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Margherita Vicario zu „Gloria!“: „Regieführen heißt Reden, viel Reden“

Mit ihrem Regiedebüt „Gloria!“ landete die junge Italienierin Margherita Vicario einen der großen Publikumshits im Wettbewerb der Berlinale. Jetzt kommt ihr ungewöhnlicher Crowdpleaser im Verleih von Neue Visionen endlich ins deutsche Kino. Anlässlich ihres Besuchs in Berlin zu Beginn der Woche haben wir mit Freude mit ihr gesprochen.

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„Gloria!“-Regisseurin Margherita Vicario (Credit: Davide Drambra)

War es ohnehin Ihr Ziel, Regie zu führen, oder war dieser Stoff der Grund dafür, dass Sie diesen Schritt gegangen sind?

Margherita Vicario: Schon als kleines Mädchen habe ich davon geträumt, irgendwann einmal einen Film mit viel Musik zu machen. Ich liebe Musik und bin ja auch eigentlich Sängerin. Mir war natürlich auch bewusst, dass Italien nicht gerade als Land der Musicals bekannt ist. Es ist ein Genre, das man eher mit dem angelsächsischen Raum in Verbindung bringt, mit den USA, mit England. Wir in Italien sind eher Schriftsteller und Dichter. Trotzdem hatte ich den Traum, einen Film zu machen, in dem all das enthalten ist, was mich bewegt, was mir wichtig ist. Ich wollte etwas machen, das mich als Zuschauer ansprechen würde. Ich gehe gerne ins Kino und ins Theater, ich besuche Konzerte. In meinem Film sollte sich all das wiederfinden, was mir selbst Freude bereitet. Das habe ich versucht, zu Papier zu bringen, ohne dass klar war, ob ich auch Regie führen würde. Mein Produzent war es dann, der sagte, ich müsste auch die Inszenierung übernehmen: Du hast alles selbst entwickelt, selbst geschrieben, du kennst die Geschichte in- und auswendig, also musst du auch Regie führen. 

Sie haben nicht nur die Geschichte entwickelt und den Film geschrieben, auch die Musik und die Lieder in Ihrem Film stammen von Ihnen. Was war zuerst da?

Margherita Vicario: Ich habe meine eigene Erlebniswelt angezapft. Als Jugendliche habe ich in meinem Zimmer auf meinem Keyboard genauso herumgespielt, wie es meine Hauptfigur in „Gloria!“ macht. Das ist mein Zugang zur Musik, so erlebe ich Musik. Und das wollte ich in meinem Film rüberbringen. Wie Musik auf einem Menschen fließen kann als etwas, das ganz natürlich entsteht. Aber mir war bewusst, dass ich dafür einen Rahmen finden musste, der die große Leinwand tatsächlich ausfüllt, ich wollte etwas finden, das meine persönliche Erfahrung als etwas zeigt, das größer ist als das Leben. Ich fing an zu überlegen und zu recherchieren und stieß dabei auf diese besonderen Musikschulen für Mädchen und junge Frauen im 18. Jahrhundert. „Gloria!“ bedeutet im Wortsinne, gehört zu werden. 

Spielten Ihre eigenen Erfahrungen als populäre Sänger eine Rolle dabei?

Margherito Vicario: In Italien haben es Liedermacherinnen immer noch schwerer als ihre männlichen Kollegen, sich beruflich und in der Öffentlichkeit durchzusetzen und Erfolge zu feiern. Damit meine ich jetzt weniger mich, sondern viele meiner Kolleginnen: Sie sind offenkundig großartig und talentiert, müssen aber mehr kämpfen, um sich Gehör zu verschaffen. Es gibt immer noch Vorurteile. Die Antworten findet man immer in der Geschichte. Insofern erzähle ich eine Geschichte, die eindeutig im 18. Jahrhundert verortet ist, aber gleichzeitig etwas sehr Jetziges erzählt. 

Ihr Film fühlt sich sehr modern und frisch an. Wie wichtig war Ihnen Authentizität, wie wichtig war es Ihnen, das Leben im 18. Jahrhundert akkurat umgesetzt zu sehen?

