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Simon Verhoeven zu „Alter weißer Mann“: „Eine Einladung zum Streitgespräch“

Gesellschaftskomödien mit brisanten Themen zur Zeit liegen ihm: Nach „Willkommen bei den Hartmanns“ legt Simon Verhoeven mit „Alter weißer Mann“ wieder einen Film vor, der große Lacher mit einem menschlichen Blick verbindet. Wir haben uns mit dem Filmemacher darüber unterhalten, warum man damit trotzdem aneckt. Kinostarts im Verleih von Leonine Studios ist morgen.

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Simon Verhoeven (r.) mit seinem Hauptdarsteller Jan Josef Liefers bei der Weltpremiere von „Alter weißer Mann“ in München (Credit: Leonine Studios)

Sie haben „Alter weißer Mann“ Ihrem Vater Michael Verhoeven gewidmet, der im April dieses Jahres gestorben ist. Inwiefern hat er Ihre Arbeit an dem Film beeinflusst?

Simon Verhoeven: Ich habe bei meinem Vater festgestellt, dass er als sehr kritisch denkender Mensch, der sein Leben lang ein Kämpfer war für soziale Gerechtigkeit und politische Filme gemacht hat, die aus der linken Richtung kamen, sich in den letzten Jahren schwer damit getan hat, wie er auf einmal als Konservativer angesehen wurde. Wie manche Positionen, die früher wie selbstverständlich linke Positionen waren, plötzlich eher als rechts galten. Diese Verwirrung der Begriffe hat ihn amüsiert und beschäftigt. Wir hatten darüber hier und da spannende Diskussionen. Diese Gespräche mit meinem Vater waren wichtig für die Entwicklung des Films. Auf dem Papier mag er ein „alter weißer Mann“ gewesen sein, aber im Herzen und im Kopf war er immer ein junger, offener Mensch. Es geht mehr um eine Weltanschauung: Man muss kein alter weißer Mann sein, um ein alter weißer Mann zu sein. Diese Schublade hat auf ihn nie zugetroffen, wie auf viele andere auch.

Sie greifen ein Reizthema unserer Zeit auf. Würden Sie sagen, dass „Alter weißer Mann“ ein mutiger Debattenbeitrag ist?

Simon Verhoeven: Ich finde schon, dass er mutig ist. Ich weiß, dass er mutig ist, weil ich teilweise auch die harten Reaktionen aushalten muss, die man nicht aushalten müsste, wenn man einfach einen politisch korrekten, braven Film macht, bei dem einem alle auf die Schulter klopfen. Ich glaube, die Filme, die auch nicht nur das selbstverständliche Feindbild bedienen, sondern auch selbstkritische und humorvolle Blickwinkel einstreuen und ironische Spitzen ausfahren, die einen selbst angehen als Filmemacher, muss man eben auch mit Gegenwind rechnen, mit sehr harten und humorlosen Reaktionen, die einen absichtlich missverstehen oder Dinge aus dem Kontext zerren wollen. Insofern halte ich es für zumindest mutiger, einen solchen Film machen zu wollen als einen reinen, apolitischen Unterhaltungsfilm, wie es ja oft der Fall ist. 

„Die Leute regen sich nicht über den Film auf, sondern über das, was sie sich in ihrem Kopf von dem Film erwarten. Das spiegelt nur ihre eigenen Vorbehalte und Vorurteile, die sie mit sich herumtragen.“

Erleben Sie diesen Gegenwind bereits in den ersten Reaktionen und/oder Interviews?

Simon Verhoeven: Nur von Leuten, die ihn nicht gesehen haben. Die Menschen, die ihn im Kino gesehen haben, lieben den Film. So einfach kann man das sagen. Er polarisiert überhaupt nicht, wenn man ihn gesehen hat. Das war bei „Willkommen bei den Hartmanns“ auch schon so. Da war es auch das Thema, das Projekt, das polarisiert hat. Die Kommentare auf den Trailer waren polarisierend, manche Kritiken waren es. Aber der Film selbst, der eine differenzierte und positive Botschaft hatte, hat dann eigentlich gar nicht polarisiert. Es war mehr das Drumherum. Die Leute regen sich nicht über den Film auf, sondern über das, was sie sich in ihrem Kopf von dem Film erwarten. Das spiegelt nur ihre eigenen Vorbehalte und Vorurteile, die sie mit sich herumtragen. Eigentlich bestätigen sie damit genau das, was ich in meinem Film auf die Schippe nehme.

„Alter weißer Mann“ ist geprägt von einem tiefen Humanismus, von seiner Liebe für die agierenden Figuren, von einem belustigten Amüsement in alle Richtungen. Der Film teilt Schläge aus, aber es sind doch sehr liebevolle Schläge. 

