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REVIEW KINO: „Morgen ist auch noch ein Tag“

Italienischer Blockbuster, der im Stil eines Melodrams von einer römischen Hausfrau in der Nachkriegszeit erzählt, die sich mit den Waffen einer Frau gegen die Gewalt ihres Mannes zur Wehr setzt. 

CREDITS:
O-Titel: C’é ancora domani; Land/Jahr: Italien 2023; Laufzeit: 118 Minuten; Regie: Paola Cortellesi; Drehbuch: Furio Andreotti, Giulia Calenda, Paola Cortellesi; Besetzung: Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, Emanuela Fanelli, Giorgio Colengeli; Verleih: Tobis; Start: 4. April 2024

REVIEW:
Gleich die ersten Momente in dem Regiedebüt der in Italien ungemein populären Schauspielerin und Moderatorin Paola Cortellesi stellen unmissverständlich klar: Was nun folgen wird in den kommenden knapp 120 Minuten, das ist ganz pures Kino mit hoher visueller Schlagkraft, die Ankunft eines echten Talents. In expressivem Schwarzweiß und im klassischen Fernsehformat von 1 zu 1,33 wird man bekannt gemacht mit den Hauptfiguren von „Morgen ist auch noch ein Tag“, der die stilistischen Merkmale des Sozialrealismus eines Vittorio de Sica oder Roberto Rossellini wählt, um die Geschichte einer Familie aus der römischen Arbeiterklasse im Jahr eins nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu erzählen. Im Mittelpunkt steht Delia, gespielt von der ebenso schönen wie stolzen Paola Cortellesi selbst, eine Hausfrau und Mutter um die Fünfzig, die unter der Fuchtel der Männer in ihrem Haushalt steht. Ihre beiden Söhne sind nervige Flegel, ihr Schwiegervater ein bettlägeriger Kotzbrocken, ihr Ehemann Ivano ein herrischer Despot, der den Morgen traditionell schon einmal mit einer Ohrfeige beginnt. Alle lassen sich vorne und hinten bedienen. Was bleibt Delia anderes übrig, als sich in ihre Rolle zu fügen? So wie ihr geht es Millionen anderer Frauen auch im patriarchalischen Italien. 

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Paola Cortellesi setzt sich in „Morgen ist auch noch ein Tag“ selbst brillant in Szene; Foto: Tobis

Dass der Film indes nicht bereit ist, seine Heldin all die Erniedrigungen hinnehmen zu lassen, wird schon nach fünf Minuten unterstrichen, als Delia über die Credits erstmals ihre Wohnung im Keller eines Wohnhauses verlässt und sie beim Betreten der Straße den Bildrahmen nach außen in gängiges Kinoformat verschiebt. Erstmals bricht die Filmemacherin Cortellesi mit dem Realismus ihrer Bilder, folgt Delia mit einem Trackingshot, der direkt der langen Kamerafahrt eine Hauptstraße entlang aus Alfonso Cuaróns „Roma“ nachempfunden ist, und zu den bassig-coolen Beats von „Calvin“ von der Jon Spencer Blues Explosion: Wenn schon sonst niemand diese willensstarke Frau zu schätzen weiß, der Film tut es auf alle Fälle. Dafür sind alle (filmischen) Mittel Recht. Immer wieder durchbrechen moderne Songs, von Lucio Dalla bis Outkast, die Enge der Zeit. Zu den Klängen eines alten italienischen Schlagers wird die Liebesgeschichte des Ehepaares im Schnelldurchlauf erzählt, von ihren romantischen Anfängen hin zum deprimierenden Gefängnis, in dem Delia ihr Dasein fristet. Einmal inszeniert Cortellesi einen der gewaltsamen Übergriffe von Ivano mit einer Choreographie wie aus einem modernen Ballett. Für jeden Moment hat die Regisseurin ein überraschendes Bild parat. 

Vor allem ist „Morgen ist auch noch ein Tag“ immer auf der Seite seiner Heldin, wenn sie versucht, ihrer Tochter Marcella ein besseres Leben zu bescheren, als sie es hatte, nur um zu realisieren, dass sich die Geschichte wohl immer weiter wiederholen wird: Nur zu deutlich erkennt die Mutter in dem jungen Galan, der so elegant und verständnisvoll um Marcellas Hand wirbt, das Verhaltensmuster wieder, mit dem ihr Mann sie einst erfolgreich umgarnt hatte. Was wiederum bedeutet, dass sich Delia zur Wehr setzen wird, erst um ihrer Tochter zu helfen, dann um sich selbst jene Freiheit zu erkämpfen, die ihr bislang immer versagt geblieben war. Wie sie das schließlich tun wird, das ist die große Überraschung, weil der Film nicht auf das hinausläuft, was man sich als Zuschauer erwartet, sondern auf eine große politische Geste des Widerstands und der Rebellion, die intrinsisch in den gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit verankert ist. 

Wenn sich am Schluss die Blicke von Mutter und Tochter treffen, zu den Klängen von Daniele Silvestris „Una boccha chiusa“, dann sieht man zwei Gewinnerinnen, deren Würde nicht gebrochen wurde, die ihre Köpfe aufrecht halten, auch wenn der Triumph für sie selbst vielleicht nur von kurzer Dauer ist. Der aufregende Umgang mit den filmischen Mitteln lässt „Morgen ist auch noch ein Tag“ einerseits ein ganz klassisches Melodram sein, andererseits auch einen Freiheitsschlag, der sich nie von den Konventionen einbremsen lässt. Das italienische Kinopublikum zeigte sich begeistert. Paola Cortellesis Film war in seiner Heimat an den Kinokassen im vergangenen Jahr noch erfolgreicher als „Barbie“ und „Oppenheimer“. Jetzt kann man ihn zum Glück auch in Deutschland entdecken. 

Thomas Schultze