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Sandra Maischberger zu „Riefenstahl“: „Ein eigenständiges Kunstwerk“

Am 29. August wird „Riefenstahl“ von Andres Veiel auf der 81. Mostra in Venedig außer Konkurrenz gezeigt. Vorab haben wir uns mit Produzentin Sandra Maischberger über den Film und die Weltpremiere auf dem Lido unterhalten. Majestic Filmverleih wird „Riefenstahl“ am 31. Oktober in die deutschen Kinos bringen.

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Sandra Maischberger (Credit: Peter Rigaud)

Nicht jeder weiß, dass Sie längst auch als Produzentin tätig sind. Was macht „Riefenstahl“ in Ihrer Filmographie zu einem besonderen Projekt? Worin bestand für Sie die besondere Herausforderung?

Sandra Maischberger: Gegründet wurde unsere Produktionsfirma Vincent Productions im Jahr 2000, aber schon vorher haben wir unseren ersten Film gemacht, bei dem ich als Autorin und Produzentin beteiligt war, der 60-minütige Dokumentarfilm „Wenn der Kopf den Körper trägt“ über den halbseitig gelähmten Bergsteiger Éric Escoffier, den wir beim Besteigen eines Achttausenders filmisch begleitet haben, bevor er bei seiner nächsten Tour in den Tod stürzte. Seit der Gründung der Firma machen wir in guter Reihe Dokumentationen mit Spielanteil, also Dokudramas. Besonders hervorheben möchte ich „Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt“ mit Edgar Selge, den wir 2014 produziert haben – unser erster richtiger Ausflug in den Spielfilm. Erst relativ später kam dann das Kino dazu – unser erster Kinofilm war 2017 „Nur eine Frau“ mit Sherry Hormann als Regisseurin, der 2019 ins Kino kam. Das war schon eine besondere Aufgabe. Zeitgleich habe ich damals bereits angefangen mit der Arbeit an „Riefenstahl“. Daran lässt sich ablesen, welche Bedeutung dieses Projekt für mich hat. Er ist spät fertig geworden, weil wir unheimlich lange mit dem Nachlass von Riefenstahl und in anderen Archiven arbeiten mussten. Das allein schon hebt ihn in meinem produzentischen Schaffen heraus. Auch die Arbeit mit Andres Veiel war besonders, sehr interessant und für mich auch ungewöhnlich inspirierend, weil er ein herausragender Dokumentarfilmer ist und ein wirklich intellektueller Kopf, mit dem man sich gerne auseinandersetzt. 

Als Dokumentarfilmer zeichnet ihn aus, dass er keine Agenda verfolgt, dass er nicht Material anordnet, um eine vorgefertigte These zu untermauern. Vielmehr geht er ergebnisoffen an die Arbeit, seine Dokumentationen nehmen Gestalt an, während sie entstehen. 

Sandra Maischberger: Das beschreibt seinen Ansatz sehr gut. Es hat für mich eine Weile gedauert, zu erkennen, dass Andres den Film auch nach dem Treatment immer weiter offen entwickelt. Der gesamte Arbeitsprozess ist eine konstante Suche, bis zuletzt in die Recherche hinein. Ich habe von dem Film im Schneideraum bestimmt fünf oder sechs verschiedene Versionen gesehen, die oftmals stark voneinander abwichen, bevor wir dann die endgültige hatten. Das liegt genau an dieser Offenheit, die Sie benennen mit der Andres mit seinem Team an ihrem Film feilen. Einen hohen Anteil an diesem Schaffensprozess haben auch die Editoren Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer und Alfredo Castro Ortigoza. Der Film verändert sich bis zum allerletzten Tag. Das ist eine interessante und in dieser Form für mich neue Herangehensweise, die ich da erlebt habe – zugegebenermaßen anfangs mit einem gewissen Stirnrunzeln, aber ich finde, das Ergebnis steht absolut für sich. Es ist nicht nur eine politisch und psychologisch, sondern auch filmisch hochwertige Arbeit. „Riefenstahl“ ist ein eigenständiges Kunstwerk geworden und nicht einfach ein weiterer Dokumentarfilm über Leni Riefenstahl. 

