Das fantastisch umgesetzte Historiendrama „Landesverräter“ ist die jüngste Produktion aus dem Hause Contrast Film. Die Schweizer Produktionsfirma mit Sitz in Zürich und Bern ist bekannt für Stoffe mit Nachhall. Ein Porträt über die Arbeit der vier „Contrastler“ Ivan Madeo, Stefan Eichenberger, Urs Frey und Anke Beining-Wellhausen.
Der Name ist Programm: Die Schweizer Produktionsfirma Contrast Film mit Büros in Zürich und Bern hat sich bei ihrem Antritt vor mittlerweile 15 Jahren vorgenommen, Filme mit künstlerischem Anspruch auf der einen, aber auch großer Publikumszugkraft auf der anderen Seite zu realisieren, Filme zu Themen, die die Gesellschaft bewegen und internationale Strahlkraft haben. Oder, wie es auf der Website heißt: „Ein Kontrastprogramm zu servieren mit Kino- und Fernsehproduktionen, die für Aufmerksamkeit sorgen und eine neue Sicht auf Alltagsthemen eröffnen“.
Die vier „Contrastler“ sind Ivan Madeo, Stefan Eichenberger, Urs Frey und seit Anfang des Jahres Kaufmännische Geschäftsführerin Anke Beining-Wellhausen. Aktuell stellen sie ihr Credo wieder unter Beweis mit dem wuchtigen, beeindruckenden und großartigen „Landesverräter“ (die SPOT-Besprechung), der unter der Regie von Michael Krummenacher mit Dimitri Krebs als DIE Schauspielerentdeckung des Jahres als schweizerisch-deutsche Koproduktion entstanden ist und auf dem 20. Zurich Film Festival Weltpremiere feierte. Der Film erzählt über den ersten Schweizer, der als Kollaborateur der Nazis hingerichtet wurde, dabei aber mehr Bauernopfer war, weil die in der nach außen hin neutralen Eidgenossenschaft lebenden Großindustriellen, die Waffengeschäfte mit Hitler-Deutschland machten, unberührt blieben.
„Es ist schön zu sehen, wie der Film bei Presse und Publikum ankommt“, so Madeo. „Wir sind nach der Weltpremiere auf dem ZFF fast nahtlos auf Kinotour gegangen, bei der wir in verschiedenen Teamkonstellationen in vielen großen und kleinen Städten in der Deutschschweiz zu Gast waren. Obwohl das Thema weit zurückliegt, erkennt das Publikum den Aktualitätswert. Es findet ein reger Austausch und eine aktive Beteiligung an den Gesprächen statt. Die Frage nach der Rolle der Schweiz in einem internationalen Kontext in Kriegszeiten kann auch heute gestellt werden. In Kriegszeiten geht es um die Findung der richtigen Haltung – in der Schweiz die Frage der Neutralität. Es geht aber auch um Solidarität und darum, Teil zu sein von einer Lösungsfindung“, so Anke Beining.
„Michael Lehmann ist ein Macher, der Türen öffnet.“
Die Herzen würden vor allem Laiendarsteller Dimitri Krebs zufliegen, obwohl seine Rolle nicht einseitig sympathisch ist, wie Madeo berichtet. „Der Castingprozess war sehr lang. Wir haben einfach nicht den richtigen Darsteller für unseren Ernst Schrämli gefunden. Dimitri war ein Glücksfall ‚von der Straße‘. Er hat noch nie Schauspielunterricht genommen und kam zu uns mit blaugefärbter Punk-Frisur. Die Abstraktionsfähigkeit von Regisseur Michael Krummenacher war gewaltig“, erinnert sich Produzent Madeo.
Ein Glücksfall ist auch die Partnerschaft, in der „Landesverräter“ produktionell auf die Beine gestellt werden konnte. Mit Michael Lehmann von Letterbox Filmproduktion und Felix von Poser von Amalia Film (beides Tochterfirmen der von Lehmann gemanagten Studio Hamburg Production Group SHPG) sowie Annegret Weitkämper-Krug von Gretchenfilm arbeitet Contrast Film nicht zum ersten Mal zusammen. In gleicher Konstellation wurde bereits „Stella. Ein Leben“ gestemmt – damals allerdings von deutscher Seite initiiert. Die Verbindung mit Michael Lehmann und der SHPG besteht allerdings schon länger, „genauer gesagt seit 2019, als wir für unsere große Serie ‚Davos 1917‘ einen deutschen Koproduzenten gesucht haben“, so Madeo.
