Prequel zu dem Sensationserfolg „Der König der Löwen“, in dem die Geschichte erzählt wird, wie der Vater von Simba zum König der Löwen werden konnte.
FAST FACTS:
• Disneys neueste Realverfilmung eines seiner Zeichentrickklassiker
• Spinoff von Jon Favreaus „Der König der Löwen“ von 2019
• Inszeniert von Barry Jenkins, dessen „Moonlight“ 2016 den Oscar als bester Film gewann
• Wiedersehen mit allen Publikumslieblingen
• Neue Songs von Oscargewinner Lin-Manuel Miranda
• Der originale „Der König der Löwen“ kam 1994 auf 11,9 Mio. Tickets
• Das Real-Remake von „Der König der Löwen“ schaffte 5,7 Mio. Tickets
• Disney-Marketingpower zu Weihnachten
CREDITS:
O-Titel: Mufasa: The Lion King; Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 120 Minuten; Regie: Barry Jenkins; Drehbuch: Jeff Nathanson; Verleih: Walt Disney; Start: 19. Dezember 2024
REVIEW:
„Mufasa – Der König der Löwen“ will man einfach schon deshalb sehen, weil man wissen will, was Barry Jenkins daraus gemacht hat. Was den Oscargewinner mit „Moonlight“ und für seine elegische James-Baldwin-Verfilmung „Beale Street“ und die sensationell ambitionierte Prime-Serie „Underground Railroad“ nach der Vorlage des Pulitzer-Preis-Gewinners Colson Whitehead gefeierten Filmemacher daran gereizt haben könnte, das Realfilmprequel des weltweiten Blockbusters „Der König der Löwen“ aus dem Jahr 2019, der zweitmeistgesehene Titel in den deutschen Kinos in diesem außergewöhnlichen Kinojahr und seinerseits die Neuverfilmung des erfolgreichsten Disney-Animationsfilms der Neunzigerjahre (und in Deutschland mit 11,9 Millionen Besuchern erfolgreichsten Disney-Animationsfilm überhaupt), zu inszenieren. James Baldwin… Colson Whitehead… Walt Disney? OKAY…
Was man für sich zunächst nicht so recht in eine Reihe bringen will, ergibt einen Sinn, wenn man die ersten prachtvollen Bilder von „Mufasa“ sieht, die einer kurzen Danksagung an den erst im September verstorbenen James Earl Jones folgen, der Mufasa mit seinem donnernden Bariton im originalen „Der König der Löwen“ gesprochen hatte. Wie die Kamera abhebt und die afrikanische Steppe erobert, alles, was das Licht berührt, die Fläche vermisst und zum Staunen einlädt, das erinnert an die elegischen Bilderfolgen von „Beale Street“, komponiertes Kino, das es sich vorgenommen hat, in seiner gesamten Webart seiner Urquelle gerecht zu werden. Jenkins‘ Arbeiten sind Verbeugungen, Danksagungen, er findet sich und seine künstlerische Stimme in einer Art kreativer Appropriation, einer Durchdringung der Vorlage: Gottes Werk und Jenkins’ Beitrag ist es dann, dieses Werk von innen heraus zu seiner Vision zu machen.
Das hat funktioniert bei James Baldwin und Colson Whitehead. Das funktioniert jetzt auch bei Walt Disney, mit dessen Zeichentrickfilmen der Regisseur von „Mufasa“ dem eigenen Bekunden nach großgeworden ist und die ihn als Jungen geprägt, ihn das Kino als Ort des Träumens haben entdecken lassen. So hat er mit dem Drehbuch von Jeff Nathanson einen Film über das Erzählen gemacht, dessen ästhetischer Ansatz sich vom Fotorealismus des Vorgängers von Jon Favreau löst. Was nicht heißt, dass die Fortsetzung minder imposant oder weniger perfektionistisch geraten ist, nur nimmt der Film einen Schritt zurück, lässt in all seiner naturalistischen Pracht und haptischen Erfahrbarkeit seiner Kulissen nie einen Zweifel, dass man einen Animationsfilm sieht, der wirkt wie eine intensive Erinnerung, wahrhaftig und doch nicht echt: eine Imitation des Lebens, eine Odyssee zu einem Sehnsuchtsort, einem magischen Land namens Milele, eine Utopie des Zusammenlebens, die gleich neben Wakanda und Zootopia liegen könnte.
