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Lukas Nathrath: „Das zwischenmenschlich Ambivalente ist total meins”

Bei Alliance 4 Development von Locarno Pro waren Lukas Nathrath und Linus Günther mit „Bourgeoise Paranoia“ erfolgreich. Es ist nach „Letzter Abend“ ihr zweites gemeinsames Projekt. Wir haben mit Nathrath über Learnings gesprochen, wie man sich als Talent durchboxt und inwiefern Festivalerfolge bei der Karriere helfen können.

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Lukas Nathrath & Linus Günther freuen sich über den Preis bei Alliance 4 Development im Rahmen von Locarno77 (Credit: privat)

Große Freude herrschte bei Lukas Nathrath und Linus Günther: Der Regisseur und der Produzent der Hamburger Klinkerfilm haben beim Development-Programm Alliance 4 Development des Locarno Film Festival mit ihrem zweiten Spielfilmstoff, „Bourgeoise Paranoia“, den Alphapanda Market Breakout Award gewonnen. Bereits mit ihrem Debüt, der Tragikomödie „Letzter Abend“ über eine Abschiedsparty, die außer Kontrolle gerät, waren sie in Locarno erfolgreich und gewannen den First Look Award. Von „Bourgeoise Paranoia“ existiert aktuell ein erstes Treatment. Das Drehbuch schreibt Nathrath wie „Letzter Abend“ wieder mit Sebastian Jakob Doppelbauer, der auch Hauptdarsteller war. 

„Wir haben schon viele Ideen, die meisten Figuren festgelegt. Aber ich will nicht zu viel erzählen, weil doch alles noch sehr fragil ist“, so Nathrath beim Treffen in Locarno. Immerhin deutet er an, dass die Story episodisch ist und in und um ein Café in Hamburg spielt und dass es um verschiedene Menschen gehen wird, deren Wege sich innerhalb einer Woche kreuzen. „Alle Figuren erleben eine Form von Zurückweisung, haben Obsessionen und wollen sich rächen“, so Nathrath. Die Rollen sollen unter anderem mit Schauspielern besetzt werden, die bereits bei „Letzter Abend“ dabei waren, „weil die Zusammenarbeit einfach so schön war“, erzählt Nathrath. 

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Lukas Nathrath studierte an der Hamburg Media School (Credit: Nils Schwarz)

Auf das neue Projekt freut er sich, auch weil es ein „totales Geschenk“ sei, mit Sebastian Jakob Doppelbauer zu schreiben. „Es wird wieder ein Ensemblefilm. Ich liebe es, wie bei ‚Letzter Abend‘ Rollen für Leute zu entwickeln, die man nicht jeden Abend im deutschen Fernsehen sieht, aber die ganze tolle Theaterschauspieler sind und die durch unseren Film auch schon weitere Drehs bekommen haben.“ Sebastian Jakob Doppelbauer etwa spielte nach „Letzter Abend“ in etlichen Fernsehprojekten wie „Sachertorte“, „Legend of Wacken“ sowie Quotenhits wie „Polizeiruf“ und „Nord bei Nordwest“. „Er musste sogar beim Theater aufhören, weil er so viele Angebote erhielt“, so Nathrath. Zum Karrierepush trug auch Casting Director Marion Haack bei, die ihr Büro neben dem Schneideraum hat, in dem Nathrath damals „Letzter Abend“ schnitt und die sehr früh den Rohschnitt des Debüts sehen durfte, oder besser gesagt „musste“, und nicht nur von Doppelbauer begeistert war, sondern erkannte, dass da etwas ganz Besonderes entstand.

Durch die Reise mit „Letzter Abend“ hat Lukas Nathrath viel gelernt. „Wenn du sieben Tage, ohne Förderung, no budget drehst, musst du die Leute nerven. Man darf sie aber nicht zu sehr nerven, dass sie nicht mehr mit einem reden. Man muss immer die Gratwanderung schaffen“, so Nathrath in der Rückschau. Nicht nur Haack wurde über den Fortgang von „Letzter Abend“ auf dem Laufenden gehalten, auch von allen anderen aus der Bürogemeinschaft holte sich Nathrath Feedback ein. Nach drei sehr selbstausbeuterischen Jahren mit der Arbeit an „Letzter Abend“ hat sich auch für den Filmemacher, der an der Hamburg Media School studierte, vieles zum Positiven entwickelt. 