Mit „Davos 1917“ war Contrast Film Teilnehmer beim Berlinale Co-Production Market – als erstes Schweizer Serienprojekt. Michael Lehmann sei von Anfang an Feuer und Flamme gewesen, zumal ihn bereits Anke Beining-Wellhausen, damals noch Chefin bei blue Entertainment, auf das Produzententrio aus der Schweiz aufmerksam gemacht hatte. Beining kennt Lehmann seit vielen Jahren, noch aus ihren Zeiten bei Disney und Global Screen, und sie hatte mit Contrast bereits „Der Läufer“ und „Stürm“ koproduziert. „Michael brachte genau die Energie mit, die wir für ‚Davos 1917‘ brauchten“, so Ivan Madeo. „Wir haben uns mit mehreren großen Produktionshäusern getroffen. Aber Michael ist ein Macher, der Türen öffnet. Man darf nicht vergessen: ‚Davos 1917‘ erzählt zwar ein internationales Thema, das Ganze spielt aber zu 99 Prozent auf Schweizer Boden. Dafür einen deutschen Partner zu finden, der fast die Hälfte der Finanzierung einbringt, ist sensationell.“ Die Zusammenarbeit mit der SHPG bei „Davos 1917“ war so hervorragend, weil man sich auf verschiedenen Ebenen wie Vision und geschäftliche Idee im Gleichklang befand und eine vertrauensvolle Basis bildete, dass es direkt weiterging und auch weitergehen wird.
Nach „Stella. Ein Leben“ und „Landesverräter“ werden sich noch mehr Projekte anschließen, über die Madeo und Beining allerdings noch nichts verraten können. „Nur so viel: 2025 wird es einen großen historischen Spielfilm geben, der federführend wieder von der SHPG angestoßen wird und bei dem wir als Koproduzent dabei sind, ähnlich wie bei ‚Stella‘.“ Historische Stoffe sind besonders schwierig zu finanzieren und machen internationale Partnerschaften meist notwendig. „Dass wir in den letzten Jahren so viel historisch produziert haben, wahrscheinlich am meisten von allen Schweizer Produktionsfirmen, hat sich so ergeben. Umso wichtiger war es, einen so verlässlichen Partner wie Michael Lehmann zu finden, der ein stabiles Fundament gewährleistet.“
Auch wenn Contrast Film vor 15 Jahren gegründet wurde, so richtig losgelegt hat die Firma erst 2014 mit der Einladung von „Der Kreis“ von Stefan Haupt auf die Berlinale. Der Film gewann dort nicht nur den Teddy Award sondern auch den Panorama Publikumspreis und ging für die Schweiz ins Oscar-Rennen. „Danach haben wir angefangen, die Firma aufzubauen“, so Madeo. Es folgten Festivalhighlights wie der Omnibusfilm „Heimatland“ (eine Folge stammt auch von „Landesverräter“-Regisseur Michael Krummenacher), der im Hauptwettbewerb von Locarno Weltpremiere feierte, und „Der Läufer“ von Hannes Baumgartner, der seinen erfolgreichen Lauf im Wettbewerb von San Sebastián nahm. Aktuelle Festivallieblinge sind „Stray Bodies“ von Elina Psykou und „Im Schatten der Träume“ von Martin Witz.
„Typisch Contrast Film: aktuelle, hochrelevante gesellschaftliche Themen, die viele Leute ansprechen.“
Kino bildet zwar nach wie vor den Nährboden des Contrast-Programms. Doch den Weg, den Contrast Film mit „Davos 1917“ eingeschlagen hat, neben hochwertigen fiktionalen und dokumentarischen Kinoprojekten auch im High-End-Serienbereich mitzumischen, wird weiter beschritten. Eine ganze Reihe neuer Serienstoffe hat das Unternehmen bereits in Entwicklung und Finanzierung. Teilweise handelt es sich dabei um kleinere national finanzierte Projekte. Teilweise um größere, ambitionierte Stoffe mit internationalem Thema, die Partner im Ausland benötigen.
In Fertigstellung befindet sich eine Doku-Serie über den Kollaps der Credit Suisse, die Notfusion mit der UBS und die weltweiten wirtschaftlichen Folgen, die dieses Debakel hatte. Die Serie in Zusammenarbeit mit der SonntagsZeitung und weiteren Partnern sowie in der Inszenierung von Simon Helbling rekonstruiert den Fall im True-Crime-Stil, blickt hinter die Kulissen und geht der Risikokultur der Credit Suisse auf die Spur. „Die Serie ist typisch Contrast Film: Sie greift ein aktuelles, hochrelevantes gesellschaftliches Thema auf, das populär ist und viele Leute anspricht“, so Madeo. Mit dem Streamingpartner der Doku-Serie hat Contrast Film direkt ein weiteres Projekt eingetütet: Es ist ebenfalls eine große Doku-Serie, die sich allerdings nicht im Hochfinanzbereich, sondern im Hochluxusbereich abspielt. Gedreht wird 2025.
