Stimmungsvolles Coming-of-Age-Drama über eine Zwölfjährige, die sich entscheiden muss, ob sie ihren Eltern in einen kosmischen Kult folgt.
FAST FACTS:
• Durch eine Coming-of-Age-Geschichte gebrochener Blick auf eine Suizid-Sekte
• Tolle Darstellung der jugendlichen Hauptdarstellerin Mariella Josephine Aumann
• Spielfilm-Regiedebüt von Benjamin Pfohl
• Weltpremiere im Wettbewerb des Zurich Film Festival 2023
• Gewinner des Förderpreis Neues Deutsches Kino bei den Hofer Filmtagen
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2023; Laufzeit: 104 Minuten; Regie: Benjamin Pfohl; Drehbuch: Benjamin Pfohl, Silvia Wolkan; Besetzung: Mariella Josephine Aumann, Laura Tonke, Andreas Döhler, Ulrich Matthes; Verleih: Missing Link Films
REVIEW:
Schon einmal hat sich Benjamin Pfohl filmisch auf den Weg gemacht Richtung Jupiter, vor bereits fünf Jahren, mit einem 13-minütigen Kurzfilm. Dessen Prämisse und Geschichte hat der mittlerweile 39-jährige Filmemacher noch einmal aufgegriffen für sein Debüt als Spielfilmregisseur, das bereits im vergangenen Jahr Weltpremiere feierte im Wettbewerb des 19. ZFF und nun zu den Highlights zählt auf den 58. Hofer Filmtagen: die mit großer Sicherheit und filmischem Einfühlungsvermögen erzählte Coming-of-Age-Geschichte einer Zwölfjährigen, die an der Schwelle steht zur Pubertät, dabei aber nicht nur mit sich selbst zurechtkommen muss, sondern auch mit ihrer Familie: Ihre Eltern haben sich einem kosmischen Kult angeschlossen und verfallen dem Wahn, ihre leiblichen Hüllen abstreifen zu wollen und mit einem Kometen zum Planeten Jupiter reisen und dort eine neue Existenz zu beginnen.
Immer wieder springt „Jupiter“ zwischen den Zeitebenen, ist einerseits dabei, wie die Familie in einem abgeschiedenen Lager mit Gleichgesinnten ihren versponnenen Wahnsinnsplan umsetzen will, begleitet von einem von Ulrich Matthes gespielten Spiritus rector, zeigt andererseits auf, wie die von Laura Tonke und Andreas Döhler gespielten Barbara und Thomas nach und nach abgleiten in den Wahnsinn, überfordert vom eigenen Leben mit einem autistischen Sohn, der nur in Gegenwart seiner Schwester wirklich zur Ruhe zu kommen scheint, und angewidert von den Entwicklungen auf der Welt, die ohnehin dem Untergang geweiht ist. All das wird erzählt durch die Augen von Lea, beeindruckend souverän gespielt von Mariella Josephine Aumann, die man schon in „Dark“ oder „A Pure Place“ gesehen hat: Wie sie auch im Umgang mit ihrem Bruder Paul die einzige Erwachsene zu sein scheint, sticht sie auch im Retreat der Sekte mitten im Wald heraus als einsame Stimme der Vernunft.
Mit einem Countdown aus dem Off beginnt der Film, von 10 zu 0, mit Bildern aus dem All unterlegt. Da kann man als Zuschauer:in noch nicht so recht einschätzen, wie man die mit besänftigender Stimme gesprochenen Sätze bewerten soll. Wie ein Herunterzählen zu einer Meditation, einer Hypnose wirken sie, kann man sich zumindest vorstellen. Später, wenn die Karten auf dem Tisch legen, wird das Mantra ein erstes Mal wiederholt, bis zum „Take-off“, da weiß man, es ist ein Countdown zum kollektiven Suizid, Jim Jones lässt grüßen oder die bekloppte Aum-Sekte. Da macht „Jupiter“ den Schritt hin zur Variante eines „Invasion of the Body Snatchers“, ein dystopischer Horrortrip, bei dem sich schließlich nur die Frage stellt, ob auch Lea diesen Weg mitgehen wird. Für das Ende findet Benjamin Pfohl spektakuläre Bilder und eine Ambivalenz, die zur unmittelbaren Auseinandersetzung anregt, ein ganz kleines bisschen wie bei Santosh Sivans unvergesslichen „The Terrorist“: Wie viel ist einem das eigene Leben wert?
Thomas Schultze