Beim Produzent*innentag, zu dem die österreichischen Produktionsverbände AAFP und Film Austria am 17. Oktober laden, legt die Branche die drängendsten Fragen auf den Tisch. Zu ihnen gehört die Einführung einer Investitionsverpflichtung, wie John Lueftner und Helmut Grasser im Gespräch darlegen.
AFP und Film Austria laden am 17. Oktober zum traditionellen Produzent*innentag nach Wien ein. Um welche Themen wird es gehen?
John Lueftner: Die Keynote hält Inga Leschek, CCO von RTL Deutschland. Darüber freuen wir uns sehr. Ihr Slogan ist „Content Is King. Context Is King Kong“. Sicher spielt Good Old Television eine Rolle bei unserem Produzent*innentag. Denn in dieser ganzen Diskussion über Koproduktionen und was nötig ist, um die verschiedenen Zielgruppen zu erreichen, stellt man immer wieder fest, dass wir „das gute alte Fernsehen“ unverändert brauchen, um gezielt in alle Ecken und Enden, in alle Bereiche der Gesamtgesellschaft ausstrahlen zu können. Es geht sehr stark um Zielgruppenfokussierung. Beim Tag der Produzentinnen und Produzenten des ZDF habe ich gelernt, dass es mittlerweile ZDF-produzierte Programme gibt, die gar nicht mehr in die Mediathek gestellt oder linear zur Ausstrahlung gebracht werden, sondern direkt hochgeladen werden auf YouTube, weil es in der Wahrnehmung des öffentlich-rechtlichen Auftrags nötig ist, alle Menschen zu erreichen. Und wenn sie die Kids nurmehr auf Plattformen wie YouTube erreichen, dann stellen sie eben entsprechenden Content her und spielen den dort aus, wo die Kids sich aufhalten. Das finde ich sehr clever. Zudem beschäftigt uns in Österreich das Thema des embedded content von öffentlich-rechtlichen Inhalten, wie das bei Plattformen wie Joyn der Fall ist. Wie genau funktioniert das? Wieso geht das? Da wollen wir etwas Klarheit hineinkriegen.
Macht denn der ORF auch schon Content für YouTube?
John Lueftner: Nein. Der ORF hat ja vor nicht allzu langer Zeit erst einmal seinen eigenen Player, ORF ON, an den Start gebracht und schaut verständlicherweise, dass er erst einmal dort Exklusivität herstellen kann mit seinen Inhalten. Kooperationen gibt es auch da. Manche, die man möchte, manche, die man nicht verhindern kann.
„Es steht außer Frage, dass eine Investitionsverpflichtung möglich ist.“
John Lueftner
Was sind aus Sicht der beiden Produzentenverbände die Hot Topics, die Themen, die die österreichische Produktionsbranche aktuell umtreiben?
John Lueftner: Das sind sicherlich die europäischen Investitionsverpflichtungen, die auch großes Thema bei unserem Produzent*innentag sein werden. Österreich hat seine Filmförderreform bereits Anfang 2023 an den Start gebracht, bei der aber die Investitionsverpflichtung nicht Teil des Pakets war, wie sie es nun in Deutschland sein soll. Wir wollen beim Produzent*innentag Best-Practice-Beispiele beleuchten: Wie machen es denn die vielzitierten Franzosen? Wie läuft das in Belgien? Wie wollen es die Deutschen machen? Wir haben die Hoffnung, dass die deutsche Herangehensweise auch hier in Betrieb kommen könnte, zumindest dann zur Diskussion steht. Vor dem Sommer hatten wir mit der wohl jetzt scheidenden Regierung bereits Gespräche aufgenommen bezüglich der Implementierung einer Investitionsverpflichtung. Aber es war einfach keine Zeit, das Thema umfassend zu behandeln. In Österreich stehen Wahlen an. Da müssen wir nun eh abwarten, wer die neuen Ansprechpartner in filmpolitischen Fragen sein werden. Nach der Wahl wird das ein großes Thema werden: Wir wollen und müssen das in Gang setzen und möglichst bald die Empfehlung der Europäischen Union umsetzen. Es steht nämlich außer Frage, dass eine Investitionsverpflichtung möglich ist. Dazu stehen wir in engem Austausch mit der Produktionsallianz in Deutschland. Es wird spannend, auch in Deutschland. Denn man hört, dass große US-Konzerne dagegen lobbyieren…
Der österreichische Markt ist wesentlich kleiner als der deutsche. Sehen Sie eine Gefahr darin, dass die großen internationalen Player ohne Investitionsverpflichtung nur für Serviceproduktionen zu Ihnen ins Land kommen?
