Bis ins Jahr 1924 reichen die Wurzeln des traditionsreichen Berliner Colosseum Kinos – und das wird am 9. November gebührend gefeiert. Mit Wehmut angesichts der ungewissen Zukunft des Kinobetriebs. Aber doch mit etwas Hoffnung auf eine langfristigere als die jetzige (Übergangs-)Lösung, wie Betreiber Hans-Joachim Flebbe im Gespräch mit SPOT verriet.
Die Geschichte des Berliner Colosseum Kinos in der Schönhauser Allee ist eine bewegte – und begann 1894 als Wagenhalle mit Hof für mehr als 360 Pferde, später als Standfläche für etwas PS-stärkere Gefährte: als Busbahnhof. 1924 wurde dann an dieser Stelle ein Filmtheater eröffnet. Während des Krieges und nach Kriegsende diente das Gebäude als Lazarett, Wärmehalle, Kindertagesheim sowie als Übergangs-Spielstätte des Metropol-Theaters und Varieté. Von 1957 bis zum Mauerfall 1989 wurde es als beliebtes Premierenkino der DDR genutzt. Von 1997 an wurde es dann als Multiplex-Kino-Komplex mit zehn Sälen betrieben, damals gebaut von Produzentenlegende Artur Brauner und Cinemaxx-Gründer Hans-Joachim Flebbe.
Der rückblickend zugibt, dass der Standort in dieser Größe kein einfacher war, erst recht nicht, nachdem den sprichwörtlichen Steinwurf entfernt im Jahr 2000 das Kino in der Kulturbrauerei eröffnete. Eine stadtplanerische Entscheidung, die Flebbe auch heute noch nicht recht nachvollziehen kann. 2006 jedenfalls übernahm UCI von Cinemaxx – im Wege der Geschäftsbesorgung. Doch spätestens die Pandemie besiegelte das Schicksal des Hauses. Vorerst. Im März 2020 (wie bundesweit alle Kinos) geschlossen, wurde im Mai durch die Betreibergesellschaft Insolvenz angemeldet, das Kino fiel erneut in einen Dornröschenschlaf.
Im Spätsommer 2023 dann die erfreuliche Meldung: Hans-Joachim Flebbe kehrte rund 25 Jahre nach Einweihung des einstigen Neubaus in den Prenzlauer Berg zurück, um wenigstens drei der bisherigen Säle künftig wieder zu bespielen – darunter den unter Denkmalschutz stehenden großen Saal 1 mit seinen über 500 Plätzen. In den weiteren Kinos und auf den Eventflächen der ehemaligen Wagenhalle übernahm die Colosseum Event Berlin GmbH die Regie. Einen passenderen Wiedereröffnungstermin als den 9. September hätte Flebbe 2023 unterdessen kaum finden können – handelte es sich doch damals um den ersten der beiden Tage des bundesweiten Kinofestes.
Der Wermutstropfen: Zumindest nach derzeitigem Stand handelt es sich nur um eine Übergangslösung, eine Zwischennutzung. Oder – wie es damals in einer Pressemitteilung hieß: Eine Pop-Up-Lösung, grundsätzlich zunächst auf zwei Jahre angelegt (der Mietvertrag erlaubt mehr), bei Vermietung durch die Berliner Starlounge GmbH von Lillemor Mallau – die übrigens auch für das Ende 2019 geschlossene CineStar am Potsdamer Platz Pop-Up-Lösungen organisierte, darunter für den (digitalen) Filmtheaterkongress KINO 2021.
Bedeutet es dann also schon wieder den baldigen Abschied vom Colosseum als Kino, wenn am 9. November, just am Tag des Mauerfalls, dort der 100. Geburtstag gefeiert wird? Nicht unbedingt.
Grundsätzlich sollen nach dem Plan von Sammy Brauner als Investor und Projektentwickler Büroräume und Wohnungen auf dem Grundstück entstehen. Doch ganz abgesehen davon, dass noch nicht feststeht, wann konkrete Pläne so umgesetzt würden, dass die bisherige „Pop-Up“-Nutzung eingestellt würde: Sammy Brauner will an dieser Stelle weiterhin Kino- und Eventflächen beherbergen – offen ist allerdings, in welchem Umfang. Die besten (und tatsächlich gute) Chancen auf einen dauerhaften Erhalt hat der historische und denkmalgeschützte Saal 1 – „einer der schönsten Kinosäle, die ich kenne“, so Flebbe. Wäre er denn grundsätzlich bereit, an dieser Stelle ein Ein-Saal-Kino zu betreiben?
„Ja“, lautet die klare Antwort – und nicht nur das: Schon für die Wiedereröffnung der drei Säle (mit 525, 162 und 139 Plätzen) als Colosseum Filmtheater hat er eigenen Angaben zufolge rund 400.000 Euro in die Hand genommen, um für angemessen Charme, den Komfort und die Atmosphäre zu sorgen, die man in seinen Häusern erwarten könne. Wer die Premium-Kinos von Flebbe kennt, ahnt, welcher Satz hinterherkommt: „Natürlich waren das angesichts der unklaren Nutzungsdauer nur Investitionen mit angezogener Handbremse.“ Anders gesagt: Bei langfristiger Lösung – egal von wie vielen Sälen – würde er „richtig nachschießen“. Was er im Foyer übrigens gerade schon tut, um das gastronomische Angebot noch aufzuwerten.
„Schauen wir mal“ lautet demzufolge die aktuelle Ansage. Einstweilen freue er sich auf die Jubiläumsfeier. Aus Anlass des Jubiläums waren Berlinerinnen und Berliner aufgerufen, ihre Fotos vom „Leben auf der Schönhauser Allee von 1955 bis 1999“ einzureichen. Eine Jury, in der unter anderem Hans-Joachim Flebbe und Lillemor Mallau sowie Knut Elstermann saßen, wählte daraus Motive für eine Fotoausstellung aus, die in die Wandgestaltung des historischen Foyers integriert und dort am 9. November eröffnet wird, nachdem sie zuvor in den Schönhauser Allee Arcaden zu bewundern war.
Ebenfalls am 9. November beginnt im Colosseum das Filmfestival Mauerfilm#35, welches an zwei Tagen einen Blick auf die Mauer aus Ost und West richtet sowie den Alltag in beiden Teilen der Stadt zeigt. Highlight der Feierlichkeiten ist die Vorführung einer Zeitzeugendokumentation inn Anwesenheit von Regisseurin Marie-Ulrike Callenius über das Kino Colosseum im historischen Saal. Der 25-minütige Film zeigt Material aus den Stummfilmzeiten, der Nachkriegszeit, dem Umbau in den 1950er Jahren, aus der Wendezeit des Kinos und auch den Abriss, den Neubau und die Wiedereröffnung als Multiplex in den 1990er Jahren. Der Eintritt für alle Angebote des Mauerfilm#35 Filmfestivals und für den Film „Colosseum – ÜberLeben eines Berliner Kinos“ ist an beiden Tagen kostenfrei.