SmHJHX

Am Freitag, den 25.10. werden wir ab 15.00 Uhr bis ca. 18 Uhr umfangreiche technische Wartungsarbeiten durchführen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

100 Jahre Praesens: Blick zurück nach vorn

Die Schweizer Produktionsfirma Praesens-Film feiert 2024 ihr 100-jähriges Jubiläum. Ein reicher Filmfundus und eine bewegte, von Oscars gesäumte Geschichte lassen das Unternehmen bis heute strahlen. Das stetige Aufgreifen neuer Marktgegebenheiten brachte es erfolgreich in die Jetztzeit. Auch beim Zurich Film Festival spielt dieser Meilenstein eine Rolle. 

Leopold Lindtbergs „Wachtmeister Studer“ stammt aus dem Jahr 1939 (Credit: Praesens)

Bild 6 von 9

Die Praesens-Film AG ist die älteste noch aktive Schweizer Filmfirma. Das Jahr 2024 markiert einen ganz besonderen Höhepunkt in der traditionsreichen Firmengeschichte, die bis nach Hollywood reicht: Das 100. Jubiläum wird gefeiert. Festivitäten sind übers ganze Jahr geplant, wobei der Anfang bereits im Januar bei den Solothurner Filmtagen gemacht wurde. Das Festival des Schweizer Films ließ Praesens in seiner filmhistorischen Reihe „Histoires“ hochleben, mit einer in Zusammenarbeit mit filmo und der Cinématèque Suisse kuratierten Reihe mit Schätzen aus der Praesens-Truhe: „Die Schatten werden länger“ von Ladislao Vajda (1961), Eduard Tissés Dokumentarfilm „Frauennot – Frauenglück“ (1929), „Mein Persienflug“ von Walter Mittelholzer (1925) sowie Léopold Lindtbergs „Swiss Tour“ (1949) und „The Village“ (1953). Neben verschiedenen Retrospektiven in diversen Kinos wurde auch eine Ausstellung im Landesmuseum Zürich, ebenfalls in Partnerschaft mit der Cinématèque Suisse, organisiert. „Close-up: Eine Schweizer Filmgeschichte“ war bis 21. April zu sehen und ließ die Besucher:innen eintauchen in die bewegte Geschichte des von dem jüdischen Einwanderer Lazar Wechsler und dem Flugpionier Walter Mittelholzer 1924 gegründeten Unternehmens, das seine größten Erfolge nach Anfängen im Bereich Werbefilm- und Auftragsproduktion schließlich von den 1930er- bis Mitte der 1950er-Jahre mit Spielfilmen feierte und einige der wichtigsten Klassiker des Schweizer Films produzierte wie „Füsilier Wipf“, „Gilberte de Courgenay“ oder „Heidi“. Beim Zurich Film Festival im Herbst wird das Jubiläum ebenfalls eine Plattform erhalten, samt Party für die jüngere Generation. 

„Es ist wichtig, dass das kulturelle Erbe weiterlebt.“

Corinne Rossi

Corinne Rossi, die seit gut 15 Jahren mit Peter Gassmann die Geschäftsleitung der Praesens-Film innehat, fasziniert, welchen Nachhall viele Produktionen von Praesens auch heute noch haben. „,Frauennot – Frauenglück‘ zum Beispiel ist der erste Schweizer Film, der sich mit dem Thema Abtreibung beschäftigt – im Jahr 1929! Lazar Wechsler ließ sich damals von Sergej M. Eisenstein beraten. Faszinierend ist, dass das Thema fast 100 Jahre später immer noch so präsent ist“, wie Rossi in ihrer Erzählung über Meilensteine des Unternehmens berichtet. Klassiker wie „Füsilier Wipf“ sind anschließend im Auftrag der Schweizer Bewegung „Geistige Landesverteidigung“ entstanden. Während des Zweiten Weltkriegs war Praesens von humanistisch geprägten Werken wie dem berühmten „Gilberte de Courgenay“ von Franz Schnyder geprägt, und in der Nachkriegszeit erblühten Themen um Menschlichkeit und allgemein Filme, die das Weltbild widerspiegelten, wie Léopold Lindtbergs „Marie-Louise“, mit dem Praesens den ersten Auslandsoscar gewinnen konnte, und „Die letzte Chance“, der bei den Golden Globes gewann, sowie Fred Zinnemanns „The Search – Die Gezeichneten“ mit Montgomery Clift, der zwei Oscars und drei Golden Globes mit nachhause nehmen durfte. Auch leichtere Stoffe, die eine heile Welt zeigten, waren nach den Kriegsjahren gefragt. Beste Beispiele sind „Heidi“ (1952) und „Heidi und Peter“ (1955), letzterer der erste Farbfilm der Schweiz. Als Mitte der Sechzigerjahre die Kinozahlen massiv einbrachen, die Kinolandschaft sich veränderte, zog sich Praesens aus dem Produktionsgeschäft mehrheitlich zurück und konzentrierte sich auf die Verwertung, den Verleih und den Vertrieb bestehender und neuer in- und ausländischer Produktionen. 

