Beim Filmfest Hamburg weht ein frischer Wind: Mit Malika Rabahallah als neuer Festivalleiterin werden spürbar neue Akzente gesetzt. Wichtigster Sparring Partner ist dabei die langjährige Programmchefin Kathrin Kohlstedde. Mit beiden sprachen wir darüber, wie sie sich aufeinander eingegroovt haben, inhaltliche Impulse bei der diesjährigen Ausgabe und gemeinsames Pasta-Kochen.
Mit welchen Ideen und Vorstellungen sind Sie, liebe Malika, angetreten als neue Festivalleiterin von Filmfest Hamburg? Inwiefern ist es Ihnen schon im ersten Jahr gelungen, Zeichen zu setzen?
Malika Rabahallah: Kleine Korrektur: Ich bin noch nicht mal neun Monaten dabei, kürzer als eine Schwangerschaft! Das ist eine echte Challenge. Ich habe die Führung eines Teams übernommen, das ich erst mal von innen heraus kennenlernen musste. Es galt, die Workflows durchzugehen und einerseits zu reflektieren, wie die Vergangenheit war, andererseits zu antizipieren, was ich für die Zukunft machen möchte. Und gleichzeitig ging es darum, die Finanzierung zu wuppen. Natürlich wird Filmfest Hamburg von öffentlichen Geldern unterstützt. Aber wir finanzieren uns auch über Sponsoren, was ungemein wichtig ist. Wenn man neue Ideen hat, muss man diese auch finanzieren. Die Knappheit der Zeit angesichts der vielen Aufgaben ist wichtig zu erwähnen. Die Knappheit hat uns aber auch kreativ gemacht, weil sie eine ganz andere Energie geweckt hat.
Wenn Sie jetzt darauf blicken, was Sie in der knappen Schwangerschaft geschafft haben: Wie stolz sind Sie auf das Baby, das nun zur Welt kommt?
Malika Rabahallah: Ich bin unglaublich stolz. Ich hatte bestimmte Träume, von denen einige schon in Erfüllung gegangen sind. Filmfest Hamburg ist ein Publikumsfestival. Das ist mir ganz wichtig. Mir war es ein Anliegen, diesen Aspekt noch zu forcieren. Ich will, dass noch mehr Menschen in den Genuss kommen, unser kuratiertes Programm zu genießen. Menschen sollten sich öfter in einem Kinosaal treffen. Auch wenn sie nicht immer einer Meinung sind. Aber es geht um das gemeinsame Erleben, das Spüren und Akzeptieren, um das gemeinsame Weinen und Lachen. Das fördert die Empathie. Das brauchen wir in der heutigen Zeit mehr denn je.
„Mir geht es um die stärkere Vernetzung. Ein Festival für alle.“
Malika Rabahallah
Hier kommt der Tag des freien Eintritts ins Spiel…
Malika Rabahallah: Genau. Ich hatte diese Idee. Und mein Team war glücklicherweise sofort Feuer und Flamme. Es ist zu schön, wenn man merkt, dass eine Vision geteilt wird. Dankenswerterweise hat uns die Kulturbehörde Hamburg diesen Tag des freien Eintritts für das erste Jahr finanziert. Wir kooperieren zudem mit vielen Institutionen und Vereinen der Stadt. Mir geht es auch um eine stärkere Vernetzung. Ein Festival für alle. Deshalb sind wir auch bei Filmfest ums Eck in noch mehr Kinos, gehen breiter in die Stadtgesellschaft…
…die Sie mit dem beachtlichen Programm sicher für sich gewinnen werden…
Malika Rabahallah: Ich meine, wir holen Andrea Arnold und Jacques Audiard nach Hamburg! Thomas Vinterberg kommt mit seiner ersten Serie! Und das sind nur die Spitzen des Eisbergs. Alles ist richtig gut gelaufen, oder, Kathrin?
Genau, liebe Kathrin Kohlstedde. Ohne Sie würde das Filmfest Hamburg nicht auf so guten Beinen stehen, wie es das bereits tut. Wie haben Sie die ersten gemeinsamen Monate mit Malika empfunden? Inwiefern mussten Sie sich an eine neue Leitung gewöhnen/anpassen?
Kathrin Kohlstedde: Unser Team hat sich unter Albert Wiederspiel gefestigt. Nach seinem Abschied nach 21 Jahren waren wir auf der einen Seite wehmütig, aber auf der anderen auch bereit für Neues. Als klar war, dass Albert aufhört und eine Findungskommission für die Wahl der Neubesetzung zusammengestellt wurde, haben wir sechsfeste Mitarbeitende uns zusammengesetzt und überlegt, wie wir uns positionieren wollen. Erst einmal haben wir einen Betriebsrat gegründet. Es ging vor allem darum, unsere Stimmen zu bündeln und uns so Gehör zu verschaffen. Das hat uns als Team eine Selbstreflexion gegeben. Uns wurde klar, was wir eigentlich wollen. Indem man formuliert, was man will, wird auch klar, wo Defizite liegen und was gut lief. Das hat unserem kleinen Team geholfen. Wir waren über das Ergebnis des Auswahlprozesses sehr glücklich, da wir Malika von anderer Stelle kannten. Dann kam sie und sagte: Jetzt kochen wir erst mal alle Pasta zusammen! Malika hat viele Geschwister und wir waren plötzlich ihre neue Kleinfamilie mit fünf Geschwistern. Zusammen haben wir den Weg für unser Filmfest Hamburg weiterformuliert. Malika sagt von sich, dass sie sich als Kompass versteht. Sie ist niemand, der allein über den Weg bestimmt, sondern jemand, der uns mehr Verantwortung übertragen hat und den Weg gemeinsam mit uns gehen will.
