„Des Teufels Bad“ gehört zu den Filmereignissen des Jahres 2024. Weltpremiere auf der Berlinale, acht österreichische Filmpreise, Oscareinreichung – die Liste könnte fortgesetzt werden. Im Interview blickt das Kreativduo Veronika Franz & Severin Fiala auf den Erfolgslauf zurück.
Wann ist für Sie beide ein Film beendet? Ein Francis Ford Coppola arbeitet auch fünf Jahrzehnte später noch an seinen Filmen. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Veronika Franz: Diese Frage ist lustig. Wir sagen ja immer, dass wir, also Severin und ich, wie eine Person ticken, wie ein Gehirn, ein Mensch sind. Aber in dieser Sache sind wir unterschiedlich. Ich bin Francis Ford Coppola sehr nahe, weil ich immer noch was ändern könnte an unseren Filmen. Deswegen schaue ich mir die Filme ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr an. Unser erster gemeinsamer Film war ein Dokumentarfilm. Der feierte auf der Diagonale Premiere. Wir befanden uns auf dem Weg dorthin, auf der Autobahn, das DCP im Gepäck…
Severin Fiala: Und Veronika kam der Gedanke, noch etwas ändern zu wollen, und fragte, ob das bei einem DCP ginge. Die Antwort war einfach: Nein! Da ticken wir tatsächlich anders. Wobei ich mir unsere Filme auch nie wieder angucke. Aber eher deshalb, weil man beim Wiederschauen nur die eigenen Erfahrungen wieder sieht und die eigenen Probleme… Das ist kein Spaß. Ich finde, dass jeder Film eine Berechtigung hat in der Zeit, in der man ihn macht. Man macht einen Film immer so gut, wie man ihn machen kann. Bei der Arbeit an „Des Teufels Bad“ haben wir viele Verhörprotokolle von einfachen Frauen gelesen, über die es normalerweise keine Quellen gibt. Es war ein wirklich rarer Fund. Was uns verblüfft hat war, dass diese Frauen sehr modern wirken in ihren Ängsten und Sorgen. Man ertappt sich schnell mit einem Klischee im Kopf in Richtung „Wir sind die Hochzivilisation und alle, die vor uns gelebt haben, sind barbarisch und blöd“. Das muss man ablegen. Natürlich haben sich die Menschen damals auch als modern empfunden, hatten die gleichen Ängste, und alles, was sie gemacht haben, hatte auch seine Berechtigung. Insofern, als wir „Des Teufels Bad“ gemacht haben, waren wir auch nicht blöd und barbarisch, sondern wollten den Film einfach genauso machen. Und so sollte er auch sein dürfen!
„Ich würde unsere Filme immer weiter ändern wollen.“
Veronika Franz
Aber wenn ein Film erstmals öffentlich gezeigt wird, sind Sie beide schon noch dabei…
Severin Fiala: Bei der Weltpremiere, ja.
Veronika Franz: Das ist das Allerschrecklichste und meistens habe ich die Augen geschlossen.
Weil Ihre Filme, speziell des „Teufels Bad“, auch so gruselig sind…
Veronika Franz: Es ist wie ein Kind gebären vor 1500 Menschen. Da mache ich lieber die Augen zu. Aber das Problem beim Augen zumachen ist, dass man trotzdem jedes Geräusch hört. Jeden Huster, jede Flasche, die umfällt, jeden Menschen, der rausgeht aus dem Kino… Was alles in Ordnung ist! Aber schön ist’s nicht.
Severin Fiala: Das schlimmste Erlebnis war das Kino in Sundance, in dem „The Lodge“ Premiere hatte. Es ist eine Art Bibliothek und hat eine wahnsinnig schlechte Tonqualität. Wir saßen da, man hat nichts verstanden, weil die Tonanlage so schlecht war. Dafür hat man Flaschen durchs Kino rollen hören, weil dauernd irgendjemand eine Flasche umgekickt hat, die dann von hinten nach vorn gerollt ist. Es war ein Albtraum, den Film anzugucken. Den Leuten hat’s trotzdem gefallen.
Eine Nachbetrachtung zu den Filmen findet bei Ihnen beiden sicherlich trotzdem statt… Wie kritisch sind Sie mit sich selbst?