Rossi Corinne Businessportraits  scaled e x
Corinne Rossi bildet mit Peter Gassmann die Spitze der Praesens-Film AG (Credit: Praesens)

„Bei Praesens, damals wie heute, geht es darum, gute Themen zu finden, Themen, die Menschen bewegen, sie zum Lachen, zum Weinen bringen“, sagt Corinne Rossi über die Identität der Traditionsfirma. Früher sei dies natürlich ausschließlich im Kino passiert, heute gibt es längst neben dem Kino, das immer noch einen hohen Stellenwert besitzt, auch weitere Auswertungsketten. „Dass es die Firma seit 100 Jahren gibt, ist auch der Tatsache zu verdanken, dass sie immer bereit war, Marktveränderungen aufzugreifen, nach vorne zu schauen und sich vor allem breit aufzustellen“, so Rossi. 

Die breite Aufstellung zeichnet die Praesens auch im Jahr 2024 aus, ganz aktuell wird der Produktionsbereich wieder verstärkt angeschoben, wobei sich die anvisierten Produktionen (nationale wie internationale, für Kino wie für TV/Streaming) noch alle in einem so frühen Stadium befinden, dass Rossi nichts darüber erzählen kann. Erzählen kann sie über die anderen Bereiche des Unternehmens, die von der Gewichtung „alle gleich“ sind, obwohl „Kino die Königsklasse ist und bleibt“. Als Rossi vor 15 Jahren zu Praesens kam, wurde zunächst der Kinoverleih stark ausgebaut. Zudem nahm Rossi, die zuvor den mit Praesens fusionierten DVD- und Blu-ray-Vertrieb Max Vision leitete, den Home-Entertainment-Bereich mit. „Heute gibt es auch das digitale Geschäft mit den VoD-Plattformen. Eine enge Zusammenarbeit verbindet uns auch mit allen Sendestationen, nicht nur aufgrund unseres großen Katalogs, auch mit den neuen Filmen im Line-up verhandeln wir über Fernsehrechte“, so Rossi. Apropos Katalog: Von den Praesens-Klassikern kann man nicht nur Remake-Rechte erwerben, sie werden als filmhistorische Juwelen auch gemeinschaftlich mit dem Schweizer Fernsehen und der Cinémathèque Suisse regelmäßig restauriert. Im Zuge eines digitalen Transformationsprozesses nutzte Praesens die „Corona-Delle“ dazu, ein Rechtemanagement-System aufzusetzen, das die Filmbibliothek adäquat abbildet und Lizenz-Abrechnungen automatisiert.

„Wir sind breit aufgestellt, können von der Herstellung bis zur Vermarktung alles abdecken.“