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Lukas Nathrath beim Dreh von „Letzter Abend” (Credit: Klinkerfilm)

Nachdem das Debüt 2023 in der Tiger Competition in Rotterdam Weltpremiere gefeiert hatte, erlebte es einen schönen weiteren Festivallauf (bis nach Melbourne und Shanghai), wurde mit Preisen bedacht (unter anderem beim Filmfestival Max Ophüls Preis und in Emden) und konnte dank Weltvertrieb Beta Cinema in ein Dutzend Länder verkauft werden. Filmwelt nahm ihn ins Verleihprogramm, nachdem sich Dario Suter von DCM und Jan Marc Maier von den Forum Cinemas Offenburg für ihn stark gemacht hatten und Christoph Ott auf den Film aufmerksam gemacht hatten (Maier war schon begeistert von Nathraths Kurzfilm „Kippa“, unterstützte daraufhin die Postproduktion von „Letzter Abend“ und will nun auch „Bourgeoise Paranoia“ mitfinanzieren). Mit viel Eigeninitiative und Unterstützung bewarben Nathrath und Doppelbauer ihren Film auf der Kinotour. „Wir verteilten Flyer, Sebastian spielte das Lied aus dem Film auf der Gitarre. So zogen wir durch die Städte und schafften es tatsächlich, dass die Leute in die Kinos kamen.“ 

„In der deutschen Filmbranche könnten wir besser darin sein, den Nachwuchs zu ermutigen.”

Positiv waren nicht nur die Reaktionen der regulären Kinozuschauer, sondern auch die Rückmeldungen von renommierten Filmemacher-Kollegen und Vorbildern wie Christian Schwochow, Ulrich Matthes, Jan-Ole Gerster oder İlker Çatak, die „alle wahnsinnig nett geschrieben hatten“, so Nathrath. „Das war eine Erfahrung, die ich noch nie gemacht hatte. In der deutschen Filmbranche könnten wir besser darin sein, den Nachwuchs zu ermutigen. Es fehlt oft das Positive. Es darf gerne auch konstruktive Kritik sein“, findet der Filmemacher. Mit dieser Bilanz im Rücken haben es Nathrath und sein Produzent Linus Günther beim Folgeprojekt nun glücklicherweise leichter. MOIN hat „Bourgeoise Paranoia“ mit einer Drehbuchförderung unterstützt. „Ich kann zum ersten Mal vom Drehbuchschreiben leben, muss nicht mehr auf Weihnachtsmärkten jobben oder als Second Unit Regisseur arbeiten, um über die Runden zu kommen“, erzählt er. An großen Sets hat er als 2nd-Unit-Director von den Serien „Davos 1917“ und „Herzogpark“ sowie als Schauspieler Erfahrungen gesammelt.

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„Letzter Abend” läuft am 22. August in der Reihe „Neue Stimmen” des Deutschen Filminstitut Filmmuseum (Credit: Klinkerfilm/Filmwelt)

Parallel schreibt er an einem weiteren Stoff, den er in der Münchner Drehbuchwerkstatt entwickelt hat und „hoffentlich mit Fortentwicklungsförderung“ in eine weitere Fassung gießen kann. Den eingeschlagenen Weg will Nathrath auf keinen Fall verlassen, obwohl er nach der jahrelangen Postproduktion von „Letzter Abend“ durchaus Burnout-Symptome verspürte: „Ich wusste immer, dass ich persönliche Filme machen will, Filme, an die ich glaube, mit denen ich meine Handschrift entwickeln kann. Dabei bleibe ich!“ Vorbilder sind für ihn Filmschaffende wie Maren Ade, deren „Der Wald vor lauter Bäumen“ er auswendig mitsprechen kann. Er liebt Filme wie „Casting“ von Nicolas Wackerbarth, „Oh Boy“ von Jan-Ole Gerster oder „In den Gängen“ von Thomas Stuber. „Solche Filme sind für mich eine krasse Inspiration. Ich liebe Tragikomödien, diese Balance zwischen Humor und Melancholie. Solche Filme gibt es in Deutschland zu wenig, weil hier doch oft die Tendenz entweder hin zu Filmen mit klarer (politischer) Botschaft oder zu teilweise glatten Komödien herrscht. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wären es mehr ambivalente Figuren. Das zwischenmenschlich Ambivalente ist total meins.“ 

Schön, wenn es talentierte junge Filmschaffende mit klarer Vision gibt. „Letzter Abend“ läuft übrigens immer noch hin und wieder im Kino. Heute, am 22. August, in der Reihe „Neue Stimmen“ beim Deutschen Filminstitut Filmmuseum in Frankfurt am Main.

Barbara Schuster