Eine originelle Beziehungskomödie ist Iván Sáinz-Pardo mit „Der Vierer“ gelungen. Entstanden ist sie im Verbund mit ehemaligen Kommilitonen der HFF München, den Produzenten von Neos Film und Wiedemann & Berg Film. Aus Österreich unterstützte EPO-Film. Über die verschlungenen Pfade hin zu seinem Spielfilmdebüt und das Ankommen in der Branche spricht er hier im SPOT-Interview.
Sie haben Ihr Regiestudium an der HFF München vor rund 14 Jahren abgeschlossen, haben bis dato (erfolgreiche) Kurzfilme gemacht, Werbung und auch als Fotograf gearbeitet. Jetzt kommen Schlag auf Schlag mehrere große Projekte: Regie bei „Sebastian Fitzeks Die Therapie“ für Prime Video (geteilt mit Thor Freudenthal), Ihr erster Kinofilm „Der Vierer“ mit Topbesetzung und die Joyn-Serie „Die StiNos“. Sind sie nun angekommen? Und wenn ja: warum hat es so lange gedauert?
Iván Sáinz-Pardo: Ich habe oft gehört: Warum hat das jetzt alles so lange gedauert bei dir? Ich fühle mich wie jemand, der auf eine Party eingeladen wird, aber ein wenig zu spät dran ist: Die Polizei steht schon vor der Tür, die Leute sind betrunken, die Musik ist aus – und ich bringe gerade das Eis. Eigentlich ist es eine schöne Lebens-Anekdote. Mit den Leuten, mit denen ich „Der Vierer“ gemacht habe, habe ich damals studiert. Max Wiedemann und Quirin Berg sind ehemalige Kommilitonen. Sie studierten Produktion, ich Regie. Meine ersten Kurzfilme, die sehr erfolgreich waren, habe ich mit ihnen gemacht. Auch mit Christoph Menardi von Neos Film. Mein zweiter Kurzfilm an der HFF trägt den Titel „Simones Labyrinth“. Der war wie „Der Vierer“ eine Zusammenarbeit von Wiedemann & Berg Film und Neos Film. Es ist schon komisch, wie das Leben manchmal so einen wichtigen Kreis schließt.
Was ist aber all die Jahre dazwischen passiert?
Iván Sáinz-Pardo: Mit Neos Film habe ich damals, es muss 2008 gewesen sein, an einem Kinofilm gearbeitet nach der Vorlage eines neuen, noch unbekannten deutschen Autors namens Sebastian Fitzek. Wir hatten uns die Rechte an seinem allerersten Roman gesichert: „Die Therapie“. Ich war drauf und dran, diesen Kinofilm zu inszenieren. Drei Jahre habe ich daran gearbeitet. Wir hatten aus Spanien Filmax als Koproduzenten und Weltvertrieb an Bord. Christoph Maria Herbst war für die Hauptrolle besetzt. Doch so wie es leider oft passiert, ganz unerwartet, kam eine Förderung nicht und Filmax ist ausgestiegen. Ich war noch jünger und unerfahrener. Ich war fest überzeugt, dass es klappt. Bin einfach zurück nach Barcelona und habe gewartet, bis es losgeht. Das war vielleicht ein Fehler. Denn nicht nur der Film kam nie zustande, ich habe mich auch noch von meiner Frau damals scheiden lassen. Alles ist zusammengebrochen und ich musste wieder bei Null beginnen.
Der Kontakt zu Sebastian Fitzek blieb aber offenbar bestehen…
Iván Sáinz-Pardo: Wir sind Freunde geblieben. Die Zusammenarbeit damals war toll. Ich habe ihm zwischendurch bei einem Drehbuch geholfen. Und viele Jahre später, als „Die Therapie“ als Miniserie in Entwicklung war, hat er mich bei Ziegler Film und Prime Video als Regisseur vorgeschlagen. Das war ein Vertrauensbeweis. Bis dahin hatte ich nur etliche Kurzfilme und Werbung gemacht und war Second-Unit-Regisseur bei der internationalen Serie „The Head“. „Sebastian Fitzeks Die Therapie“ mit einem Budget von zwölf Mio. Euro war schon eine andere Hausnummer. Es hat Spaß gemacht. Klar war es auch hart und lang. Aber ich bin super happy damit. Ich bin mir sicher, dass Sebastian und ich in Zukunft mit einem anderen fantastischen neuen Projekt wieder zusammenkommen werden.