John Lueftner: Absolut! Es geht um eine nachhaltige Stärkung unseres kleinen Marktes durch österreichischen Content! Wie sollen wir die großen Multis nachhaltig dazu bekommen, ohne Investitionsverpflichtung auch in österreichische Stoffe zu investieren? Die große Angst, die wir unabhängige Produzent:innen haben, ist, dass unser Markt zu einem reinen Servicegeschäft verkommt. Durch das Anreizmodell, das wir haben, sind Serviceproduktionen in die Höhe geschossen. Eine Investitionsverpflichtung mit steuerlichem Anreiz würde definitiv Punkte für österreichische Geschichten bringen. Darum geht es.
Helmut Grasser: Pessimistisch sind wir aber nicht. Von allen Parteien gibt es bezüglich einer Investitionsverpflichtung Zusagen – mehr oder weniger. Den Staat kostet das ja nichts. Die Crux wird die Umsetzung sein. Am einfachsten wäre es, nur die Streamer in die Pflicht zu nehmen, denn wenn man auch andere Mediendienstleister nimmt, wird es kompliziert. Da Österreich viel mit Deutschland koproduziert, sind wir ein attraktiver Partner für Streamingprojekte.
John Lueftner: Uns ist es ein Anliegen, den Diskussionsprozess wieder in Gang zu bringen. Was macht bei uns Sinn, was ist gewünscht? Dann muss eh die Politik ran. Wie Helmut schon sagte: Es wehrt sich niemand in der Politik gegen eine Investitionsverpflichtung. Aber die Parteien haben nach der Wahl erst mal mit Koalitionsverhandlungen zu tun. Unsere Branche ist ein kleines Brötchen… bis wir wieder dran sind, dauert’s.
„Ich sehe es durchaus problematisch, dass so viele Serviceproduktionen kommen.“
Helmut Grasser
Die Investitionsverpflichtung liegt also noch in der Zukunft. Was bereits schon Realität ist, ist das Anreizmodell mit FISA+, ÖFI+ und dem Exzellenzbonus beim RTR. Wie fällt Ihre erste Beurteilung nach eineinhalb Jahren aus? Alles im grünen Bereich oder gibt es auch Negativeffekte?
Helmut Grasser: Ich habe da einen etwas skeptischeren Blick auf das Ganze. Ich sehe es durchaus problematisch, dass so viele Serviceproduktionen kommen. Das bringt viele Nachteile. Wir haben viel mit dem Finanzministerium zu tun und dort blickt man auch teilweise kritisch auf die Sache. Deshalb glaube ich nicht, dass unser Modell exakt so bleiben wird, wie es Anfang 2023 eingeführt wurde. Aber mal abwarten, was mit der neuen Regierung kommt…
John Lueftner: Wir vertreten in unseren Verbänden Firmen, die sich alle und ausschließlich als unabhängige Produzentinnen und Produzenten verstehen. Von daher waren wir in der ursprünglichen Ausgestaltung nicht darauf bedacht, einen Service-Rabatt einzuführen. Wenn der Service-Rabatt jetzt dazu führt, dass wir für unsere österreichischen Koproduktionen keine Leute mehr kriegen, weil die alle für Hollywood arbeiten mit österreichischen Steuergeldern, ist das so. Man kann es nicht anders regeln, ich wüsste zumindest nicht, wie. Ursprünglich wollten wir einen Steuer-Rabatt, wie er in Deutschland in Arbeit ist. Hätten wir den, bräuchten wir überhaupt nicht diskutieren. Aber solange wir mit unserem Incentivemodell die Wertschöpfung erzielen, ist es gut. Das passiert ja auch. Eine fundierte Evaluierung ist nach eineinhalb Jahren aber noch nicht möglich. Fakt ist allerdings: Alles, was da bislang reingeflossen ist, war mehr, als man in den ersten Hochrechnungen erwartet hat. Und das Modell erzielt den gewünschten Effekt. Von daher muss es ein gutes Geschäft für den Finanzminister sein. Wir müssen da auf Durchmarsch bleiben. Und was Negativeffekte betrifft, wie der Mangel an Crews etc. – da sehe ich in erster Linie die österreichische Produzentenschaft in die Pflicht genommen, für den nötigen Nachwuchs zu sorgen.
