Ungeschminkt-authentisches Jugenddrama über eine 17-jährige Deutsch-Türkin in Berlin, die um ein kleines bisschen Chance im Leben kämpft.
FAST FACTS:
• Herausragendes Schauspieldebüt von Melia Kara – eine echte Entdeckung
• Durchbruch für Regisseurin Aslı Özarslan mit ihrem ersten Film seit acht Jahren
• Weltpremiere in der Reihe Generation der 74. Berlinale; zahlreiche weitere Festivaleinladungen
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 86 Minuten; Regie: Asli Özarslan; Drehbuch: Claudia Schaefer, Aslı Özarslan; Besetzung: Melia Kara, Jamilah Bagdach, Asya Utku, Nurgül Ayduran, Doğa Gürer; Verleih: jip film & verleih; Start: 5. September 2024
REVIEW:
Vorstellungsgespräche werden geübt in der Klasse. Hazal hört ihrem Mitschüler zu, wie dieser sich für einen Ausbildungsplatz als Erzieher bewirbt. Lächerlich sei das. Die Inbrunst, mit der ihr vorgeschwärmt wird, wie sehr es Herzenswunsch sei, Jungen und Mädchen zu toleranten Menschen zu erziehen und dass sie ans Grungesetz glauben sollen, findet die 17-Jährige befremdlich. „Was laberst du“, sagt sie zu ihrem Mitschüler, der sie doch nachdenklich stimmt, als er ihr in der Bewerbungssituation ehrlich sagt, dass er nicht viele Chancen in seinem Leben bekommen hat und er die zu schätzen weiß, die er bekommt. „Ich möchte den Kids ein Vorbild sein.“ Das sitzt dann doch, Hazal wirkt leicht irritiert, denn eine Chance will eigentlich auch sie bekommen. Ihre Betroffenheit wischt sie schnell weg. „Es gibt doch eh keine arabischen Erzieher in Deutschland“, ist ihr Fazit, als die Lehrerin wissen will, ob sie ihren Mitschüler einstellen würde.
Hilft ja nichts. Einen Job braucht man nun mal. Hazal schreibt ihren Lebenslauf, das Rechtschreibprogramm des Computers verunglimpft ihren Namen, aus Hazal wird „Hatzl“, aus dem Nachnamen Akgündüz „Agenda“. Bei Muttersprache gibt sie Türkisch und Deutsch an, dreht die Reihenfolge um, Deutsch und Türkisch. Sie bewirbt sich auf eine Stelle in der Altenpflege, ihr gefällt die Arbeit mit Menschen. Mehr als ein dreimonatiges unbezahltes Praktikum ist ohne Schulabschluss nicht drin. Hazal ist genervt. Der Job in der Bäckerei ihrer Mutter nervt erst recht, zumal zwischen den beiden eh meist dicke Luft herrscht. Scheiß Routine. Scheiß Gesellschaft, die es ihr so schwer macht.
Der alltägliche Rassismus kommt in scheinbar kleinen Dingen zum Vorschein. Leute, die ihren Namen nicht aussprechen können, die sie des Ladendiebstahls bezichtigen, die sie beim Wodkatrinken beobachten und mit einem Kopfschütteln „Muslime“ sagen hört. Zum Glück kann sie hin und wieder mit Mehmet in Istanbul chatten, und es steht ihr 18. Geburtstag ins Haus, den sie mit ihren Freundinnen in einem angesagten Club feiern will. Sie muss raus, raus aus den Zwängen. Doch auch hier läuft sie gegen eine Mauer. Die Türsteher lassen sie nicht rein. Es reicht. Was soll sie denn feiern? Dass sie Opfer sind? Die Situation eskaliert im U-Bahnhof. Der Vorfall löst eine Kurzschlussreaktion aus: Sie klaut Geld von ihren Eltern und reist Hals über Kopf nach Istanbul, zu Mehmet.
Wie Aslı Özarslan, die an der Filmakademie Baden-Württemberg Regie studierte, ihrer Hauptdarstellerin folgt, packt und fasziniert. Melia Kara ist fantastisch in ihrer ersten Rolle auf der Leinwand. Wie sie als Hazal das Gefühl zwischen Ablehnung durch die Gesellschaft und dem nicht so akzeptiert werden, wie man ist, durch die Familie rüberbringt, wie es ist, in einem Wechselbad zwischen zwei Kulturen zu tauchen, ist sehr authentisch. Es geht in „Ellbogen“ um ein Sich-fremd-Fühlen im eigenen Land, aber auch in der Heimat der Eltern, dort, wo Menschen ebenfalls nicht „automatisch“ so akzeptiert werden, wie sie geboren wurden, und um die Frage, wie man mit Taten weiterlebt, die sich nicht rückgängig machen lassen. Dass ihre Mutter Kurdin ist, weiß Hazal zum Beispiel gar nicht, „darüber wird in unserer Familie nicht gesprochen“, sagt sie zu Mehmets Mitbewohner. „Ihr Deutsch-Türken seid so naiv. Ihr habt keine Ahnung von irgendwas“, erwidert er.
Letztendlich geht es in dem Film, den Jamila Wenske mit ihrer Achtung! Panda produziert hat, auch um ein Sich-Finden als junge Frau in einem von Männern geprägten Umfeld, um Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden, keine Chance erhalten. Die Dialoge zwischen Hazal und ihren Freundinnen machen am meisten Spaß (die Adaption von Fatma Aydemirs Roman schrieb Özarslan gemeinsam mit Claudia Schaefer) überhaupt, wie die Filmemacherin ihre jungen Protagonistinnen einfängt. Ein Highlight ist die Szene, in der sich die drei Mädels für den Club-Abend zurechtmachen. In Nahaufnahmen sieht man sie bei Beautyritualen, wie sie sich Masken aufs Gesicht auftragen, sich schminken und ihre Arme und Dekolletés mit Goldpuder besprühen.
Dabei läuft „Von Party zu Party“ von SXTN (die eine Hälfte des Sängerinnenduos, Nura kennt man aus „Die Discounter“). Oder die Szene in Istanbul, als Hazal allein in einen Club geht, im selben Partyoutfit wie schon in Berlin, als sie scheiterte. Die Freude in ihrem Gesicht, als der Türsteher sie durchlässt. Sie schaut auf die in blaues und rotes Licht getauchte Tanzfläche, sie lächelt, Technobeats ertönen und befreit betritt sie die Tanzfläche, tanzt zunächst zaghaft, dann immer losgelöster. Es sind die kleinen Dinge, die Hazal glücklich machen. Bis die großen aus der deutschen Heimat sie einholen und die Frage nach Verantwortung stellen. „You have to decide who you are; and force the world to deal with you, not with its idea of you.” Wie es am Anfang des Films treffend heißt. Was auch ein ausgezeichnetes Resümee ist.
Barbara Schuster