„Wir selbst treffen in unserem Team nun mehr Entscheidungen.“
Kathrin Kohlstedde
Malika, Sie haben das Team also nicht komplett ausgetauscht, sondern Kathrin Kohlstedde bestimmt und sehr gezielt als Programmchefin an Ihrer Seite behalten. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Malika Rabahallah: Was ich vorgefunden habe, ist einfach ein Diamant. Das Team glänzt mit einer so großen Expertise, sie kennen sich so gut, harmonisieren so gut. Dann komme ich neu dazu und wirke erst einmal wie l ein Störfaktor – was aber auch Vorteile hat. Der Begriff „Störfaktor“ klingt vielleicht negativ, ist es in diesem Fall aber nicht. Ich war diejenige, die viele Fragen stellte, die das Team gemeinsam beantworten sollte. Klar, am Ende muss ich die Entscheidung treffen, das gehört zur Führungsrolle dazu. Aber wir arbeiten sehr partizipativ und das war von Anfang an meine Führungsidee. Ich glaube an die Kraft der Vielstimmigkeit, was sicherlich mit meiner Geschichte zu tun hat und mich auch ausmacht. Ich möchte hören, was die anderen denken. Es geht mir um Selbstreflexion. Das ist die Zukunft. Es geht darum, dass die Mitarbeitenden auch wissen, wer sie sind und wozu sie stehen. Wir kommunizieren vollkommen offen, jede und jeder hat Einblick in unsere Strukturen.
Inwiefern hat sich für Sie etwas verändert als Programmleitung, Frau Kohlstedde?
Kathrin Kohlstedde: Wir selbst treffen in unseren Teams nun mehr Entscheidungen. Gerade im ersten Jahr kann es auch manchmal anstrengend sein, Arbeitsprozesse zu hinterfragen und zu justieren oder neu auszurichten. Ein gemeinsames Leitbild kann da sehr hilfreich sein. Als wir dies Anfang des Jahres anfingen zu entwickeln stellten wir alle fest, dass wir schon eine gemeinsame Vision vom Filmfest haben. Diese wollen wir nun zusammen weiter entwickeln und in alle Teams spiegeln. Die Anstrengungen werden sich lohnen, denn es ist schön, dass Malika uns allen die Möglichkeit gibt, weiter zu wachsen.
Malika Rabahallah: Das A und O ist die Kommunikation. Kathrin gehört zu den wichtigsten Leuten für mich im Team, da sie das Filmfest Hamburg so gut kennt. An der Spitze ist man oft allein, das ist auch etwas Neues für mich. Bei der MOIN hatte ich Helge als Sparringpartner. Wenn ich mir jetzt unsicher bin, gehe ich zu Kathrin. Es ist schön zu sehen, wie wir uns gegenseitig inspirieren und bereichern.
Kathrin Kohlstedde: Wenn jemand Neues in einen so „alten“ Betrieb reinkommt, besteht oft die Gefahr, dass man neuen Ideen abwehrend gegenübersteht nach dem Motto „Haben wir noch nie so gemacht“, oder funktioniert doch eh nicht“. Solche Sprüche sind kein einziges Mal gefallen innerhalb der letzten neun Monate, weil wir vieles hinterfragt haben, aber auch offen waren zu hinterfragen, offen dafür, Dinge anders zu denken. Das macht die Stimmung einfach auch so schön.
Welche inhaltlichen Impulse setzen Sie mit dem 32. Filmfest Hamburg? Worauf habt ihr besonderes Augenmerk gelegt?
Kathrin Kohlstedde: Als wir uns am Anfang zusammengesetzt und definiert haben, was das Profil des Filmfest Hamburg ist, haben wir uns gefragt, was Hamburg als Stadt auszeichnet. Hamburg ist eine Hafenstadt und lebt von einer Weltoffenheit und Internationalität, die nach Hamburg kommt und hier in Dialog tritt mit den Menschen. Das gibt uns eine perfekte Ausgangsposition. Denn das, was die Stadt lebt, ist etwas, das auch wir als Filmfest leben. Die vielen Filme und Gäste, die wie die Schiffe nach Hamburg kommen und das Leben bereichern können. Das ist immer schon in der DNA unseres Festivals und das haben wir so weitergetragen. Außerdem ist uns die Entdeckung von neuen Talenten wichtig. Hier in Hamburg zeigten Yorgos Lanthimos oder Sean Baker, Chloé Zhao oder Justine Triet ihre ersten Filme und kamen immer wieder.