Corinne Rossi

Im Verleihbereich hat Praesens ca. 20 bis 30 Filme pro Jahr im Line-up, die meisten erfahren eine Auswertung im Kino, einige Genretitel kommen auch Direct-to-Video auf den Markt. Das Unternehmen tritt im Kinomarkt neben bestehenden festen Partnerschaften mit Verleihern aus den angrenzenden Ländern wie Deutschland oder Frankreich auch als eigenständiger Filmeinkäufer auf. Die Constantin-Titel werden in der Schweiz alle exklusiv über Praesens ausgewertet. „Darüber sind wir sehr glücklich, von Constantin kommt immer ein tolles Line-up wie aktuell ‚Chantal im Märchenland‘, der bereits über eine Million Schweizer Franken Boxoffice gemacht und über 70.000 Besucher angelockt hat“, freut sich Rossi. Auch mit weiteren deutschen Verleihern sowie mit Kollegen in Frankreich gibt es enge Zusammenarbeiten. „Ansonsten sind wir auch auf Filmmärkten wie Berlin und Cannes unterwegs, um uns die Auswertungsrechte von Projekten für die Schweiz selber zu sichern“, erzählt Rossi. Das Line-up der selbst eingekauften Filme ist vielfältig, von Arthousetiteln wie „Der Zopf“ über Animationsfilme wie „Die Dschungelhelden“ und französische Komödien hin zu Schweizer Filmen wie „Friedas Fall“ von Maria Brendle. „Die Herausbringung eines Kinofilms in der Gesamtschweiz bedeutet drei Mal Kinostart, drei Mal Marketing, drei Mal Pressearbeit, drei Mal Materialien anpassen“, erzählt Rossi. „Aber die Arbeit ist toll und macht auch Spaß, weil man sich immer überlegen darf, welcher Markt in der Schweiz was braucht.“ Die erfolgreichsten Titel in der jüngeren Verleihgeschichte von Praesens waren unter anderem die beiden Oscarfilme „The Artist“ von Michel Hazanavicius und „Spotlight“ von Tom McCarthy, aber auch der schweizer Animationsfilm „Mein Leben als Zucchini“ von Claude Barras (nach einem Drehbuch von Céline Sciamma), Bora Dagtekins „Ein perfektes Geheimnis“ und „Verstehen Sie die Béliers?“ von Éric Lartigau.

Alle Constantin-Filme (hier „Chantal im Märchenland“ - ein Renner, auch in der Schweiz) werden in der Schweiz über Praesens in die Kinos gebracht (Credit: Constantin Film Verleih/Gordon Timpen)

Bild 1 von 3

Die imposante Filmbibliothek von Praesens umfasst ca. 3500 Titel. Vor allem der Katalog mit den Klassikern ist gefragt. „Die Klassiker halten sich als physische Produkte sehr gut, wobei wir auch viel dafür tun, schöne Boxen erstellen, zu Themen oder zu Regisseur:innen. Zudem haben wir Partnerschaften im digitalen Bereich, über die wir die Filme restaurieren und thematisch pushen und hervorheben. Hier sind wir sehr aktiv. Es ist wichtig, dass dieses kulturelle Erbe weiterlebt.“

Mit Blick auf den aktuellen Schweizer Kinomarkt nach den für die Branche schwierigen Coronajahren stellt Rossi fest, dass er wie überall stark filmabhängig ist. Habe man die großen Filme wie „Avatar“ oder „Barbie“, strömen die Menschen in Massen in die Kinos. Das Arthouse-Publikum habe sich nach der Pandemie schwerer getan, zurück vor die Leinwand zu kommen. „Aber auch hier: wenn die Filme stimmen, laufen sie. Das sehen wir aktuell an unserem ‚Zopf‘“, so Rossi. Beklagenswert findet sie, dass Filme heutzutage keine Luft zum Atmen bekommen. „Mundpropaganda kann eigentlich nicht mehr stattfinden. Das hat nichts mit der Coronapandemie zu tun, sondern ist eine allgemeine Marktentwicklung. Auch in der Presse gibt es immer weniger Platz für Filmbesprechungen, da leiden die Filme, die darauf angewiesen sind, schon sehr darunter.“

Einen Lieblingsfilm aus der langen Praesens-Geschichte kann Corinne Rossi nicht benennen: „Es ist sehr schwierig, sich für einen zu entscheiden, weil ich mich immer wieder in neue Filme verliebe in meiner alltäglichen Arbeit. Sicher gibt es viele Herzensprojekte, vor allem die Filme, die man mehrere Jahre lang begleitet hat.“ In die Zukunft blickt Rossi guten Mutes und hat das nicht bescheidene Ziel, mit ihrem „fantastischen Team“ aus zehn Mitarbeiter:innen den Grundstein für die nächsten 100 Jahre Praesens Film zu legen. „Wenn wir uns nicht davor scheuen, auch künftig Herausforderungen anzunehmen und auf Veränderungen zu reagieren, bin ich ganz zuversichtlich. Wir sind breit aufgestellt, können von der Herstellung bis Vermarkung alles abdecken. So wird es uns gelingen, das Publikum auch in Zukunft zu begeistern.“

Barbara Schuster