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Marvin Kren über „Crooks“: „Leicht darf man es sich nicht machen!“

Mit „Crooks“ startet morgen auf Netflix die bislang aufwändigste Serie von Marvin Kren, der mit „4 Blocks“ und „Freud“ deutschsprachige Seriengeschichte geschrieben hat. Ein Gespräch mit dem Österreicher über Genre, Ambition und den Ehrenkodex des Gangsters.

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Marvin Kren sagt über seine neue Serie: „Ich bin extrem zufrieden“ (Credit: Netflix)

Ursprünglich waren Sie einmal angetreten als Filmemacher, der Genrekino machen wollte – „Rammbock“, „Blutgletscher“. Mittlerweile sind Sie einer der führenden Showrunner für deutschsprachige Eventserien. Wie schätzen Sie selbst diesen Weg ein, diese Entwicklung?

Marvin Kren: Ich bin extrem zufrieden. Als wir vor 15 Jahren angetreten sind mit „Rammbock“, war das der erste deutschsprachige Zombiefilm. Obwohl es natürlich eine lange Tradition gibt mit dem unheimlichen Film im deutschen und österreichischen Kino, merkten wir schon, dass wir uns mit unserem Ansatz auf Neuland begaben. Ebenso bemerkten wir aber auch, dass da ein Hunger da war, ein Verlangen nach deutschen Genrestoffen. Da war eine Sättigung des bereits Dagewesenen und eine Hungrigkeit nach etwas Neuem.

Womit sich auch die Entwicklung im deutschsprachigen Serienbereich beschreiben lässt.

Marvin Kren: Für mich war das eine ganz natürliche Entwicklung. Als ich „Blutgletscher“ 2013 auf dem Toronto International Film Festival vorstellte, kam ich an eine Einladung für eine Netflix-Party. Ich wusste nicht recht, was das ist, Netflix, fand aber das „N“ sehr cool. Heute haben wir dieses „N“ alle fix auf unseren Fernbedienungen. Wenn ich mir ansehe, was Netflix möglich gemacht hat, bin ich sehr dankbar: Es mag sich um ein global operierendes Unternehmen handeln, aber sie machen es möglich, dass wir Genre realisieren können, das geprägt ist von unserer Wahrnehmung in unserem Kulturkreis. Ich bin privilegiert und glücklich, Teil davon sein zu können. Dass ich „Freud“ erzählen durfte. Und jetzt für eine so große Gemeinde an Zusehern „Crooks“ machen durfte. 

Wenn wir von der rasanten Entwicklung sprechen, darf man „4 Blocks“ nicht unerwähnt lassen, 2017 neben „Dark“ und „You Are Wanted“ die erste große deutsche horizontal erzählte Serie. War Ihnen bewusst, dass Sie Pionierarbeit leisteten?

Marvin Kren: Wir wussten jedenfalls, dass wir etwas machen wollten, was vorher noch nicht da war. Man spürte, dass da eine Lust von Seiten der Zuschauer da war, etwas zu sehen, was man in dieser Form noch nicht gesehen hatte, ein neues Erlebnis. Wir waren also motiviert. Dass die Serie dann so durch die Decke gehen würde, hätten wir allerdings nicht erwartet. Das hat uns kalt erwischt. Das ist dann nicht nur Segen, sondern kann auch ein Fluch sein, ein bisschen zumindest. Da wurde etwas in Gang getreten, von dem wir alle nicht wussten, welche Kreise das ziehen, welche Dimensionen das annehmen würde. 

Gleich kommen wir zu „Crooks“, aber lassen Sie mich noch schnell fragen, ob diese Entwicklung Sie auch als Filmemacher verändert hat, Ihren Blick auf Stoffe und ihre Umsetzung?