Veronika Franz: Wir sind da Anja Plaschg, unserer Hauptdarstellerin aus „Des Teufels Bad“, sehr ähnlich: Wir sind Perfektionisten! Das führt bei mir dazu, dass ich unsere Filme immer weiter ändern wollen würde. Interessant ist, wenn ein Film auf die Zuschauer:innen trifft, man eine Außensicht bekommt, Fragen, es formiert sich ein Bild, wie Menschen damit umgehen, was sie erleben. Dann beginnen wir schon, kritisch drüber nachzudenken: Haben wir das richtig gemacht, hätten wir das besser machen können? Aber das betrifft eher nur Drehbuch und Schnitt…
Severin Fiala: Wir besprechen dann schon Stellen, die wir vielleicht problematisch finden…
Veronika Franz: Man lernt ja auch, man lernt aus Fehlern, so schmerzhaft das ist. Man lernt für den nächsten Film. Man lernt auch, wie stark und mächtig ein Film sein kann. Wir mögen Filme, die uns angreifen, die gefährlich sind, die uns auch mal verletzen, die uns mit uns selbst konfrontieren. Das mögen wir alles. Für andere Menschen ist das dann sehr stark, fast zu viel. Das können wir nicht wissen. Wir wissen nicht, wie stark Filme auf andere wirken. Man kann immer nur von sich ausgehen.
Severin Fiala: Das ist keine Koketterie, aber wenn man Szenen hundert Mal sieht, verliert man das Gefühl dazu, und man weiß tatsächlich weder, ob der Film gelungen ist, noch weiß man, ob er andere Menschen berühren wird können.
Veronika Franz: Was uns sehr gefreut hat, ist, dass die Depressionsgeschichte in „Des Teufels Bad“ großen Anklang bei Menschen fand, die selbst mit Depressionen zu kämpfen haben. Es kamen viele nach den Screenings auf uns zu. Wir hatten sogar eine Vorführung für Depressionserkrankte sowie Psychotherapeuten und Psychiater … Ihr Feedback: Selten wurde die Krankheit so wahrhaftig dargestellt. Viele Erkrankte sagten uns, dass wir sie gesehen hätten, dass wir das wirklich gut getroffen hätten… Das ist ein großes Lob! Das wollten wir auch.
Severin Fiala: Eines der Probleme von an Depression erkrankten Menschen ist, dass es keine sichtbaren Symptome gibt und sie oft Sprüche zu hören bekommen wie „Reiß‘ dich zusammen, geh‘ arbeiten, bist ja nur faul“. Da hat sich auch zu vor ein paar hundert Jahren wenig geändert. Die Menschen, die zu uns gekommen sind, sagten, sie können „Des Teufels Bad“ nun verwenden, um anderen Menschen zeigen, was sie empfinden und durchleiden. Sie nehmen den Film als Kommunikationstool. Das freut uns.
„Wenn der Film dich nicht packt oder auf eine gewisse Art gefangen nimmt, haben wir was falsch gemacht.“
Severin Fiala
Kommunikation ist ein gutes Thema. Man macht Filme immer für ein Publikum, man will, dass sie gesehen werden. Insofern macht man sich sicher Gedanken über die Wirkung, ob ein Film so funktioniert, wie in der eigenen Vorstellung…ob man kommunizieren kann, was man ausdrücken will. Wie ist das bei Ihnen?
Veronika Franz: Aus Erfahrung kann ich sagen, auch durch die lange Zeit, in der ich bereits die Filme von Ulrich Seidl begleite, dass jeder Mensch seinen eigenen Film sieht. Natürlich gibt es übereinstimmende Reaktionen. Wenn wir „Des Teufels Bad“ Psychiater:innen oder Historiker:innen zeigen, wissen wir relativ genau, was die dazu sagen werden. Aber wenn es um ein diverses Publikum geht, sind die Reaktionen ganz unterschiedlich. Dass Wolf, die Figur des Ehemanns in „Des Teufels Bad“, wahrscheinlich homosexuell ist, sehen nicht alle Menschen. Das war unsere Absicht. In der damaligen Zeit musste man seine Homosexualität verstecken. Deswegen wollten wir das auch nicht so deutlich erzählen. Das wäre ja sonst eine Behauptung, eine Sicht aus der Moderne. Queere Menschen, und auch andere, sehen das sofort. Aber nicht jeder. Wir hatten oft Fragen aus dem Publikum, weshalb Wolf mit seiner Ehefrau keinen Sex hat. Es sieht halt nicht jeder alles. Und das ist in Ordnung.