Jeder weiß, dass das Leben spürbar teurer geworden ist in den letzten Jahren. Inwiefern fressen die Kostensteigerungen bei Filmproduktionen die schönen Rabatte auf, die Ihr Anreizmodell gewährt?
Helmut Grasser: Bei unseren Fernseh-Eigenproduktionen profitieren wir natürlich viel von FISA+ und dem Exzellenzbonus des RTR. Weil aber die Kosten drastisch stiegen, hat sich der Anteil des ORF verringert. Die Teuerungsrate bei Filmproduktionen liegt bei über 20 Prozent. Mit den geringeren Beiträgen des ORF kommen wir in ein Finanzierungsproblem – zumindest bei einigen Produktionen. Um ein Beispiel zu nennen: Die „Landkrimis“ kann man heute nicht mehr unter 2,2 Millionen geht bei 1,8 Millionen Euro, mit höherem Anteil des ORF wohlgemerkt!
John Lueftner: Beim Thema Kostendruck soll bald auch die Anrechenbarkeit der Tarifgagen zu Buche schlagen. Derzeit bezahlen wir – je nach Gewerk – bis zu 30 Prozent über Kollektivvertrag, was auch der Tatsache der vielen Serviceproduktionen geschuldet ist. Dem Vernehmen nach werden mit der ersten richtigen Evaluierung des Anreizmodells Anfang 2025 nurmehr Kollektivvertragsgagen förderfähig sein. Der Gap müsste irgendwo herkommen, weil es nicht mehr aus den Deckungsbeiträgen der Produzent:innen kommen kann. Dass wir überhaupt noch diese Margen in den Budgets ausweisen, ist eh völlig absurd. Wenn wir auch noch die Überzahlungen nicht mit dem 35-Prozent-Incentive abrechnen können, muss etwas passieren. Wenn wir nach Tarif zahlen, kriegen wir zwar Förderung, aber keine Leute, die das zu diesem Lohn machen, weil es immer jemand gibt, der überzahlt. Der Aufschlag am Boden wird passieren.
Für die Aushandlung der Kollektivverträge ist die Wirtschaftskammer zuständig. Was passiert da aktuell?
Helmut Grasser: Wir sind in der Wirtschaftskammer Zwangsmitglieder. Wenn wir es nicht müssten, wären wir es nicht. Ihre Kernaufgabe sind die Kollektivvertragsverhandlungen. Und da bewegt sich gar nichts. Sehr oldschool und unmodern.
John Lueftner: Gleichwohl haben wir im Schulterschluss auch Erfolge erzielt, siehe Anreizmodell. Das war eine gemeinsame Anstrengung. Wenn sich die Wirtschaftskammer bei den Tarifverhandlungen darauf besinnt, dass sie eine Arbeitgeber:innenvertretung ist und uns in einen vernünftigen Tarif führt, ist alles super.
„Österreichischer Content ist ein Exportartikel, der funktioniert.“
John Lueftner
Aktuell drehen vor allem deutsche Produktionen in Österreich. Was wird mit dem Run auf den österreichischen Markt passieren, wenn Deutschland seine Reform umgesetzt hat?