„Florian fand es super, wollte gerne mitmachen.“
Es gibt auch eine schöne Anekdote zu „Der Vierer“. Sie sollten ursprünglich das spanische Original, „Amor en Polvo“, inszenieren …
Iván Sáinz-Pardo: Es ist eine ähnliche Geschichte wie bei „Die Therapie“. Mein Freund Juanjo Moscardó Rius, der in Spanien als Drehbuchautor und Produzent arbeitet, hat gemeinsam mit María Mínguez und María Laura Gargarella das Drehbuch zu „Amor en polvo“ geschrieben. Er dachte an mich als Regisseur. Ich habe die Entwicklung des Stoffs von Anfang an begleitet, immer Feedback gegeben. Im letzten Moment ließ uns die nationale Filmförderung hängen und der Film musste mit nicht mal 400.000 Euro gedreht werden. Alles Geld stammte aus Valencia. Das war der Knackpunkt, denn Juanjo war angehalten, das komplette Team mit Leuten aus Valencia zu besetzen. Ich bin nun mal nicht von dort, also musste ich den Regieposten abgeben.
Wie ging es weiter?
Iván Sáinz-Pardo: Juanjo war das so arg, dass er das Drehbuch von „Amor en Polvo“ auf englisch übersetzen und schriftlich festhalten ließ, dass wenn ich jemanden finde, der ein Remake machen will, ich dann der Regisseur sein muss.
Da fielen Ihnen Ihre ehemaligen Kommilitonen und Freunde von Neos Film ein…
Iván Sáinz-Pardo: Genau. Ich wusste, dass sie nach eigenen Stoffen suchten. „Der Vierer“ war perfekt für eine kleine Produktionsfirma, weil man es auch sehr kontrolliert als Kammerspiel an nur zwei Locations umsetzen kann. Wir haben dann trotzdem vier bis fünf Jahre daran gearbeitet.
Das Drehbuch haben Sie mit Torben Struck von Neos Film geschrieben. Auch Florian David Fitz hat einen Credit. Er ist ja nicht nur ein versierter Darsteller – und einer Ihrer vier Hauptdarsteller – sondern auch ein versierter Drehbuchautor und Filmemacher. War klar, dass er beim Drehbuch mitschreibt?
Iván Sáinz-Pardo: Wir haben ihm das Drehbuch geschickt, weil wir ihn uns gut als Schauspieler darin vorstellen konnten. Florian fand es super, wollte gerne mitmachen. Da er auch ein guter Drehbuchautor ist, hat er uns immer wieder Anmerkungen ins Drehbuch geschrieben. Irgendwann haben wir ihn auch eingeladen, als Autor richtig mitzuarbeiten. Florian kann fließend Spanisch, und ihm und mir war es wichtig, dass der Kern des Originals erhalten bleibt. Wir hatten einige kreative Unterschiede, aber wir verständigten uns auf eine Vision. Keiner von uns wollte eine platte deutsche Sexkomödie machen. Florian ist nicht nur einer der besten Schauspieler Deutschlands, sondern auch ein großartiger Dramatiker und sein Talent und seine Erfahrung haben dem Projekt sehr geholfen. Irgendwann kamen Wiedenmann & Berg Film und Leonine als Verleih an Bord, da hat das Projekt noch einmal andere Ausmaße angenommen. Außerdem war es schön, weil ich so wieder mit Quirin Berg und Max Wiedemann zusammenarbeiten konnte.
„Florians Idee, die Geschichte direkt in der Nacht des Vierers anfangen zu lassen, hat sich durchgesetzt.“
Wie sehr unterscheidet sich „Der Vierer“ nun vom spanischen Original?
Iván Sáinz-Pardo: Das ist keine leichte Frage. Bei dem Projekt mussten viele Partner befriedigt werden. Ich bin immer Kompromisse eingegangen. Für mich war immer klar, dass die finale Botschaft des Films eine andere sein musste als die des Originalfilms, eine, die es dem Hauptpaar ermöglichen würde, sich auf eine etwas realistischere und erwachsenere Art und Weise zu treffen. Und ich sah es immer als notwendig an, dass die Figur der Sophie, gespielt von Julia Koschitz, vor dem Ende des Films für ihre „Sünden“ bezahlen und vor dem Publikum einen Prozess der Erlösung vollziehen muss. Entscheidend war auch ein Wunsch, der direkt von Florian kam. Seine Idee, die Geschichte direkt in der Nacht des Vierers anfangen zu lassen, hat sich durchgesetzt. Das fand ich anfangs etwas riskant hinsichtlich der Einführung der Figuren. Aber es funktioniert. Uns war wichtig, dass wir den Stoff als Beziehungskomödie mit ihren Themen und einer gewissen Tiefe immer ernst nehmen. Letztendlich schaffen wir in „Der Vierer“ den Spagat zwischen Drama und Komödie.
Sie haben einen tollen Cast – neben Florian David Fitz gehören zum „Vierer“ Julia Koschitz, Friedrich Mücke und die absolute Entdeckung aus Spanien Lucía Barrado… Wussten Sie von Anfang an, dass Sie diese Rolle mit einer Spanierin, die erst deutsch lernen musste, besetzen wollen?