Marvin Kren: Ich war unbedarft und neugierig. Natürlich war mir klar, dass man an einer Serie anders wird arbeiten müssen als an einem Film. Einen genau zurecht gelegten Plan gab es nicht, ich habe mich darauf eingelassen. Learning by doing. Das Machen einer Serie, das kann ich jetzt mit der Erfahrung von drei Serien unterstreichen, verlangt nach anderen Werkzeugen, einem anderen Atem, einer anderen Ausdauer als ein Film, ob nun fürs Kino oder das Fernsehen. Es ist eine andere Disziplin. 

Für die Sie mittlerweile über einige Erfahrung verfügen, was man „Crooks“ deutlich ansieht.

Marvin Kren: Nach „Freud“ war ich etwas gefangen in der Coronablase. Die Serie kam damals direkt in die erste Lockdownphase hinein, und ich sah mich unvermittelt zurückgeworfen auf mich selbst und ein Blatt Papier und die Frage, wie ich denn weitermachen will. Ich merkte gleich, dass da als Filmemacher eine große Sehnsucht war, wieder in die Welt der Gangster und Unterwelt einzutauchen, mehr darüber zu erzählen, aber anders darüber zu erzählen, wie ich es davor gemacht hatte. Ich habe die Zeit genutzt, mich filmisch weiter- und fortzubilden, habe mir die alten Gangsterfilme vorgenommen, zurückgehend bis in das Hollywood der späten Zwanzigerjahre bin zu der französischen Variante des Genres in den Sechzigerjahren. 

Gab es eine besondere Entdeckung?

Marvin Kren: Hängengeblieben bin ich bei „Der Panther wird gehetzt“ von 1960, ein früher Claude Sautet mit Lino Ventura und Jean-Paul Belmondo in den Hauptrollen, ein toller Film über Freundschaft in der bitterbösen Welt der Kriminellen. Dieses Thema von Freundschaft in einem sehr ernsten Kontext hat mich gereizt. Das war tatsächlich die Initialzündung. Da war dann die Idee eines Taxifahrers, eines kleinen Nichts, den ich unbedingt mit einem geschätzten Darsteller meiner Filmfamilie besetzen wollte, mit Christoph Krutzler. Ebenso wusste ich, dass ich wieder mit Frederick Lau arbeiten wollte. So fügte sich das langsam: ein Österreicher und ein Deutscher – wie bringe ich die zusammen? Und dann wollte ich ausbrechen. Das war mir wichtig. Ich wollte mich nicht auf mir bekannte Welten beschränken, nicht Österreich, nicht Deutschland. Ich wollte raus und eine Reise zu meinen Vorbildern nach Frankreich antreten. 

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Frederick Lau und Svenja Jung in „Crooks“ (Credit: Netflix)

Und doch einen Sie die Welten Ihrer beiden vorangegangenen Arbeiten; das Berlin aus „4 Blocks“ und das Wien aus „Freud“…

Marvin Kren: Aber das ist nur der Anfang! Da kommen doch noch mehr Unterwelten dazu! Frankreich, ein bisschen Italien und ehemaliges Jugoslawien. Der Welt von „4 Blocks“, ihrem ganz besonderen Habitus, fühle ich mich verpflichtet. Ich mag das Opernhafte. Dieser übertriebene Ehrenkodex unter Familien hat etwas sehr Filmisches. Wenn man die richtigen Darsteller hat, um das transportieren zu können, dann kann man eine Gangsterserie um eine sehr satte Note bereichern. Die Wiener in der gezeigten Form sind wiederum eine Erfindung. Sie gibt es nicht mehr, Gestalten wie Der Rote, Der Rio oder Der Zwanziger. Wien ist so ein zartes Pflänzchen. Sicher, es gibt schon auch Verbrechen, aber so etwas Archaisches, Ursprüngliches wird man nicht finden. Wir haben sie aus der Vergangenheit in die Jetztzeit geholt, mit Hilfe langer und umfassender Recherche. Mir gefallen sie, die aus der Zeit gefallenen, schrägen Typen, die bei aller Härte auch Humor mitbringen. Ein schöner und wichtiger Gegenpunkt zu der Gewalt der Berliner Banden. 