Die Geschichte des kleinen Mufasa wird als lange Rückblende gezeigt, erzählt als Legende von dem weisen Mandrill Rafiki, der dem Löwenjungen Kiara, Tochter von Simba, gemeinsam mit Meerkatze Timon und Warzenschwein Pumbaa in einer dunklen Höhle, wo sie die Nacht allein zubringen muss, während ihr Vater über sein Reich wacht und ihre Mutter zurückgezogen für sich neues Leben gebiert. Der Kreislauf des Lebens: „Mufasa“ hat einen Film gemacht aus Elton Johns unsterblichen Textzeilen „Till we find our place / On the path unwinding / In the circle, the circle of life“, verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, künftige Generationen mit ihrer Herkunft. So folgt man dann dem ganz kleinen Jungen Mufasa, der in einer Naturkatastrophe auf immer von seinen Eltern getrennt, buchstäblich von ihnen weggespült wird (Echos von „Bambi“ ebenso wie von der biblischen Geschichte von Moses) und vor Krokodilen von einem anderen Löwenjungen, Taka, gerettet wird. Wie Brüder wachsen die beiden auf, geliebt von Takas Mutter Eshe, Mufasa indes nur widerwillig geduldet von Takas Vater Obasi, der Angst hat vor Fremden und Außenseitern und seinem Sohn sagt, er solle sich nicht wundern, eines Tages werde er von seinem Freund verraten werden.
Mutig ist von den beiden jungen Löwen indes nur einer: Mufasa rettet Eshe, als sie von übermächtigen weißen Löwen angegriffen wird, während Taka vor Angst erstarrt. Als die beiden Brüder fürs Leben, wie sie glauben, angehalten sind, das Rudel zu verlassen, sich in Sicherheit zu bringen vor den mörderischen weißen Löwen unter Anführung des großen Antagonisten Kiros (im Original großartig gesprochen von Mads Mikkelsen), sich auf die Suche begeben nach Milele, beginnt auch der Film richtig, wird aus der biblisch angehauchten Geschichte eine Tragödie wie von Shakespeare. Es wird mitverfolgt, wie Mufasa und Taka neue Freunde um sich scharen, den jungen Rafiki, den Rotschnabeltoku Zazu und schließlich die schöne Löwin Sarabi, in die Taka sich verliebt, obwohl ihr Herz Mufasa gehört. Vorgezeichnet ist, dass das nicht gut ausgehen kann. Während die Freunde sich den Weg bahnen durch ein mythisches Afrika, von der Steppe über die höchsten eisigen und verschneiten Bergmassive, werden Freundschaften und Allianzen getestet, Gefühle angeheizt und Stolz verletzt, Intrigen gesponnen und Verrat geplant. Und „Mufasa“ wird immer intensiver.
Klug und verspielt verweisen Barry Jenkins und Jeff Nathanson immer wieder auf „Der König der Löwen“, lassen ikonische Figuren und Orte auftauchen, als würde man gerade die Erde neu entdecken, während die neuen Songs von Lin-Manuel Miranda einem vor Augen führen, warum er aktuell der Einzige sein sollte, der Lieder für Disney-Filme schreibt. Aber nie lassen die Macher das Drama aus den Augen, das wiederholt und speziell beim Showdown durchaus ausreizt, was ein Film mit FSK 6 leisten darf. Es ist ein aufwühlender und packender Film, eine kaum verhohlene Allegorie auf das Gift des Rassismus mit den nicht von ungefähr weißen Löwen, die ihresgleichen unterwerfen, versklaven und ermorden. Aber vor allem ist „Mufasa: Der König der Löwen“ eine wuchtige Erfahrung, ein echtes Kinoerlebnis, das den Originalen sowohl von 1994 wie auch 2019 immer dient, sich aber nicht in den Staub wirft vor ihnen, sondern die Freiheit nutzt, etwas Neues zu erzählen über den endlosen Kreislauf des Lebens, über Löwen, die mindestens so heldenhaft sind wie schwarze Panther.
Thomas Schultze