Vierteilige True-Crime-Miniserie über den legendären Hamburger Kiezgangster Joe Marx, der in den Neunzigerjahren zu einem der führenden Mitglieder des kolumbianischen Cali-Kartells wird.
FAST FACTS:
• Die wahre Geschichte der Kiezlegende Joe Marx, von ihm selbst erzählt
• Erste von vorerst drei True-Crime-Miniserien der Beetz-Brüder für Prime Video
• Weltpremiere auf dem 34. Film Festival Cologne
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit 4 x 45 Minuten; Produktion: Christian Beetz, Georg Tschurtschenthaler und Lea-Marie Körner; Regie: Peter Dörfler; Plattform: Prime; Start: 10. November 2024
REVIEW:
In den Neunzigern, wenn du aus Hamburg kommst und kriminell bist und du kommst nach Kolumbien, dann war das für mich wie ein Paradies. Das ist der erste Satz, den man hört in der Serie „German Cocaine Cowboy“, die erste von vorerst drei launigen True-Crime-Serien, die die Beetz Brothers für Prime hergestellt haben – Teil zwei, „Milliarden Mike“, feierte gerade Premiere bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck (hier unsere SPOT-Besprechung); im kommenden Jahr wird noch „Kill My Doppelgänger“ folgen. Von der Tonalität ist sie ganz anders als beispielsweise „Crime Scene Berlin“, die gebrüder beetz filmproduktion für Netflix realisiert hatte, reißerischer und bedrohlicher. Hier erlebt man „Filou-Geschichten von Gangstern, bei denen man auch schmunzeln darf“, wie es Christian Beetz erst vor ein paar Wochen im SPOT-Interview nannte und damit die erzählerische Haltung des Vierteilers eigentlich perfekt beschreibt.
Unter der Regie von Peter Dörfler und produziert von Christian Beetz, Georg Tschurtschenthaler und Lea-Marie Körner, wird die Geschichte der Rotlicht-Legende Joe Marx erzählt, häufig in seinen eigenen Worten, wie er es vom Kiezluden in St. Pauli zum angesehenen Mitglied des Cali-Kartells in Kolumbien schafft, eine tolle Sause, eine verrückte Schnurre mit mehr Cowboy als Kokain in der Erzählhaltung, eine Erfolgsgeschichte mit allem Pipapo: unaufhaltsamer Aufstieg („Waffen, Geld, Frauen! Kolumbien!), gnadenloser Absturz, Aufkehren des Trümmerhaufens. Und zwischendrin die Serie, die „Narco“ noch einmal von einer ganz anderen Seite aufrollt, aus der Sicht des „verrückten Deutschen“ erzählt, der zur Hochphase des Cali-Kartells, mit dessen Hilfe die CIA den Erzkonkurrenten Pablo Escobar aus Medellin aus dem Verkehr ziehen konnte, für die Verteilung des Kokains in Europa zuständig war.
In der ersten Folge, „Der verrückte Deutsche“, werden die Grundlagen verhandelt, Joe Marx wird vorgestellt, und die nötigsten Informationen werden zusammengetragen, damit man sich in der Welt des Kokainhandels zurechtfindet. „Der Pimp“ holt dann weit aus, geht zurück zu den Anfängen von Joe Marx als aufstrebender Zuhälter, der schließlich Hamburg verlassen muss, als das Pflaster zu heiß wird und die Polizei ihm auf den Fersen ist. „Der Ehrenmann“ berichtet von den Aufs und Abs in Kolumbien, und „Der Tod“ holt die Serie schließlich in die Gegenwart. Alldieweil ist Joe Marx schonungslos offen und hinreißend charmant, wenn er den Filmemachern seine Geschichte erzählt. Andere Experten unterfüttern das Narrativ, das bisweilen schlau offenlässt, ob das schillernde Schlitzohr nicht manchmal auch übertreibt oder gar flunkert.
Das ist der eigentliche Spaß an der Miniserie: Sie beschönigt nichts, aber wie ein „The Wolf of Wall Street“ erhebt sie nicht den moralischen Zeigefinger, sondern lässt den Zuschauer durchaus daran teilhaben, was der Reiz, der Kick, der Lohn der Kriminalität sein kann. So lange man sich nicht schnappen lässt. Aber wie Marx selbst so schön sagt: „Was mich langweilen würde, wäre ein Leben in der Mitte“ – womit er den berühmten Auftakt von „GoodFellas“ spiegelt: „All my life I wanted to be a gangster“. Und eigentlich selbst den Ton vorgibt für „German Cocaine Cowboy“, der seinem Sujet mit einer ganz modernen Bildsprache, wie man sie sich von Produktionen der Beetz-Brüder erwartet, gerecht wird, Docutainment, aber mit Biss und Substanz.
Thomas Schultze