Severin Fiala: Wie gesagt, in diesem Fall war es auch Absicht, dass das nicht offensichtlich ist. Ich finde auch, dass jeder seinen eigenen Film sieht. Aber es ist auch eine Gefahr darin, wenn man das zu sehr zum Programm macht. Uns haben in Österreich ab und zu schon Arthousefilme frustriert, die mehr oder weniger Arthouse als Genre und als Form nehmen, aber eigentlich nicht wirklich etwas erzählen. Und wenn man dann kritisiert, kommt als Antwort: „Ist halt ein Arthousefilm, der muss ja nichts, der muss nicht auf eine bestimmte Art wirken“. Wir sind erleichtert, in Genres zu arbeiten. Wenn der Film dich nicht packt oder auf eine gewisse Art gefangen nimmt, haben wir was falsch gemacht. Wir haben das Bedürfnis, dass unsere Filme zu einem Publikum sprechen.
Veronika Franz: Film ist keine autistische Kunstform!
Ihr Film sorgt auch für viel Gesprächsstoff allein wegen des sichtbaren Mords an einem Kind…
Veronika Franz: Da gibt es heftige Reaktionen. Ein österreichischer Kollege, der selbst einen sehr gewalttätigen Film gemacht hat, mochte „Des Teufels Bad“ aus diesem Grund nicht: Man dürfe keinen Kindsmord zeigen.
Severin Fiala: Das ist eigentlich auch ein Kompliment. Wenn ein Film einen gefangen nimmt und wo hinbringt, wo man nicht sein will. Das ist vielleicht dann nicht der richtige Film für diese Personen, aber sagt zumindest, dass der Film es schafft, etwas in einem zu berühren.
Veronika Franz: Es gibt auch die andere Schule, dass man es nicht zeigt. Aber diese Frauen haben die Kindsmorde ganz genau, ganz detailliert beschrieben. Und es ist im Film ein wahnsinnig wichtiger Moment, dass Agnes das wirklich tut. Wir finden es natürlich total furchtbar. Aber wegzuschauen, ist nicht unsere Haltung. Wenn etwas furchtbar ist, muss man es auch furchtbar zeigen. Es ist ja auch kein Actionfilm. Wobei es im Actionfilm die wenigsten Menschen stört, wenn Leute reihenweise niedergeschossen werden. Da ist es offenbar legitim. Aber wenn man einen Mord in seiner Furchtbarkeit zeigt, ist es nicht mehr legitim. Das verstehe ich nicht. Das finde ich verlogen.
Severin Fiala: Wir schauen die Filme ja eigentlich nicht mehr an. Aber irgendwann habe ich noch mal einen Ausschnitt aus „Ich seh, ich seh“ gesehen und fand es wahnsinnig lustig. Ich erinnerte mich an die lebhaften Diskussionen im Schneideraum. Im Film gibt es einen Moment, wo die Kinder die Mutter mit Zahnseide malträtieren. Und eigentlich wird es als langsame Zufahrt gezeigt und der Baum bewegt sich und man hört im Babyphon das Gestöhne. Wir haben immer gescherzt und gesagt, dass das die Haneke-Variante ist. Der hätte das so gemacht und Ende. Aber wir hatten so eine Freude daran, nachdem wir die Haneke-Variante durchgespielt hatten, dass wir dann doch hingeschnitten und es gezeigt haben.
Veronika Franz: Es geht uns ums Hinschauen und nicht ums Wegschauen. Für die Geschichte von „Des Teufels Bad“ ist es wichtig, dass man Agnes in dem Moment auch nicht mag, weil es einfach so furchtbar ist. Wenn sie dann beichtet und man in ihr Inneres schauen kann, gewinnt sie wieder Empathie von uns Zuschauern.
Severin Fiala: Das entspricht…
Veronika Franz: … dem Menschsein.
Severin Fiala: … und eben dieses mittelbaren Selbstmordes. Wir fanden interessant, dass vor allem Frauen in allerhöchster Not mehr oder weniger von einer Gesellschaft gezwungen wurden, so etwas Furchtbares zu machen. Und so zu Täterinnen zu werden, die unschuldiges Leben zerstören.
Veronika Franz: Für unseren Schluss, das Hinrichtungsfest, hassen uns auch ganz viele Menschen. Aber wir finden: Menschen gehen mit dem Moment einer Hinrichtung ganz unterschiedlich um. Aber wie in einem Horrorfilm, wo manche Menschen bei Schreckszenen lachen, weil sie es lustig finden, kann man auch nach einer Hinrichtung, die natürlich etwas Verstörendes ist, Wein trinken und irgendwann lachen und tanzen. Das ist ganz menschlich. Das interessiert uns.
Severin Fiala: Die Absurdität des Menschlichen.
Das Gespräch führten Barbara Schuster & Thomas Schultze