SmHJHX

Am Freitag, den 25.10. werden wir ab 15.00 Uhr bis ca. 18 Uhr umfangreiche technische Wartungsarbeiten durchführen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

REVIEW STREAMING: „Achtsam Morden“

Schwarzhumorige Krimiserie nach Bestsellervorlage über einen Anwalt, der sich nach einer Achtsamkeits-Therapie auch von seinem fiesesten Klienten nichts mehr bieten lässt.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 8 x 45 Minuten; Showrunner: Doron Wisotzky; Lead-Regie: Martina Plura; Regie: Boris Kunz, Max Zähle; Besetzung: Tom Schilling, Emily Cox, Peter Jordan, Murathan Muslu, Britta Hammelstein, Marc Hosemann, Sascha Geršak; Plattform: Netflix; Start: 31. Oktober 2024

REVIEW: 
Während man zunehmend amüsiert, schmunzelnd und feixend Anteil nimmt an der schwarzhumorigen Höllenfahrt eines unscheinbaren Rechtsanwalts, der eigentlich nur Ehe und Familie retten will, die aufgrund seiner Arbeitsbelastung arg in Schräglage geraten sind, sich nach einer Achtsamkeits-Therapie zur eigenen Überraschung aber auch mit dem nötigen Instrumentarium ausgestattet findet, um einem unliebigen Mandanten, einem erratischen Gangsterboss ohne Respekt für seine Umwelt, und dessen Trupp willfähriger Büttel Paroli zu bieten, fängt man an zu überlegen, wie es denn wäre, achtsame Filmbesprechungen zu schreiben. Ein achtsamer Reviewer zu sein. Sich nicht mehr aus der Ruhe bringen zu lassen von Filmen, Movies und Serien. Immer eine souveräne Antwort auf noch so gewaltige schreiberische Herausforderung zu wissen. Immer Herr der Lage zu sein, wie groß Druck und Belastung auch sein mögen… 

AchtsamMorden FirstLook ©StephanRabold Netflix  scaled e x
Tom Schilling in „Achtsam Morden” (Credit: Courtesy of Netflix 2024/Stephan Rabold)

Ach ja, kann warten! Weil man dann taucht aber doch einfach lieber wieder eintaucht in diese ungewöhnliche Serie, die auf den Bestsellern von Karsten Dusse basiert, selbst ein Rechtsanwalt, der sich offenkundig einen gehörigen Packen Frust aus eigener Berufserfahrung vom Leib geschrieben und mit Björn Diemel womöglich ein Alter ego, ganz sicher aber eine wunderbare Identifikationsfigur geschaffen hat, in der jeder sich entdecken kann, der sich nicht ausreichend gewertschätzt fühlt. Denn Björn Diemel mag als Anwalt an der Spitze seiner Zunft stehen und, wenn er von Tom Schilling dargestellt wird, als wäre er mit einem schlanken Anzug am Leib auf die Welt gekommen, attraktiver aussehen als minimal 99 Prozent der Restbevölkerung, er mag bestens bezahlt werden, ein teures Auto fahren, in einem schicken Haus in der betuchten Vorstadt leben und eine Frau und Tochter haben, für die man ihn nur beneiden kann. 

AchtsamMorden FirstLook ©JuliaTerjung Netflix  scaled e x
Peter Jordan als Breitner und Tom Schilling als Björn (Credit: Courtesy of Netflix 2024/Julia Terjung)

Aber der Clou an Björn ist: Er ist wie du und ich. Er ist du und ich. Erlebt all die fortlaufenden Frustrationen und Erniedrigungen, die man selbst kennt aus dem Alltag und derer man sich eher schlecht als recht erwehren kann. Insofern ist „Achtsam Morden“ pures Wish-Fulfillment, eine Ermächtigungsfantasie für all die, die immer nach der Pfeife anderer tanzen müssen. Was dann wohl auch der Grund ist, warum man Björn Diemel weiter folgt, als man es vermutlich tun würde, wenn man sich nicht so sehr in ihm sehen, so sehr mit ihm fühlen könnte. Die neue Serie von Constantin Film, diesmal produziert von Jan Ehlert und Nina Viktoria Philipp, für Netflix die in dieser gemeinsamen Kombination im vergangenen Jahr „Liebes Kind“ in die Stratosphäre geschossen haben als bislang erfolgreichste deutsche Serie der Plattform, mag gleich wirken wie eine deutsche Antwort auf „Breaking Bad“ und „Call Me Saul“ oder die Coen-Brüder, steht mehr noch aber in der Tradition der Klassiker der schwarzen Komödie, „Arsen und Spitzenhäubchen“ und „Die Ladykiller“, weil hier weniger ironischer Abstand geboten ist und Björn Diemel trotz der diversen Bluttaten, die er sich im Verlauf der 8 mal 45 Minuten zu Schulden kommen lässt, immer auf Augenhöhe mit dem Zuschauer ist, weniger Bob Odenkirk, mehr Cary Grant, weniger raffiniertes Schlitzohr als einer, der nicht anders kann, als Amoral und Mord möglicherweise ganz gut zu finden, wenn das Mittel den Zweck heiligt.

