Auf den Nordischen Filmtagen hat am Freitag im vollbesetzten Haus und unter Anwesenheit der wichtigsten Protagonisten der Prime-Video-Dokumentarfilm „Milliarden Mike“ über den Hochstapler Mike Wappler seine Weltpremiere gefeiert.
FAST FACTS:
• Prime-Video-Doku-Projekt der Beetz Brothers von Ina Kessebohm
• Protagonist ist der Hochstapler- und Bild-Zeitungs-Schlagzeilen-Lieferant Mike Wappler
• Weltpremiere war am 8. November auf den Nordischen Filmtagen
CREDITS:
Deutschland 2024; Regie: Ina Kessebohm, Christopher Kaufmann; Drehbuch: Ina Kessebohm; Produzent:innen: Reinhardt Beetz, Nadine Neumann; Produktionsfirma: Beetz Brothers Filmproduction; Cast: Peter „Milliarden Mike“ Wappler, Beate Schwandt, Stefan Herbert, Marianne Röhl, Niklas Hensel, Wolfgang Zöllner, Enno Haase; Weltpremiere: 8.11.24 auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck; Streaming-Start: 17.11.24
REVIEW:
Die Gebrüder Beetz, ihres Zeichens für sich stehend ein Qualitätssiegel im Dokumentarbereich, machten zuletzt das große, viel beachtete Doku-Serienprojekt „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“. Dabei entstanden viele Kontakte ins Milieu, unter anderem zu dem titelgebenden „Milliarden Mike“, der Protagonist des neuen Doku-Projekts für Prime Video wurde. Es ist die ehemalige Kiezgröße Peter Mike Wappler, der mehrfach wegen Betrugs im Gefängnis saß.
Regisseurin Ina Kessebohm hatte nun die anspruchsvolle Aufgabe, aus Mikes wildem Leben einen 90-Minüter zu machen, der sich wie ein Mockumentary im Stile von „Fraktus“ oder „Borat“ anfühlt. Das Problem ist, dass das Ganze aber ernst gemeint ist. Die Schwierigkeiten des Projekts sind offensichtlich: Der stämmige „Milliarden Mike“, den man sich optisch auch gut als deutschen Joe Pesci in „Goodfellas“ vorstellen könnte, ist ein Geschichtenerzähler und Lügenbaron.
In „Milliarden Mike“ ist er als Protagonist aber auch gleich selbst der Erzähler seiner Geschichte, die hochspannend ist und viel Potenzial bietet: Aufgewachsen in einer Sinti- und Roma-Community, Amateurboxer, Kiezgröße, dann in Betrügereien aller Arten verwickelt und im Bett mit dem Boulevard, um der Bild-Zeitung regelmäßig saftige Schlagzeilen für die Auflage zu liefern.
Mike Wappler ist ein unzuverlässiger Erzähler, was in fiktionalen Spielfilmen spannend sein kann, in einem Dokumentarprojekt auf Dauer aber frustriert. Das Talking-Heads-Personal um ihn herum ist in großen Teilen nicht viel neutraler: Zu Wort kommen unter anderem sein Anwalt, sein bester Freund und Social-Media-Manager, sein Mentor, sein Assistent (dem im Film eine zehnminütige Plattform für einen nicht sonderlich guten „Milliarden Mike“-Song geboten wird, der am Ende des Films zu hören ist), seine Managerin und seine Mutter, wobei die in ihren Aussagen noch mit Abstand am spannendsten ist, aber nur drei Sätze sagen darf.
Als neutrale Quellen treten ein Staatsanwalt und eine Gutachterin auf, die bei Mike Wapplers Urteilen zur Sicherheitsverwahrung eine Rolle spielte. Die Doku besteht also zu elementaren Teilen aus Wapplers Clique. Es regiert viel das leider verkehrt verstandene „Show Don’t Tell“-Prinzip. Dann wiederum gibt es auch nachgespielte kurze Szenen von Situationen mit Schauspielern, die aber keinerlei richtigen Mehrwert bieten, sondern wie schrille Symbolbilder fungieren.
So ganz wird man ebenso den Verdacht nicht los, dass „Milliarden Mike“ von den Protagonisten der Doku vor allem als Sprungbrett für aktuelle TikTok-Aktivitäten gedacht ist. Auf der Bühne der Weltpremiere bei den Nordischen Filmtagen deutete Wappler auch an, dass er nicht der einfachste Doku-Protagonist gewesen sein muss, weil er die ersten beiden Regisseure der Beetz-Produktion gefeuert hätte. Mit Regisseurin Ina Kessebohm sei er dagegen deutlich besser klargekommen.
In der Doku flammt immer wieder kurz auf, wie Wappler als Menschendeuter und Baron Münchhausen seine Deals zum Beispiel zu den vermeintlichen Nazi-Diamanten angegangen ist. Etwa wenn man ihn in Dubai am Pool sieht, wo die Truppe utopisch gedacht einen Boxkampf organisieren will und Wappler mit einem dort trainierenden Jungen spontan ins Gespräch kommt oder wenn Wappler bei der Autoübergabe am Hotel einem anderen jungen Mann nur Spielgeld und kein echtes Geld als Trinkgeld in die Hand drückt. Aber das sind kleine Nuggets in einer doch eher chaotisch selbst erzählten Lebensgeschichte, die sehr flashy mit Splitscreens und ganz viel Stilisierung arbeitet.
Michael Müller