John Lueftner: Momentan kommen wirklich vordergründig deutsche Kolleg:innen, um sich den Rabatt bei uns abzuholen. Wenn die das künftig zuhause erledigen können, wird unser System, das aktuell ein bisschen quietscht unter der Last, schlagartig entlastet. Nicht nur das System, auch der Arbeitsmarkt wird ausgeglichener werden.
Werfen wir einen Blick auf den ORF als wichtigsten Partner der Film- und Fernsehwirtschaft in Österreich. Wie steht es um die Verlängerung der freiwilligen Selbstverpflichtung des ORF, 105 Mio. Euro jährlich in die österreichische Filmwirtschaft zu investieren?
Helmut Grasser: Die freiwillige Selbstverpflichtung des ORF läuft Ende des Jahres aus. Besser wäre es ohnehin, der Gesetzgeber würde das im ORF-Gesetz regeln. Das muss neu verhandelt werden und ist eines der wichtigsten Themen neben der Investitionsverpflichtung der Streamer. Da die primäre Finanzierung des ORF seit diesem Jahr über die Haushaltsabgabe läuft (sie ersetzt die GIS-Gebühr), muss das Budget der „freiwilligen“ Selbstverpflichtung unserer Meinung nach auch an die höheren Einnahmen des ORF angepasst werden. Da müssen wir aber dicke Bretter bohren.
„Die selektive Förderung hat wirklich zu wenig Geld.“
Helmut Grasser
Womit wir schon bei der Kinoförderung sind: Wie steht es denn um den österreichischen
Kinofilm? Bei allen Jubelarien auf das neue Anreizmodell mit ÖFI+, das für einen Push sorgte, stagnieren die selektiven Fördertöpfe…
Helmut Grasser: Das ist tatsächlich ein Problem. Die selektive Förderung hat wirklich zu wenig Geld. Zudem ist das starre Festhalten an einem anachronistischen Jurysystem ein Problem. Größere Produktionen sind fast nicht mehr zu stemmen. Einen Film wie „Das finstere Tal“ könnte man heutzutage mit dem ÖFI aus vielerlei Gründen nicht mehr machen. Gewisse Reformen sind sicher nötig. Es gibt einfach zu wenig wirklich sichtbare österreichische Filme, Filme, die groß genug sind, um beim heimischen Kinopublikum wahrgenommen zu werden. Wenn ich mir die Besucherzahlen von diesem Jahr anschaue, kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der Marktanteil ist wirklich mau. Hätten wir die richtige Struktur, könnten wir locker zehn Prozent erreichen.
Sie beide sind lange genug im Geschäft, haben schon allerlei Branchenentwicklungen mitgemacht. Wo wird es Ihrer Meinung nach hingehen? Zeigt die Richtung nach oben oder unten?
John Lueftner: Ich glaube, dass unsere Branche weiter florieren wird. Spätestens mit einer Investitionsverpflichtung wird sich das internationale Geschäft auf österreichische Geschichten auswirken. Was Österreich anbetrifft, was Inhalte anbetrifft und letztlich auch, was die Produktionsart anbetrifft, haben wir starke Wettbewerbsvorteile. Dieser österreichische Schmäh passt gut zu diesem Geschäft. Deswegen ist österreichischer Content ein Exportartikel, der funktioniert. Wenn man als Planungssicherheit den Incentive reinkriegt, wenn man uns arbeiten lässt und sich gleichzeitig um genügend Nachwuchs kümmert, bin ich sehr optimistisch, dass wir freudvollen Zeiten für österreichische Inhalte entgegengehen.
Helmut Grasser: Das unterschreibe ich. Wir haben große Chancen, unsere Geschichten zu exportieren. Auch jetzt produzieren wir durchaus schon sehr viel für die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland und man sieht, dass unsere Produktionen hohe Quoten erreichen.
Das Gespräch führte Barbara Schuster