Sie sind ein Filmemacher, der bei jeder Arbeit neue Herausforderungen sucht. Was war das Neue bei „Crooks“, worin besteht der besondere Reiz?

Marvin Kren: Ein gängiges Thema ist es bei mir, in verbotene Welten einzutauchen und zu versuchen, sie authentisch zu erzählen, zuzubereiten, dem Zuschauer nahezubringen. Aber natürlich drehe ich keine Dokumentarfilme. Es sind Fiktionen, die ihren Ursprung aber in der Realität haben und immer mit der Realität spielen. Der breit ausgelegte Fächer ist es aber, der „Crooks“ für mich zu etwas Besonderem gemacht hat, dieses riesige Panoptikum verschiedener Welten: Familien, Syndikate, verschiedene Länder. Eine große Aufgabe war es, die schiere Masse an Information und Figuren in einer Form zu präsentieren und portionieren, dass man als Zuschauer mitgeht und sich nicht überfordert fühlt. 

Ich darf davon ausgehen, dass „Crooks“ Ihre bislang aufwändigste Arbeit war?

Marvin Kren: Definitiv. Aufwändig auch dergestalt, dass es mir ein Anliegen war, die Serie sehr hochwertig aussehen zu lassen, immer nach Kino, mit dem entscheidenden Unterschied, dass man bei einem Kinofilm beim Dreh mehr Zeit hat. Bei einer Serie muss täglich deutlich mehr umgesetzt werden. Arbeitstechnisch war es sehr herausfordernd, in allen Phasen, schon im Drehbuchprozess. Es war nicht ganz einfach, die vielen Figuren und Schauplätze so einzuführen, dass man immer die Übersicht hat und gleichzeitig die Spannung nicht schleifen lässt. Die Spannungsbögen müssen stimmen, jede Folge muss mit einem Spannungshöhepunkt enden. 

Wer sind für Sie die wichtigsten Mitstreiter an Ihrer Seite, um einen solchen Stoff umzusetzen?

Marvin Kren: Vorneweg natürlich meine beiden Co-Creator-Kollegen: Benjamin Hessler, mit dem ich studiert und alle meine wichtigen Arbeiten gemacht habe, und Georg Lippert, der neu im Verbund ist, ebenfalls ein österreichischer Autor, ohne die ich es niemals geschafft hätte. Ebenso wichtig ist das tolle technische Team, insbesondere die Kamera, aber auch mein Produzent Quirin Berg sowie Jan Bennemann von Netflix. Und bevor ich es vergesse: Ohne die Schauspieler, vor allem meine Hauptdarsteller, hätten wir überhaupt nicht anfangen müssen. 

Sie haben mehrere Jahre an „Crooks“ gearbeitet, und vermutlich fehlt Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch der nötige Abstand, um diese Arbeit für sich einordnen zu können. Aber trotzdem die Frage: Wie stehen Sie zu „Crooks“, jetzt, wo die künstlerische Reise abgeschlossen und die Serie kurz vor ihrem Start steht?

Marvin Kren: Ich halte „Crooks“ für meine bisher beste Arbeit. Weil ich hier freier agieren konnte als bisher und weniger zwanghaft war. Es war mir wichtig, die Figuren in den Vordergrund zu rücken und meine Arbeit als Creator und Regisseur in ihren Dienst zu stellen. Die Geschichte sollte immer Priorität haben, der Rest sollte sich ihr unterordnen. Das war eine gute Übung für mich, weil ich nicht nur begriffen, sondern als Filmemacher auch gelernt habe, mich selbst zurückzunehmen und mich dem Werk auszuliefern. Es waren dreieinhalb Jahre intensivste Arbeit, eine fortwährende Wanderung durch die Niederungen der menschlichen Seele. Natürlich hat mich das berührt, es hat mich mitgenommen, es war eine Belastung. Aber das ist die Aufgabe des Künstlers. Leicht darf man es sich nicht machen!

Das Gespräch führte Thomas Schultze.