist und alles neu erfindet, und man muss wahrscheinlichkein Audiard-Fan sein, um davon überwältigt zu werden, sondern einfach nur ein Mensch.
(in alphabetischer Reihenfolge)
American Fiction
Anora
Blitz
Die Zweiflers
Ripley
The Bear: King of the Kitchen, Staffel 3
The Bikeriders
The Outrun
Will & Harper