Im seriellen Bereich hinkte die Schweiz lange den Nachbarländern hinterher. Erst in den letzten Jahren hat sich der Markt geöffnet, drängten Schweizer Serien auch außerhalb der Landesgrenzen, wurden Streamer aufmerksam (siehe „Tschugger“ oder „Neumatt“). „Man merkte, dass man größer denken kann, auch in einem kleinen Land wie der Schweiz, wo es nur einen öffentlich-rechtlichen Sender gibt. Jetzt floriert der Serienbereich“, so Madeo. Mit Serien schaffe man es, ein anderes Publikum anzusprechen. „Das Kino zieht oft nur eine begrenzte Zuschauerschicht an – wenn man nicht Hollywood ist.“ – „Streaming eröffnet uns andere Möglichkeiten, denn wir wollen neben Kinofilmen auch Serien- und Entertainmentformate anbieten, die ein internationales Publikum ansprechen“, so Beining zur wachsenden Bedeutung dieses Geschäftsfeldes.
Ivan Madeo hofft, dass die Schweizer Branche durch Lex Netflix einen Boost erlebt.
Mit „Davos 1917“ ist Contrast Film auf den Serienzug aufgesprungen. Die im 2023 gelaunchte historische Spionageserie für SRF und die ARD wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und hat sich weltweit erfolgreich verkauft. Als 2022 klar war, dass mit der sogenannten Lex Netflix eine Investitionsverpflichtung kommen würde (die Streamingdienste müssen vier Prozent ihres in der Schweiz erwirtschafteten Umsatzes in Schweizer Filme investieren oder in die Bundeskasse abliefern), wurden die Gespräch mit allen gängigen Streamern im DACH-Raum intensiviert. „In der Schweiz gibt es bis dato kaum Streamingprojekte und keine Originals. ‚Davos 1917‘ läuft über eine Lizenz bei Netflix. ‚Early Birds‘ war ein Kinoprojekt. ‚Winter Palace‘ wird jetzt als erste Schweizer Netflix-Serie bezeichnet, obwohl sie auch eine Koproduktion mit dem Öffentlich-Rechtlichen ist“, erklärt Madeo. Die erste richtige Schweizer Original-Serie fehlt nach wie vor.“ Vielleicht wird sie Contrast Film liefern. Doch Madeo schweigt mit einem Grinsen im Gesicht.
Der filmpolitisch sehr aktive Produzent hofft, dass die Schweizer Branche durch Lex Netflix, das am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, einen Boost erlebt. Denn die aktuelle nationale Fördersituation sei unbefriedigend. Der Status quo der selektiven Förderungen reicht nicht mehr. Beim Filmfestival in Locarno haben Gespräche zwischen den Schweizer Filmverbänden und Vertretern der nationalen Filmförderung begonnen. „Das Bundesamt für Kultur (BAK) hat selbst eine international angelegte Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse nun offenlegen, dass es in der Schweiz so nicht weitergehen kann. Klar ist leider, dass das BAK trotzdem weiterhin keine seriellen Projekte fördert. Wir müssen folglich überlegen, wie man in der Schweiz das Geld eventuell anders kanalisieren und mehr Automatismen einrichten kann, ganz besonders bei internationalen Koproduktionen. Außerdem gilt es darauf zu achten, dass die Kulturgelder nicht gekürzt werden. Denn vereinzelte Stimmen in der Schweizer Politik argumentieren, dass es mit Lex Netflix ja jetzt mehr Geld aus der Privatwirtschaft gibt. Verrückterweise müssen wir seit der Einführung der Investitionsverpflichtung für Streamer dafür kämpfen, dass die Höhe der zu geringen öffentlichen Fördergelder gleich bleibt“, fügt Madeo an.
Fakt ist, dass die gesamte Schweizer Produktionswirtschaft die Investitionsverpflichtung begrüßt. Dank ihr ergeben sich viele neue Chancen, stoßen internationale Netzwerke auf noch fruchtbareren Boden. Da sind sich auch Ivan Madeo und Anke Beining sicher. Contrast Film hat deshalb nicht lange Däumchen gedreht, sondern ist bereits tätig geworden: mit vier führenden, international tätigen Produktionsgesellschaften haben sie die Swiss Studios AG gegründet.
Die neue Gesellschaft hat das Ziel, die Entwicklung und Herstellung innovativer und hochwertiger Inhalte im Film-, Doku-, Serien- und Fernsehbereich aus der Schweiz für die Schweiz, Europa und den internationalen Markt voranzutreiben. Gesellschafter der Swiss Studios sind neben Contrast Film auch die Elite Filmproduktion mit Roger Kaufmann, die Praesens-Film AG, die älteste Produktionsfirma der Schweiz unter Leitung von Corinne Rossi, die Bavaria Fiction Switzerland, vertreten durch Dominic Fistarol und Marcus Ammon, und die Bremer Kinescope Film von Matthias Greving. Das Ganze unter der Leitung von CEO Dr. Malte Probst. „Uns geht es darum, nicht nur zu überlegen, wie man förderseitig das Maximum herausholen kann, sondern was man auf privater Seite tun kann, um diese Bewegung, die mit der Investitionsverpflichtung eingesetzt hat, optimal zu nutzen. Mit Swiss Studios als kreativem Produktionshub sind wir ein One-Stop-Shop, über den wir den Streamingpartnern größere Produktionen aus der Schweiz heraus anbieten können“, so Madeo.
Barbara Schuster