Simon Verhoeven: Mein Bestreben war es, einen menschlichen Film zu machen, nicht den Stab über die Figuren zu brechen. Er kommt in eine Zeit, die extrem aufgeladen ist, die erregt, aufgeregt und empört ist, angefacht von den Algorithmen der sozialen Medien, die die Schützengräben nur vertiefen und Hass aufeinander schüren. Es wird sehr unsachlich und hämisch diskutiert. Es wird gar nicht mehr wirklich zugehört, gar kein Konsens gesucht. Es ist ein Film über unsere Zeit. Die ersten Reaktionen auf „Alter weißer Mann“ beweisen mir, dass es wichtig und richtig war, ihn zu machen, ihn jetzt zu machen. 

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Simon Verhoeven (Credit: Sari Pictures)

Sie laden zur Debatte ein – wie es wohl auch beim Dreh selbst war mit dem sehr diversen Cast, den sie geholt haben. Immer wieder wird auf die erste Leseprobe verwiesen, bei dem es hoch hergegangen sein soll. Stimmt das denn?

Simon Verhoeven: Der Dreh war unglaublich lebendig und spannend. Die Schauspielerinnen und Schauspieler konnten sich mit ihren Rollen identifizieren, haben aber selbstverständlich auch sehr eigene Ansichten, die sehr unterschiedlich sind. Das ist bei den ersten Leseproben deutlich geworden. Da wurde plötzlich heftig diskutiert und auch gestritten, aber eben auch viel gelacht. Eigentlich ähnlich, wie es im Film dann später bei der Dinnerszene passiert. Das war für mich ein sehr schönes, sehr ermutigendes Erlebnis, diese Chemie zu sehen, die da aufeinandertrifft. Ich habe mir dabei auch Notizen gemacht, die ich noch in das Drehbuch einfließen lassen konnte. Es gab keine extremen oder gar extremistischen Meinungen am Tisch. Es waren Meinungsverschiedenheiten, die legitim sind und für die man nicht in irgendwelche Ecken gestellt werden musste. Das hat auch niemand getan. Es ging hoch her. Aber ich denke, es war auch schön für alle, sich in dieser Form auf Augenhöhe begegnen und sich aussprechen zu können.  

Auch das spiegelt sich in Ihrem Film wider, in dem es weniger um die Meinungen und Meinungsverschiedenheiten geht, als vielmehr um den Umgang mit Meinungsverschiedenheiten. 

Simon Verhoeven: Es ist ein Film, der zum Streitgespräch einlädt. Weil es ein Film ist über die Menschen hinter den Meinungen. Es geht darum, ob man sich noch begegnen kann. Kann man mit dem Opa noch an einem Tisch sitzen, auch wenn er eine ganz andere Meinung vertritt als die jüngere Generation? Vielleicht stellt sich im gemeinsamen Gespräch, beim Zuhören heraus, dass es ganz überraschende Gemeinsamkeiten geben kann. Es ist ein Film für uns alle, die wir uns auf diesem rutschigen Tanzparkett miteinander bewegen. Ich stelle fest, dass sich das Klima in Deutschland dem in den USA immer mehr nähert, in dem sich die verschiedenen Lager zutiefst verfeindet gegenüber stehen, auch die großen Nachrichtenprotale überhaupt nicht mehr verstehen oder Interesse an der Sichtweise des anderen haben wollen. Es wird ein hämischer, medialer Krieg gegeneinander geführt, vor allem auf den sozialen Medien, der natürlich viel mit dem Aufstieg Trumps zu tun hat, der aber auch durch eine gewisse politisch korrekte Übererziehung großer Teile der Bevölkerung ermöglicht wurde. Man sollte nicht in jedem Augenblick unseres Lebens zu schnell autokorrigiert werden. Die Dynamik tut keinem gut. In Deutschland sind wir zum Glück noch etwas entspannter, differenzierter, vielschichtiger. Wenn man mit den einzelnen Menschen spricht, ist es viel individueller, als es die einzelnen Gruppeneinordnungen eigentlich vermuten lassen, mit denen wir in diesem Diskurs hantieren.

„Dass man eine dicke Haut braucht, habe ich schon vor ,Alter weißer Mann’ gewusst.“

Was dabei immer etwas außen vorbleibt, ist der Umstand, dass es eben auch ein sehr lustiger Film geworden ist. Hatten Sie für „Alter weißer Mann“  filmische Vorbilder?