Malika Rabahallah: Wir möchten auch Nachwuchstalente stärker fördern. Dieses Jahr eröffnen wir mit einem Debütfilm. Das war uns sehr wichtig. Wenn die neuen Talente auch noch weiblich sind, umso lieber. „Könige des Sommers“ wurde von einer jungen extrem talentierten französischen Regisseurin Louise Courvoisier gedreht, nur mit Laiendarsteller:innen. Sie alle freuen sich wahnsinnig, jetzt nach Hamburg kommen zu dürfen. Einige von ihnen fliegen zum ersten Mal in ihrem Leben!
Filmfest Hamburg hat unter Albert Wiederspiel auch immer politisch klare Kante gezeigt. Wird sich das fortsetzen?
Malika Rabahallah: Auf jeden Fall. Das ist in unserer Auswahl zu sehen. Das Programmteam und ich sind alle sehr politische Menschen, wir sprechen viel über Politik beim Pasta-Essen. Unsere Auswahl ist sehr politisch und das wird sich auch nicht ändern. Das iranische Kino hat bei uns immer einen besonderen Platz. Wir feiern die Deutschlandpremiere von Mohammad Rasoulofs „Die Saat des heiligen Feigenbaums“. Er war bereits mit seinem allerersten Film bei uns. Neben der Filmvorführung gibt es mit ihm auch ein Gespräch darüber, wie es ist, Filme in autoritär geführten Staaten zu drehen. Freiheit und Demokratie sind weiterhin in unserer DNA. Das sind Werte, die wir heute mehr denn je verteidigen müssen. Wir präsentieren auch Filme aus Algerien oder Argentinien, wo politisch viel in Bewegung ist. Filmfest Hamburg lobt einen Preis für politische Filme aus und seit letztem Jahr auch den Albert Wiederspiel Preis, der an eine oder einen Filmschaffende/n mit politischem Anspruch geht. Dieses Jahr haben Albert und der Vorstand der Hapag-Lloydstiftung, Michael Behrendt, eine Künstlerin aus Georgien ausgewählt, Dea Kulumbegashvili, deren Film „April“ bei uns gezeigt wird und in deren Land das Filmemachen auch nicht gerade einfacher wird.
Kathrin Kohlstedde: Georgien ist wichtig, weil dieses Land vor sehr großen Herausforderungen steht. Als Filmfestival haben wir die Möglichkeit, Menschen und Themen eine Plattform und ein Spotlight zu bieten. Diese Chance sollten wir nutzen.
Die MOIN Filmförderung ist die Muttergesellschaft von Filmfest Hamburg. Hat sich die Zusammenarbeit durch die Vergangenheit von Malika dort jetzt noch intensiviert?
Kathrin Kohlstedde: Es ist so, wie das bei Mutter und Kind ist. Irgendwann ist man in einem Alter, wo man die Eltern auch als gute Freunde sieht. Ich glaube, das ist jetzt so zwischen MOIN und Filmfest Hamburg. Mit der MOIN haben wir eine richtig coole Filmförderung, die coolste im ganzen Land. Wenn wir gemeinsam die Kräfte bündeln, können wir viel bewegen. Dadurch, dass Malika dort viele Jahre beschäftigt war, ist die Zusammenarbeit transparenter geworden, wir verstehen die MOINis besser, die MOINis verstehen uns besser. Die gemeinsame Sicht, dass man mit dem Filmfest Hamburg eine große Möglichkeit hat, etwas zusammen zu schaffen, hat sich definitiv geschärft.
„Den Industry-Bereich möchten wir auf jeden Fall ausbauen. Da brauchen wir aber mehr Mittel.“
Malika Rabahallah
Was hat sich am Industry-Angebot geändert? Welche Rolle spielt es und wie geht es weiter?
Malika Rabahallah: Um den Industry-Bereich kümmert sich bei uns Faysal Omer mit Sara Rauschning. Ich komme aus der Branche. Für mich ist das total wichtig. Ich sehe Festivals auch als Treffpunkt, als Vernetzung, als Austauschplattform für Menschen aus der Branche. Das möchten wir auf jeden Fall ausbauen. Da brauchen wir aber mehr Mittel, alles kostet Geld. Mit der Explorer Konferenz haben wir uns sehr gut etabliert. Sie ist schwerpunktmäßig für Produzent:innen. Uns wird auch eine Delegation von Producers on the Move besuchen. Während der Industry Days beleuchten wir verschiedene Themen, die die Branche gerade besonders bewegt. Zum Beispiel sind wir bei der Filmkuratierung auf ein Thema gestoßen, dass immer mehr Frauen Genre machen. Wir haben einige Filme im Programm und es gibt dazu auch eine Veranstaltung.
Perspektivisch: Wo wollen Sie hin mit dem Filmfest Hamburg?
Malika Rabahallah: Wir möchten Digitalisierung, Diversität und Nachhaltigkeit, wie jede Kulturinstitution reflektieren, um relevant zu bleiben.
Kathrin Kohlstedde: Nach dem Filmfest kochen wir wieder zusammen Pasta und schauen gemeinsam im Team, wie der Weg weitergehen soll.
Das Gespräch führten Barbara Schuster & Thomas Schultze