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REVIEW KINO: „Weihnachten in der Schustergasse“

Verfilmung einer der bekanntesten Geschichten des norwegischen Autors Bjørn Rønningen über ein einsames Mädchen, das zur Weihnachtszeit auf der Flucht Unterschlupf bei einem eigenbrötlerischen Schuhmacher sucht. 

CREDITS:
O-Titel: Den første julen i Skomakergata; Land / Jahr: Norwegen 2023; Laufzeit: 95 Minuten; Regie: Mikal Hovland; Drehbuch: Maren Skolem; Besetzung: Kaya Ekerholt McCurley, Kåre Conrad, Håkon Seip, Olav Waastad, Matthias Luppichini, Jan Sælid, Lisa Tønne; Verleih: Capelight / 24 Bilder; Start: 14. November 2024

REVIEW:
Alle freuten sich auf das erste Weihnachten nach Ende des Krieges. Naja, fast alle. Denn ein Mädchen war auf der Flucht… Mit diesen Worten aus dem Off beginnt „Weihnachten in der Schustergasse“, der sich im vergangenen Jahr in seiner Heimat Norwegen mit mehr als 400.000 Besuchen und insgesamt sieben Wochen an der Spitze der Kinocharts als eine der erfolgreichsten lokalen Produktionen aller Zeiten entpuppte. Man muss nur die ersten Minuten des Films sehen, um zu verstehen, was die Gründe des Erfolg sein könnten – sieht man einmal davon ab, dass es sich bei dem von Maren Skolem geschriebenen Regiedebüt des profilierten Werbefilmers Mikal Hovland um die Adaption einer der bekanntesten Geschichten des in Norwegen hoch angesehenen Autoren Bjørn Rønningen handelt, was automatisch für die nötige Aufmerksamkeit in der norwegischen Öffentlichkeit gesorgt hat, ein Märchen, das in der harschen Realität der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist: Im Dezember 1945 kann erstmals nach Ende des Kriegs wieder ein wortwörtlich friedliches Weihnachtsfest gefeiert werden, wenngleich man die Entbehrungen der vergangenen Jahre unverändert spürt und die Nachwehen eine der Hauptfiguren in besonderem Maße berühren.

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„Weihnachten in der Schustergasse“ (Credit: Nordisk Film / Kristianne Marøy)

Havland packt das in einen üppig und liebevoll ausgestatteten Film, der nicht nur in Look and Feel ein bisschen an „Der Buchspazierer“ erinnert. Noch frappierender ist die im Grunde identische Prämisse, dass ein Mädchen unvermittelt ins Leben eines wortkargen Einzelgängers platzt und damit nicht nur dessen Existenz auf den Kopf stellt, sondern die gesamte Gemeinde nachhaltig verändert, eine Ansammlung skurril überzeichneter Charakterköpfe, wie man sie beispielsweise auch in Scorseses „Hugo Cabret“ finden würde oder – noch so ein offenkundiger Referenzpunkt – Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“, wo es doch auch um Kinder geht, die sich ohne Vater zurechtfinden müssen und denen das Jugendamt nur zu gerne auf den Pelz rücken würde. Nur dass „Weihnachten in der Schustergasse“ einfach ein bisschen weniger Kino aus der Konfektschachtel ist, nicht ganz so viel Puderzucker obendrauf gestreut wurde. Gerade die Balance aus wundersamer Magie und handfester Erdung macht’s aus. 

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„Weihnachten in der Schustergasse“ (Credit: Nordisk Film / Kristianne Marøy)

So geht es dann eben nicht mehr nur darum, dass die kleine, aus dem Heim ausgebüchste Stine sich in das Leben des eigenbrötlerischen Schuhmachers Andersen stiehlt, der seine vier Wände seit Jahren nicht mehr verlassen hat, und ihn nach und nach aus seiner Stasis erweckt, daran erinnert, dass sein langjähriger Zwist mit seiner nach Australien ausgewanderten Tochter womöglich doch nur eine Lappalie ist. Es geht auch um die Freundschaft Stines zu dem gleichaltrigen Jungen Jørgen, der mit seinen schrillen Eltern seine lieben Nöte hat. Als Stine sich dort bei einem Besuch aus Angst vor Entdeckung fast um Kopf und Kragen flunkert, als sie behauptet, die Enkelin von Andersen zu sein, löst sie eine Kette von Ereignissen aus, die alle Beteiligten dazu bringen, mehr oder minder unter dem Weihnachtsbaum Farbe und zu ihrer Menschlichkeit zu bekennen, sich ihrer Probleme zu stellen und Verantwortung zu übernehmen.

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„Weihnachten in der Schustergasse“ (Credit: Nordisk Film / Kristianne Marøy)

In der Rolle des Andersen ist mit Kåre Conrad einer der bekanntesten norwegischen Schauspieler zu sehen, aber der Film gehört – wie das ja auch in „Der Buchspazierer“ kaum anders ist – der Schauspielerin, die als der kleine Eindringling zu sehen ist: Kaya Ekerholt McCurley stand erstmals vor der Kamera, ist als Stine aber absolut überzeugend, verleiht der Sehnsucht und Verzweiflung des einsamen Mädchens auf der Flucht vor einer bitteren Realität jederzeit Leben. Man sieht ihr gern zu, wie sie sich mit neugierigen Augen und tiefer Empathie durch die Straßen ihres unfreiwilligen neuen Zuhauses bewegt und die Menschen dort wie eine norwegische Amélie mit neuem Lebensmut erfüllt. Und natürlich bangt man da auch mit ihr beim Showdown in bester Spielberg-Manier, wenn sie sich zusammen mit Andersen ganz oben auf dem Kirchturm in Lebensgefahr begibt. Bleibt zu hoffen, dass sich auch in Deutschland ein Publikum mit dem nötigen Interesse an diesem beschwingt-besinnlichen filmischen Kleinod findet. Es lohnt sich jedenfalls. 

Thomas Schultze