„Es ist nicht nur eine politisch und psychologisch, sondern auch filmisch hochwertige Arbeit.“

Sandra Maischberger

Was zeigen Sie in dem Film, was neu ist, was man noch nicht über Leni Riefenstahl wusste?

Sandra Maischberger: Ein Stück Innenleben. Leni Riefenstahl ist sehr alt geworden, und sie hat es geschafft, bis zuletzt die Deutungshoheit über ihre Biographie zu behalten, indem sie auch durchaus wütend gegen alle vorgegangen ist, die ihrer Version ihres Lebens widersprachen, vor allem, wenn es ihre Rolle im Dritten Reich betraf. Es finden sich in ihrem Nachlass auch viele Spuren von Säuberung, sie hat ihn geglättet, Dinge entfernt. Aber dann finden sich beispielsweise diese Telefonanrufe, da hört man eine völlig unverstellte Leni Riefenstahl und das konterkariert das Bild, das sie in der Öffentlichkeit immer gegeben hat, doch sehr deutlich. Das ist einer der wichtigen Funde im Nachlass. Man lernt sie noch einmal auf eine ganz eigene Art und Weise kennen. 

Sie haben Leni Riefenstahl, damals 99 Jahre alt, selbst einmal gesprochen in einem aufsehenerregenden Interview, das Sie in der Dokumentation „Die Maßlosigkeit, die in mir ist“ festgehalten haben. Inwiefern hat dieses Erlebnis Ihre Arbeit an „Riefenstahl“ mit geprägt? 

Sandra Maischberger: Grundsätzlich, würde ich sagen. Ich habe das Interview geführt und es mir danach höchstens noch einmal angesehen. Es blieben viele Leerstellen, mehr Fragezeichen als Ausrufezeichen. Ich habe das Haus in Pöcking unbefriedigt verlassen, weil ich das Gefühl hatte, nicht an sie herangekommen zu sein, nichts von ihr erfahren zu haben. Insofern ist da immer ein blinder Fleck geblieben und damit auch eine Neugierde, ein ungelöstes Thema. Als ich erfuhr, dass ihr Lebensgefährte gestorben war, habe ich mich gleich um diesen Nachlass bemüht. Ich hatte in ihrem Haus gesehen, was es da noch alles gab. Das war sicherlich die Initialzündung für die Produktion dieses Filmes.

Leni Riefenstahl
„Riefenstahl“ von Andres Veiel (Credit: CBC)

Der Blick auf Leni Riefenstahl im Ausland ist ganz anders als bei uns in Deutschland. Glauben Sie, dass „Riefenstahl“ international anders rezipiert wird?

Sandra Maischberger: Eindeutig haben wir eine andere Geschichte mit Leni Riefenstahl als das Ausland. Aus guten Gründen haben wir uns viel stärker schon mit dieser Biographie und damit auch unserer eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt, als es das im Ausland der Fall gewesen ist. Ich würde aber trotzdem noch unterstreichen, dass der Umgang mit Leni Riefenstahl auch im Ausland kritisch ist. In den USA gibt es eine geteilte Rezeption von Leni Riefenstahl. Da gibt es einmal eine augenfällige Bewunderung. Quentin Tarantino sagte noch vor ein paar Jahren in einem Interview mit dem Spiegel, sie sei die beste Regisseurin, die jemals lebte. Gleichzeitig gab es aber immer schon auch wütende Proteste gegen diese Regisseurin. Sie reiste 1938 in die USA, um dort ihren Film „Olympia“ vorzustellen. Ihr Schiff erreichte New York, als die Welt gerade von der Reichspogromnacht erfahren hatte. Das hat dazu geführt, dass ihr auch in Amerika eine durchaus große kritische Ablehnung entgegenschlug. Aber es bleibt eine geteilte Sicht. Es gibt die, die nur das Werk sehen wollen, die große Künstlerin, die sie zweifellos auch war – ohne sich mit den Hintergründen zu befassen und mit der Frage, wie viel nationalsozialistische Ideologie auch in „Olympia“, ihrem meistgefeierten Film, steckt. In Deutschland ist es eindeutig so, dass wir ohne diese Frage nicht auf Leni Riefenstahl blicken können. Hier ist es unmöglich, den politischen Hintergrund zu leugnen, so sehr man auch ihre künstlerische Vision preisen mag.