AchtsamMorden FirstLook ©JuliaTerjung Netflix  scaled e x
Tom Schilling als Björn und Murathan Muslu als Sascha in „Achtsam Morden” (Credit: Courtesy of Netflix 2024/Julia Terjung)

„Achtsam Morden“ versteht es mit den Büchern von Headautor Doron Wisotzky und der Inszenierung von Lead-Regisseurin Martina Plura (wie immer in der bewährten Kreativkombi mit ihrer Zwillingsschwester, der Bildgestalterin Monika Plura) plus den Kollegen Boris Kunz und Max Zähle, einerseits seinen Krimiplot voranzutreiben, gleichzeitig aber auch immer wie ein launiger Kommentar auf den Selbstoptimierungswahn unserer Zeit zu wirken. „Ich bin kein gewalttätiger Mensch, ganz im Gegenteil“, sagt Björn Diemel aus dem Off gleich zu Beginn, während man ihm zusieht, wie er entspannt am See menschliche Körperteile zerhäxelt. „Ich habe mich zum Beispiel in meinem ganzen Leben noch niemals geprügelt. Und den ersten Menschen habe ich auch erst mit 42 umgebracht.“ Den Weg in aller Ruhe vom Otto Normalverbraucher zum ruchlosen Killer und aufstrebenden Chef einer Gangsterorganisation binnen drei Monaten zeichnet die Serie nach, während der unbedarfte Antiheld der Geschichte alles daransetzt, seiner genervten Frau zu beweisen, dass ihm nichts mehr bedeutet als die Familie, unterschnitten mit seinen Besuchen bei einem tiefenentspannten Achtsamkeits-Coach, herrlich lakonisch gespielt von Peter Jordan. Unterwegs begegnen Björn ein jähzorniger Gangsterboss, ein noch brutalerer Gangsterboss, diverse mit allen Wassern gewaschene Handlanger und Killer, ignorante Chefs in seiner Kanzlei und eine hartnäckige Polizisten, mit der es eine gemeinsame Vergangenheit gibt. Und der eine oder andere Todesfall. 

AchtsamMorden FirstLook ©JuliaTerjung Netflix  scaled e x
Tom Schilling (Credit: Courtesy of Netflix 2024/Julia Terjung)

Der Herzschlag der Hauptfigur erhöht sich dabei nur unmerklich, auch wenn sich Dinge um ihn herum überschlagen mögen. Nicht alles, was sich „Achtsam Morden“ ambitioniert auf die Schultern lädt, funktioniert ganz so geschmeidig wie gedacht. Der Exzess mancher Gewalt kann einem auch auf den Magen schlagen: Ist es wirklich nötig, einen Gegenspieler ins Jenseits zu befördern, indem man ihm zwei Handgranaten ans Gemächt bindet? Man wundert sich, wie unterbeschäftigt eine großartige Schauspielerin wie Emily Cox bleiben muss in der Rolle der Ehefrau, verdammt zu Passivität und schlechter Laune. Da ist die Serie dann unachtsam leblos, sieht man die Konstruktion, den Plot. Wo man doch jederzeit bereit ist, Björn Diemel mit ordentlicher Frisur und korrekt gebundener Krawatte in die ethischen und moralischen Untiefen seines Handelns zu folgen: Kann das alles wirklich falsch sein, wenn man am Ende einen Bär von Mann wie Murathan Muslu glücklich und umsichtig mit kleinen Kindern in einer Kita spielen sieht?

Thomas Schultze