Margherita Vicario: Der Kern der Geschichte ist universell, ist unabhängig von Zeit und Raum. Es geht um Kreativität, wie sie sich entfaltet, wie man seine Stimme findet. Es geht um die Innenwelt, die sich den Weg nach außen bahnt. Es geht um Kunst und künstlerischen Ausdruck. Was in meiner Hauptfigur vorgeht, korreliert ganz unmittelbar mit meiner eigenen Erfahrung. Sie ist ich. Getrennt sind wir nur von 300 Jahren. Aber natürlich musste die Geschichte auch glaubwürdig sein. Wenn man vom 18. Jahrhundert erzählt, sollte man sich auch Mühe geben, dem Publikum ein Gefühl für die Zeit zu geben, die Stimmung, die Lebensumstände. Ich habe sehr eng mit meinem Kameramann gearbeitet, Gianluca Palma, mit dem ich viele meiner Videos gemacht habe, und wir haben gemeinsam Gemälde der Zeit studiert. Sie waren unser Leitstern für die visuelle Gestaltung. Ich wollte einen realistischen Film machen, der der Zeit entspricht, in der seine Handlung spielt. 

„Der Kern der Geschichte ist universell, ist unabhängig von Zeit und Raum. Es geht um Kreativität, wie sie sich entfaltet, wie man seine Stimme findet.“

Margherita Vicario

Ein sehr ungewöhnliches Regiedebüt. War es schwierig, das Projekt zum Laufen zu bringen?

Margherita Vicario: Es ist nie einfach in Italien! Man ist von den Förderungen abhängig, das bringt immer Ungewissheiten mit sich. Und wie Sie sagen, es ist ein Debüt, eine Filmemacherin, alle möglichen Unwägbarkeiten. Aber ich weiß tolle Produzenten an meiner Seite, die auch die Filme von Alba Rohrwacher machen. Sie wissen, was sie machen. Und sie lassen sich nicht so leicht unterkriegen, sind sehr mutig, interessiert an Stoffen, wie man sie in Italien nicht jeden Tag sieht. Wir haben gemeinsam die Runden gemacht, um die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Ich war ein bisschen wie der kleine Affe auf der Straße, der seine Tricks vorführt. Wir hatten unsere Präsentation, ich hatte meine Songs auf einem Demo aufgenommen, habe sie vorgespielt. Den Film über die Musik zu erklären, das hat viel geholfen.

Sie hatten also schon zu diesem Zeitpunkt die Musik geschrieben?

Margherita Vicario: Die Musik entstand gemeinsam mit dem Drehbuch, sie ist ein integraler Bestandteil des Films. Ohne die Musik gibt es keinen Film! Und natürlich mussten auch die Schauspieler die Kompositionen schon bei der Vorbereitung kennen und verinnerlichen. Die Playbacks wurden lange vor dem Drehstart aufgenommen. 

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„Gloria!“ von Margherita Vicario (Credit: Neue Visionen)

Können Sie für sich schon abschätzen, was Sie aus der Erfahrung, erstmals Regie geführt zu haben, gelernt haben?

Margherita Vicario: Ich bin ziemlich unerschrocken. Als Musikerin habe ich alles schon erlebt. Mittlerweile bin ich bei einem Major unter Vertrag und kann gut von meiner Musik leben, aber ich habe als unabhängige Musikerin angefangen und alles selbst gemacht. Das steckt ganz tief in mir drin, das bin ich. Ich bin selbst zu den Konzerten gefahren, habe das Equipment auf die Bühne geschleppt, habe nach den Konzerten die Abrechnung gemacht. Die Arbeit an einem Film war für mich genau deshalb eine neue Erfahrung, gekoppelt an die Erkenntnis, das man bei einem Film allein nicht weit kommt. Es ist eine kommunale Erfahrung, man muss den Menschen um sich herum vertrauen, und man muss die Aufgaben verteilen. Hier ist das Geheimnis: Man muss immer reden, reden, reden. Regieführen heißt Reden. Und ich muss gestehen: Ich rede viel, das Reden liegt mir im Blut. Ich bin Italienerin! 😊 Am Set muss man reden und darauf vertrauen, dass die anderen verstehen, was man ihnen mitteilt. 