Iván Sáinz-Pardo: Ich war total happy, dass sich die Produzenten und auch Leonine letztendlich darauf eingelassen haben. Wir hatten erst ein Casting mit deutschen Schauspielerinnen, die spanisch sprechen. Aber es wollte nicht funktionieren, es passte nicht. Mir war es wichtig, den kulturellen Bruch mitzuerzählen. Wir haben also angefangen, auch in Spanien zu suchen. Und da war Lucía mit dabei. Ich habe ein Video von ihr gesehen und gleichgesehen: Sie ist unsere Mia! So frech, so direkt! Sie ist wie ich: Es geht immer nur nach vorne. Wir haben sie zum Konstellationscasting mit Friedrich Mücke eingeladen. Lucía hat ihn regelrecht überrumpelt mit ihrer Art. Danach meinte auch er sofort: Sie ist es! Sie hatte den Mut, obwohl sie kein gutes Deutsch sprach. Das hat sie sich alles via Sprach-Coach in Windeseile draufgeschafft. Im Testscreening kamen die Bar-Szenen mit den beiden total gut an!
„Meine umfangreiche Erfahrung mit Kurzfilmen hat mir bei diesen großen Projekten unglaublich geholfen.“
Sowohl mit „Der Vierer“ als auch mit „Die StiNos“ sind Sie im Komödienfach gelandet. Ihre Kurzfilme sind eher genrelastig. Wie passt das zusammen?
Iván Sáinz-Pardo: Ich denke nicht so sehr in Genres. Ich glaube an Geschichten. Und die Geschichte diktiert, mit welchen filmischen Mitteln man sie erzählt. Ich habe um die 20 Kurzfilme in meiner Vita, darunter sind tatsächlich viele, die in Richtung Thriller, Psychothriller, Horror oder großes, intensives Drama gehen. Ein paar kann man der Komödie zuschreiben, eher der schwarzen Komödie. Wenn ich Komödie mache, hat sie immer Tiefgang oder noch ein soziales Thema. Ich bin froh, dass ich mich nie festgelegt habe auf einen bestimmten Bereich… Meine umfangreiche Erfahrung mit Kurzfilmen hat mir bei diesen großen Projekten unglaublich geholfen.
Erzählen Sie etwas über „Die StiNos“!
Iván Sáinz-Pardo: „Die StiNos“ ist ebenfalls ein Remake eines spanischen Originals. „Poquita fe“ heißt die spanische Vorlage. In Spanien lief die Serie bei Moviestar+ und war sehr erfolgreich. Sie ist aber auch „sehr spanisch“. Die Adaption war eine Herausforderung. Denn uns allen war klar, dass wir nicht einfach nur eine Adaption machen können, sondern dass es uns gelingen muss, etwas absolut Spanisches in etwas absolut Deutsches umzuwandeln. Gleichzeitig war meine Aufgabe, diese freche Tonalität des Humors, den wir in Spanien haben, und die Qualität der Vorlage nicht zu verlieren. Ich finde, dass und das sehr gut gelungen ist. „Die StiNos“ ist lustig, hat Humor, aber auch die nötige Portion Drama, Tiefgang. Ähnlich wie bei „Der Vierer“.
Inwiefern hat Ihnen konkret die Erfahrung aus den Kurzfilmen geholfen?
Iván Sáinz-Pardo: Bei jedem Filmprojekt gibt es Herausforderungen. Beispiel „Die StiNos“: Die spanische Serie hatte mehr Drehtagen und mehr Budget. Aber man sieht es nicht, ich würde behaupten, „Die StiNos“ ist mindestens so gut wie das spanische Original. Warum? Weil ich durch die Kurzfilme gelernt habe, wie man mit wenig Mitteln viel rausholt. Außerdem lernt man, gut zu improvisieren.
Wie wohl fühlen Sie sich im deutschen Film?
Iván Sáinz-Pardo: Ich stehe zwischen zwei Kulturen. Für die beiden aktuellen Adaptionen war ich der perfekte Schlüssel, möchte ich behaupten. Ich bin 100 Prozent Spanier, ich habe aber in Deutschland studiert, die längste Zeit in München gelebt, meine Frau und mein Sohn sind Deutsche. Ich fühle mich in der Branche hier sehr wohl. Kino hat es generell gerade nicht leicht. Komödien sind immer eine Herausforderung. Ein Phänomen ist, dass es deutsche Komödien nur selten über die Landesgrenze schaffen, also fast nie in Länder wie Italien, Spanien oder Frankreich. Warum? Ich freue mich, dass ich mich mit dieser Frage dank „Der Vierer“ direkt konfrontiert sehe. Unser Film beschäftigt sich mit Humor, aber auf intelligente und ernsthafte Weise mit wichtigen Beziehungsthemen, bietet große Überraschungen und Wendungen. Dabei haben wir versucht, mit intelligenten und witzigen Dialogen eine Handlung um universelle Themen zu erzählen, in die sich jeder von uns hineinversetzen kann.
Das Gespräch führte Barbara Schuster