„In Deutschland ist es unmöglich, den politischen Hintergrund zu leugnen, so sehr man auch ihre künstlerische Vision preisen mag.“

Sandra Maischberger

Es ist nicht ohne eine gewisse Pikanterie, dass Sie „Riefenstahl“ als Weltpremiere in Venedig zeigen werden, ein Festival, dass für die Propaganda des italienischen Faschismus eine große Rolle gespielt hat, in einem Land, dass aktuell von einer postfaschistischen Regierung geführt wird.

Sandra Maischberger: Es gibt viele Aspekte, die interessant sind. Der erste Präsident der Biennale in Venedig, Giuseppe Volpi, war ein glühender Faschist, ein Parteigänger Mussolinis, nach dem bis heute ein Preis benannt ist, die Coppa Volpi. Man kann den italienischen Faschismus zwar sicherlich nicht in jedem Punkt mit dem deutschen Nationalsozialismus gleichsetzen, vor allem nicht im Umgang mit den Künsten und der Moderne – da zeichnete sich der italienische Faschismus durch eine große Offenheit aus, was man vom Nationalsozialismus nicht behaupten kann. Leni Riefenstahl hatte ihre größten Erfolge auch mit in Venedig. Sie hat schon ihre erste Regiearbeit, „Das blaue Licht“, in Venedig gezeigt und gewann die Silbermedaille. 1935 gewann sie in Venedig für „Triumph des Willens“ den Preis für den besten ausländischen Dokumentarfilm. Für „Olympia“ wurde sie mit einer Coppa Mussolini ausgezeichnet. Sogar in den späten Fünfzigerjahren gab es noch eine Retrospektive für sie und ihre „Olympia“-Filme. Gleichzeitig fällt die Premiere unseres Films in Venedig in eine Zeit, in der es eine Ministerpräsidentin mit postfaschistischen Wurzeln gibt, die gerade das kulturelle Leben in Italien verändert. Unser Film ist gerade in dieser Zeit eine Art Déjà Vu, wir sehen eine Gegenwärtigkeit alter Motive, mit denen wir uns wieder auseinandersetzen müssen. Ich finde, dass unsere europäische Gegenwart unseren Film erschütternd aktuell macht, das Wiederaufleben von Krieg, von Imperialismus, von faschistischen und neonazistischen Idealen, Nationalismus in so vielen Ländern. Das ist eine brisante Mischung, weshalb ich unserer Premiere in Venedig mit gemischten Gefühlen entgegenblicke. Natürlich mit einer großen Freude, denn es ist eine große Ehre, den Film in diesem Rahmen präsentieren zu können. Gleichzeitig haben wir im Umfeld Landtagswahlen in Deutschland und europäische Wahlen gesehen, die einen beunruhigen müssen. 

Wie wird es nach Venedig mit „Riefenstahl“ weitergehen? Was erhoffen Sie sich, wenn der Film in die Kinos kommt? 

Sandra Maischberger: Wir planen den deutschen Kinostart am 31. Oktober. Bis dahin wird es noch das eine oder andere Festival geben, national wie international, aber nicht sehr viele, denn es ist keine allzu breite Zeitspanne. Wir werden natürlich auch die großen Städte mit unserem Film bereisen. Andres wird viel unterwegs sein, und wenn es meine Sendezeit zulässt, komme ich gerne mit dazu. Wir versuchen einfach, eine größtmögliche Öffentlichkeit für diesen Film zu finden. Es ist kein historischer Film alleine. Es ist ein Film, der, wenn man so will, auch viel über unsere Gegenwart erzählt. Das ist die Botschaft, die ich gerne damit verbinden möchte.

Das Gespräch führte Thomas Schultze.