Die Musik ist Ihnen bestimmt leichtgefallen…

Margherita Vicario: Stimmt. Das kannte ich. Die große Entdeckung war für mich die Inszenierung der Schauspielerinnen. Wissen Sie, ich selbst bin nicht in meinem Film. Aber alles, was man über mich wissen kann, sieht man, wenn man meine Hauptdarstellerin studiert. Das klingt vielleicht etwas überheblich und egoistisch, aber ich hatte den Eindruck, durch sie ganz direkt mit dem Publikum kommunizieren zu können. Und gleichzeitig durch sie Dinge über die von mir erschaffene Figur zu erfahren, die ich noch nicht gewusst hatte. 

„Die Berlinale war alles für mich! Ein Filmfestival dieser Größe verleiht einem eine Sichtbarkeit, die man sich bestenfalls erträumen kann.“

Margherita Vicario

Sie waren mit „Gloria!“ im Wettbewerb der Berlinale. Hat das Ihrem Film geholfen?

Margherita Vicario: Die Berlinale war alles für mich! Ein Filmfestival dieser Größe verleiht einem eine Sichtbarkeit, die man sich bestenfalls erträumen kann. Parallel zum Festival gab es den European Film Market, und da hat es natürlich Wunder gewirkt, dass wir in der Hauptreihe des Festivals liefen und nach der Premiere viel über den Film geredet wurde. Da zahlte es sich aus, dass es uns so wichtig gewesen war, unsere Geschichte auf eine Weise mit Musik zu erzählen, die Grenzen überwindet, ganz universal und überall auf der Welt zu verstehen ist. Es spielte keine Rolle, ob da jemand aus Südkorea angereist war oder aus einem europäischen Land kam. Der Film traf einfach einen Nerv. Die Berlinale war eine wirklich große Überraschung für mich. Klar, wir hätten den Film nicht eingereicht, wenn wir nicht das Gefühl gehabt hätten, einen guten Film an der Hand zu haben. Aber dass es dann gleich der Wettbewerb geworden ist, das hat alle Erwartungen übertroffen. Wir haben der Berlinale viel zu verdanken!

Wie wurde Ihr Film in Italien rezipiert?

Margherita Vicario: In Italien bin ich dank meiner Musikkarriere ein bekannter Name. Das hat natürlich auch dem Film geholfen, weil „Gloria!“ weniger als Regiedebüt rezipiert wurde, sondern als ein Film von Margherita Vicario, populäre Sängerin. Natürlich hat nicht jeder den Film geliebt – wann ist das jemals so!? Aber ich denke, insgesamt war man positiv überrascht, wie gut und eigen der Film ist. Es war mir aber auch betont wichtig, einen Film zu machen, der das Publikum abholt, in dem man sich verlieren kann. Er soll das Publikum bewegen. Und ich denke, wenn das gelingt, dann offenbart „Gloria!“ Tiefen, die weit über sein Unterhaltungspotenzial hinausgehen. Wenn er einen nicht berührt… Tja, dann halt nicht. Nicht schlimm.

Haben Sie den Eindruck, dass sich etwas in der italienischen Filmbranche tut, gerade was Filmemacherinnen anbetrifft, von Alice Rohrwacher über Paola Cortellesi hin zu ihnen… 

Margherita Vicario: Ich weiß nicht, ob ich mir da ein Urteil anmaßen kann. Ich unternehme ja gerade erst meine ersten Gehversuche und versuche herauszufinden, wer ich wirklich bin als Filmemacherin. Aber ich denke, dass ich großes Glück habe, diese Gehversuche zur jetzigen Zeit unternehmen zu können. Mein Eindruck ist, dass der Moment der richtige ist und wir die Gelegenheit beim Schopf ergreifen müssen. Jetzt können wir endlich unsere Geschichten erzählen. Manche sehen es als Trend und als Mode, aber ich denke, es kann uns gelingen, diese Entwicklung zu verfestigen. Wandel liegt in der Luft, auch in Italien. Ich bin bereit. Und ich kann nur sagen: Wir brauchen nichts dringender als weibliche Stimmen, weibliche Geschichtenerzählerinnen, weibliche Filmemacherinnen. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.