Deutscher Tag in Venedig. Nach „Riefenstahl“ und der deutschen Koproduktion „Maria“ ist „September 5“ die dritte lokale Produktion auf der 81. Mostra. Zur Pressekonferenz des Films, der heute Abend Weltpremiere feiert, kamen Regisseur Tim Fehlbaum, die Darsteller Leonie Benesch und Ben Chaplin sowie die Produzenten Philipp Trauer und John Ira Palmer.
„September 5“ ist ein außergewöhnlich gelungener Film. Zur Pressekonferenz des Films, der heute Abend Weltpremiere als Eröffnungsfilm der Orizzonti Extra feiert, kamen Regisseur Tim Fehlbaum, die Darsteller Leonie Benesch und Ben Chaplin sowie die Produzenten Philipp Trauer und John Ira Palmer. Eingangs sagte Fehlbaum: „Heute sind wir es gewohnt, Ereignisse wie diesen live auf unserem Handy mitzuverfolgen. Wir fanden es interessant, einen Schritt zurückzutreten und uns anzusehen, wann das tatsächlich zum ersten Mal live passiert ist. Denn die ethischen und moralischen Fragen, die dabei aufgeworfen werden, sind heute dieselben wie damals.“ Das Besondere sei gewesen, dass es sich nicht um Journalisten handelte, die es gewohnt waren, die Nachrichten berichten: „Es waren Sportjournalisten, die sich in einer für sie völlig außergewöhnlichen Situation befanden. Und es war auch das erste Mal, dass Olympische Spiele via Satellit live in der ganzen Welt übertragen wurden.“
Auf die Frage nach den aktuellen Implikationen sagte Schauspieler Ben Chaplin: „Mir bereitet das Sorgen. Wie machen wir als Menschen weiter in einer postfaktischen Welt?“ Und Leonie Benesch erklärte: „Ich bin süchtig nach News. Ich denke, das half mir, mich in der Welt zurechtzufinden, die wir in unserem Film zeigen, zumal ich keine Journalistin spiele, sondern eine Übersetzerin, die sich live einen Reim darauf machen musste, was sich in diesen 16 Stunden abspielte.“ Angesprochen auf eine Szene, in der überdeutlich gezeigt wird, wie Männer damals mit Frauen umgingen, meinte sie: „Sexismus war bis kurz vor #metoo deutlich sichtbarer und spürbarer. Wir haben uns seither weiterentwickelt, es ist schon noch da, wenngleich viel subtiler und nicht mehr so auffällig. Deswegen gefiel mir die Szene mit dem Kaffee: Für den Zuschauer ist offenkundig, was da passiert, aber im Zusammenhang mit der Geschichte ist es für alle Beteiligten ganz normal.“
Produzent Philipp Trauer von BerghausWöbke Filmproduktion, der den Film zusammen mit Thomas Wöbke realisiert hat, erklärte: „Das Thema selbst wurde schon in vielen Filmen beleuchtet. Wir haben für uns nach einem besonderen Ansatz gesucht, um eine Verbindung zum Hier und Jetzt herzustellen.“ Seine amerikanischer Produzentenkollege John Ira Palmer von Sean Penns Produktionsfirma Projected Picture Works fügte hinzu: „Es war ein Wendepunkt, wie Medien weltweit berichterstatten. Ebenso war es ein Wendepunkt für das Publikum, für die Konsumenten. Heute wollen wir unentwegt informiert werden, was gerade passiert. Das hat natürlich auch Auswirkungen, wie wir unser Leben führen.“
Die Olympischen Spiele von 1972 in München seien schon vor besagtem 5. September besonders gewesen, merkte Tim Fehlbaum an, „nicht nur wegen des gigantischen Medienapparats, aber auch weil diese Spiele für Deutschland eine besondere Bedeutung hatten. Nachdem die Spiele von 1936 in Berlin für Propagandazwecke missbraucht worden waren, wollte man sich 35 Jahre nach dem Dritten Reich als ein verändertes Land präsentieren, was wiederum Auswirkungen darauf hatte, wie die Politik auf den Angriff auf die israelische Equipe reagierte.“
Auf die Recherchen angesprochen, sagte Tim Fehlbau, dass man die erste Idee für den Film bei einem Recherchegespräch mit Geoff Mason gehabt hätte, der im Film von John Magaro gespielt wird und an diesem Tag 22 Stunden live mit dabei gewesen war: „Was er uns erzählte, löste für uns das Projekt überhaupt erst auf. Dazu hatten wir einen weiteren Augenzeugen, der als Runner gearbeitet hatte, und den Sohn des legendären Moderators Jim McKay. Überdies lasen wir Bücher, darunter die Autobiographie von Roone Arledge, und natürlich das Fernsehmaterial von damals. Es war uns wichtig, so exakt und authentisch wie nur möglich zu seien.“ Und Leonie Benesch lobte: „Das Szenendesign von Julian Wagner war gigantisch. Es fühlte sich in den Kulissen tatsächlich so an, als wäre man vor Ort.“
Das habe dem Ansatz entsprochen, so dokumentarisch wie möglich zu arbeiten, sagte Tim Fehlbaum: „Die Geräte, die man in unserem Film sieht, sind tatsächlich die Geräte, die es damals gab – und alle waren tatsächlich funktionsfähig. Das war uns wichtig.“ Und abschließend freute er sich: „Ich bin sehr aufgeregt, ich war noch nie in Venedig, aber jetzt, wo ich hier bin, verstehe ich, warum alle Filmemacher so davon schwärmen. Ich freue mich mächtig auf unsere Weltpremiere heute Abend.“
Thomas Schultze