Alles außer gewöhnlich sind die Animationsfilme von Hugh Welchman und DK. Das trifft auf „Loving Vincent“ zu, das trifft insbesondere auf „Das Flüstern der Felder“ zu, der am Donnerstag im Verleih von Plaion Pictures in die Kinos kommt. Wir sprachen mit Hugh Welchman über den entbehrungsreichen Weg zur Fertigstellung des Films.
Dem Vernehmen nach waren die Dreharbeiten zu „Das Flüstern der Felder“ – über den ohnehin sehr aufwändigen Herstellungsprozess hinaus, in dem jedes einzelne Bild ein eigenes Ölgemälde ist – kein Zuckerschlecken.
Hugh Welchman: „Loving Vincent“ war eine einzige Freude. „Das Flüstern der Felder“ war traumatisch. Nicht weil die Arbeit keinen Spaß gemacht hätte. Wir lieben das Projekt. Es waren äußere Umstände, die uns durch die Hölle gehen ließen. Nicht nur einmal. Mehrfach, wiederholt. Wegen Covid mussten wir zweimal den Realdreh abbrechen. Der erste Shutdown dauerte zwei Wochen, der zweite ein Jahr.
Oh Gott…
Hugh Welchman: Während der Rest der Animationswelt einen Boom sondergleichen erlebte, weil die Menschen von Zuhause arbeiten konnten, hatten wir mit unserer Ölgemälde-Animation weniger Glück. Wir hatten Arbeitsstationen in einem Studio installiert, weil es unmöglich ist, diese ungewöhnliche Arbeit von zuhause aus umzusetzen. Eigentlich war alles in die Wege geleitet, wieder mit den Malern zu arbeiten, mit denen wir „Loving Vincent“ gemacht hatten, Maler aus Deutschland, Spanien, Indien, den USA, Südamerika. Angereist kamen ein Maler aus Österreich und einer aus Australien. Alle anderen blieben zuhause.
Oh Gott…
Hugh Welchman: Es war eine Herausforderung. Wir saßen in unserem halb leeren Studio in Polen und waren demoralisiert, deprimiert. Die Inflation in Polen betrug zu diesem Zeitpunkt 20 Prozent und Panik machte sich breit, weil niemand so recht wusste, wie er im kommenden Monat seine Miete zahlen sollte. Und dann kam der Krieg in der Ukraine, Putins russische Invasion.
Oh Gott…
Hugh Welchman: Wir hatten einen Großteil unseres Geldes in ein Studio in Kiew investiert. Wir waren ekstatisch vor Vorfreude! Die ukrainischen Maler waren von absolut entscheidender Bedeutung für die Umsetzung von „Das Flüstern der Felder“, weil sie alle Erfahrung haben im Umgang mit Realismus, der bei dem Film zum Einsatz kommen würde, nach Vorbild der polnischen Maler der Zeit. Bei „Loving Vincent“ waren sie die zweitgrößte Gruppe. Um sie nicht alle nach Polen reisen lassen zu müssen, hatten wir es für eine gute Idee gehalten, für sie Studioraum in der Ukraine anzumieten. Sie wären dann nicht von ihren Familien getrennt gewesen, alles schien uns einfacher, die Logistik problemloser. Ohne sie war der Film nicht denkbar. Einen Monat, nachdem die 18 Maler die Arbeit aufgenommen hatten, fiel Russland in die Ukraine ein. Wir mussten das Studio schließen, evakuierten so viele Leute, wie wir konnten.
Oh GOTT!
Hugh Welchman: Ich bin noch nicht fertig! Die Finanzierung des Projekts kollabierte, weil 15 Prozent unseres Budgets aus der Ukraine kam. Alles brach auseinander. Aber die ukrainischen Frauen, am Anfang waren es elf, schließlich dreizehn – es war uns nur möglich, Frauen aus der Ukraine zu uns zu holen -, transformierten das Studio dann. Sie kamen mit Rücksäcken und Kindern, eine hatte ihre Mutter mit dabei. Sie sagten uns: Wir haben so viel Glück! Wir freuen uns auf die Arbeit. Sie waren unglaublich. Wir konnten ihre Positivität nicht fassen. Sie steckten alle an, rissen uns mit. Nach den vielen Prüfungen nahm das Projekt wieder Fahrt auf, und wir erinnerten uns daran, was wir seinerzeit an der Produktion von „Loving Vincent“ so geliebt haben. Das hat den Film gerettet, ein Silberstreifen am mit dunklen Wolken verhangenen Himmel. Nach acht Monaten gelang es uns, das Studio wiederzueröffnen. Das letzte halbe Jahr des Produktionsprozesses hatten wir dann ein funktionierendes Studio.
Mann Mann Mann…
Hugh Welchman: Es war HART. Aber wir haben es hingekriegt, nachdem wir zwischenzeitlich die Hoffnung komplett verloren hatten und absolut sicher waren, dass alles abrauschen würde. Wir haben uns durchgekämpft. Aber wir haben unser Privatvermögen geopfert. Nur mein Haus besitze ich noch, wenngleich mit einigen Hypotheken. Es war eine taffe Reise.
Wie haben Sie es geschafft, nicht das Handtuch zu werfen?
Hugh Welchman: Der Hauptgrund ist offensichtlich: Wir lieben das, was wir tun. Wir lieben den Film. Immer wenn wir neue Zwischenergebnisse sahen, fertige Bilder, neue Schnittfassungen, machte uns das Mut, weil wir erkannten, wie großartig das Ergebnis sein würde. Da gibt man doch nicht auf. Es war so wunderbar und anders als „Loving Vincent“. Diesmal gibt es dynamische Kamerafahrten, wir haben Schlachtszenen, Liebesszenen, Kämpfe – all die Dinge, die man eigentlich vielleicht nicht mit Animation in Verbindung bringt. Zumindest ich hatte den Eindruck, dass die äußeren Ereignisse und Hindernisse zur Qualität unserer Arbeit beitrugen, dass sie intrinsisch mit unseren Bildern verbunden waren.
Warum musste es ausgerechnet diese ungewöhnliche Form des Ausdrucks sein?
Hugh Welchman: Der Grund, warum wie den Film mit Ölgemälde-Animation realisieren wollten, war Władysław Reymont, der seinen Nobelpreis ausnahmsweise nicht für sein Gesamtwerk, sondern explizit für den einen Roman „Der Bauern“ erhalten hatte. Wenn man den Roman liest, keine einfache Lektüre, dann ist es, als würde man ein Ölgemälde beschrieben bekommen. Wir wollten dem unbedingt gerecht werden und damit der Vorlage und dem Schriftsteller und der Kunstbewegung des Realismus. Es war schwieriger als gedacht. Aber ich bin stolz, dass wir durchgehalten haben. Und ich bin stolz auf das Ergebnis, weil ich weiß, wie viel Blut, Schweiß und Tränen in diesem Film stecken.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.