Simon Verhoeven: Ich denke nicht, zumindest nicht bewusst. Natürlich bin ich ein Fan der großen, klassischen Komödien. Das streite ich nicht ab, das hat mich auch geprägt. Natürlich bin ich Fan von Billy Wilder. Natürlich bin ich Fan von intelligenten Komödien, die sich immer auch trauen, große Lacher erzeugen, ein großes Publikum unterhalten und anregen zu wollen. Die Emotion kommt dann bei mir immer noch dazu. Das kann man nicht groß planen. Aber es bedeutet mir etwas, dass es in meinen Filmen immer auch Momente gibt, in denen das Publikum Tränen in den Augen hat. Das freut mich. Ich hielte es für vermessen, mich selbst in einem Atemzug mit den großen Komödienregisseuren zu nennen. Das können ja andere tun. Ich denke, ich habe für mich auf jeden Fall eine ganz eigene Tonalität gefunden, in der meine Filme stattfinden. Eine menschliche, liebevolle, aber eben auch bissige Tonalität.

Sie haben „Wilkommen bei den Hartmanns“ selbst bereits als Referenzfilm genannt. Sehen Sie eine Verwandtschaft zwischen den „Hartmanns“ und „Alter weißer Mann“? Wie stehen diese beiden Filme zueinander?

Simon Verhoeven: Es gibt auf jeden Fall eine Ähnlichkeit. Beide Filme benennen Themen in einem gesellschaftlich sehr aufgeheizten Diskurs. Beide Filmen beleuchten ihre gesellschaftlich aufgeheizten Themen humorvoll und satirisch und dennoch ernsthaft. Das ist der Ansatz. Mit einer großen Liebe für die Menschen und ihre Irrungen und Wirrungen. In beiden Filmen geht es um die bürgerliche Familie, den Otto Normalverbraucher, den Max Mustermann, und wie er sich in dieser Zeit verhält, wie er das Richtige machen kann, das Gute tun. In beiden Fällen wird in viele Fettnäpfchen getreten, gibt es ausgeprägte Cringe-Momente. Wobei es in „Alter weißer Mann“ dann doch um mehr geht als die bürgerliche Familie, sondern eine diverse, vielfältige Gesellschaft, in der wir leben. Am Schluss haben wir ein sehr divers besetztes Dinner mit unterschiedlichsten Menschen und Positionen am Tisch. Es ist ein Zusammenprall, ein Streit, eine Eskalation. Trotzdem kommt es zu versöhnlichen Ergebnissen. In mancher Hinsicht empfinde ich „Alter weißer Mann“ als erwachsener. Er findet in einem Klima statt, das noch empfindlicher ist, aufgeheizter, polarisierter. Wenn sich die Leute über den Film streiten, dann streiten sie sich überhaupt nicht über den Film, sondern allein schon über den Titel. Die „Hartmanns“ waren vielleicht etwas knalliger und mehr geradeheraus. Aber die Filme verbindet jederzeit ein einender Humor. 

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Fred Kogel, Bernhard zu Castell, Victoire Velarde, Michael Maertens, Juri Sam Winkler, Elyas M’Barek, Meltem Kaptan, Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Simon Verhoeven, Friedrich von Thun, Jasna Vavra, Quirin Berg, Kirstin Winkler, Max Wiedemann, Judith Erber und Sarah Mahita (v.l.n.r.) bei der Weltpremiere von „Alter weißer Mann“ in München (Credit: Leonine Studios / Andreas Büttner)

Jeder Film ist eine Lernerfahrung für den Zuschauer. Können Sie denn benennen, was Sie bei „Alter weißer Mann“ gelernt haben?

Simon Verhoeven: Dass man eine dicke Haut braucht, habe ich schon vor „Alter weißer Mann“ gewusst. Ich bin eigentlich ein sehr spielerischer Filmemacher, fange immer sehr unschuldig an zu schreiben, weil mich etwas brennend interessant, und merke dann im Verlauf, dass es immer größer wird, stelle fest, dass ich mich mitten in den gesellschaftlichen Diskurs bewegt habe. Ein bisschen wie der Hofnarr, der am Schloss versucht, alle zu unterhalten, aber eben auch Spitzen austeilt in Richtung der adeligen Familie. Unsere adelige Familie von heute kann nicht immer gut über sich selbst lachen. Das war aber auch schon damals so. Man muss wissen, dass selbst, wenn man es spielerisch meint, ironisch meint, liebevoll meint, es immer humorlose Menschen gibt, die irritiert sind davon und sich echauffieren. Ich denke, dass diese Menschen ihre Meinung ändern werden, wenn sie den Film dann gesehen haben. Mir hat es bei „Alter weißer Mann“ viel gebracht, mit einem sehr diversen Cast zu drehen und mich allen Menschen am Set zu öffnen, junge Leute, Menschen mit Migrationshintergrund, nichtbinäre Personen. Mit allen habe ich mich wunderbar verstanden. Ich habe eine große Kommunikationsfreude erlebt, ich habe diese Menschen alle sehr liebgewonnen. Es war eine tolle Reise mit sehr vielen verschiedenen Menschen unserer Gegenwart, die mir noch einmal gezeigt hat, wie wichtig es ist, sich nicht zu verschanzen, sondern gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Immer wieder. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.