Wild-hintergründige Komödie über eine chaotische Anwältin, die in einem skurrilen Prozess einen angeblich bissigen Hund verteidigt, der eingeschläfert werden soll.
FAST FACTS:
• Ungewöhnliche Komödie mit Charme und unverkennbarem Punk-Esprit
• Regiedebüt der französischen Schauspielerin Laetita Dosch
• Weltpremiere in Un Certain Regard auf dem Festival de Cannes
• Hundedarsteller Kodi wurde mit dem Palm Dog Award ausgezeichnet
• Galascreening auf der Piazza Grande beim Locarno Film Festival
CREDITS:
O-Titel: Le procès du chien; Land / Jahr: Frankreich, Schweiz 2024; Laufzeit: 83 Minuten; Regie: Laetitia Dosch; Drehbuch: Anne-Sophie Bailly, Laetitia Dosch; Besetzung: Laetitia Dosch, François Damiens, Jean-Pascal Zadi, Anne Dorval, Anabela Moreira, Tom Fiszelson; Verleih: Weltkino; Start: 6. Februar 2024
REVIEW:
Was für Laetitia Dosch als Schauspielerin zutrifft, trifft jetzt auch auf sie als frischgebackene Filmemacherin zu: Ihr Debüt „Hundschuldig“ hat Format, Persönlichkeit, Chuzpe und extra viel Energie. Es ist eine Komödie, allerdings ist sie nicht gefallsüchtig, freut sich daran, anzuecken, zu überraschen, ungeahnte Wege und Umwege zu gehen, und zögert auch nicht, dem Zuschauer am Schluss knüppelhart den Boden unter den Füßen wegzuziehen mit einem Ende, das einen ein bisschen fassungslos hinterlässt, empört und erschüttert. Weil es der Film bei all seinen Skurrilitäten und Surrealitäten ernst meint. Mit seinen Themen, die bisweilen so wirken, als seien sie der Macherin ganz spontan eingefallen. Mit seinen Figuren, die bisweilen eher anmuten wie Typen, ein bisschen überzeichnet, karikiert, deren Handlungen dann aber doch Konsequenzen. Und mit seiner Geschichte, die völlig unglaublich erscheint, aber doch in der Realität verankert ist.
Ein Hund muss sich vor einem Schweizer Gericht verantworten. Dreimal hat er Frauen gebissen, die sich im genähert haben, während er beim Fressen war, und nun soll der unbelehrbare Wiederholungstäter eingeschläfert werden, wogegen sein Herrchen vorgehen will. Laetitia Dosch nimmt diese Schlagzeile, um daraus eine Schnurre zu machen, für deren Tonalität sie sich nach eigenem Bekunden von den Coen-Brüdern hat inspirieren lassen. Das mag sein, aber mehr als eine Inspiration ist es nicht. Dafür ist „Hundschuldig“ in der Umsetzung viel zu undiszipliniert, zu all over the place, hat nicht die hermetische Disziplin der Vorbilder, sondern erscheint mehr wie Actionpainting, eine Variante von „Anatomie eines Falls“ mit der Attitüde des frühen Punk. Und ist dabei wie die von Dosch selbst gespielte Hauptfigur, die Anwältin Avril, die sich in einem konstanten Zustand der Auflösung zu befinden scheint, gekleidet in bunten Outfits, deren Einzelteile so gar nicht richtig zusammenpassen wollen, aber an ihr einfach toll aussehen.
Gleich zu Beginn des Films muss sich Avril einen langen Monolog ihres Chefs anhören, sie sei bei ihren Fällen zu sehr persönlich involviert und müsse künftig mehr Erfolge liefern, wenn sie ihren Job behalten will. Weshalb sie zum Erfolg verdammt ist, als sich der Lebenskünstler Dariuch, gespielt von François Damiens aus „Der Auftragslover“ oder „Verstehen Sie die Béliers?“, sich an sie wendet, ob sie nicht die Verteidigung seines liebenswerten Rüden Cosmos übernehmen wolle, eigentlich ein aussichtsloser Fall, in den sich Avril dann mit großem Einsatz verbeißt. Der Prozess ist der rote Faden, an dem sich der Film entlanghangelt. Die absurd anmutenden Argumente über den freien Willen und die Individualität des angeklagten Vierbeiners nutzt Dosch als Ausgangspunkt für unkonventionelle Betrachtungen zu Feminismus und Sexismus ebenso wie für ein paar absurd anmutende Eskapaden im Privatleben der Anwältin, die sich um einen misshandelten zwölfjährigen Nachbarsjungen kümmert und sich auf eine Affäre mit einem klugen Hundetrainer einlässt. Der Film ist wie eine stetig überquellende Wundertüte.
Für „Bonjour Paris“ war Laetitia Dosch 2018 bei den Lumière Awards als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet worden und hatte bei den César eine Nominierung in dieser Kategorie erhalten, obwohl sie damals schon fast zehn Jahre vor der Kamera gestanden hatte. Seither fällt sie immer wieder auf mit mutigen, verschwenderischen Auftritten vor der Kamera (ich habe sie zuletzt auf Mubi zufällig in „Passion Simple“ von 2020 gesehen und war förmlich hin und weg). Und nun eben auch als Regisseurin eines Films, der womöglich mehr Ideen hat, als man erschöpfend in knapp 85 Minuten unterbringen kann. Aber gerade dieses Überbordende, das lustvolle übers Ziel hinausschießen verleiht dem Film seinen ureigenen Charme. Und ist Teil der Erzählstrategie der Regisseurin und Autorin: Weil man niemals mit dem Magenhieb rechnen würde, den dieser beschwingte Spaß am Ende bereithält.
Thomas Schultze