Stacey Sher hat als Teil des Produzententrios von Jersey Films (mit Danny DeVito und Michael Shamberg) in den Neunzigerjahren mit Filmen von Quentin Tarantino und Steven Soderbergh Independent-Filmgeschichte geschrieben. Bis heute ist sie tätig, mittlerweile verstärkt im Serienbereich. In Locarno erhielt sie den Ehrenpreis.
Im Rahmen Ihres Ehrenpreises in Locarno wurde „Erin Brockovich“ wieder auf der großen Leinwand gezeigt. Sie und ihre Produzentenkollegen Danny DeVito und Michael Shamberg erhielten damals eine Oscarnominierung…
Stacey Sher: Die Kopie war fantastisch! Es ist der letzte Film, bei dem Steven Soderbergh mit einem Kameramann gearbeitet hat. Ed Lachman zeichnete für die Bildgestaltung verantwortlich und wurde auch für einen Oscar nominiert. Dann hatte Steven das Gefühl, selbst mehr über die Bildgestaltung lernen zu müssen. Er schätzte Ed sehr. Aber das war’s. Danach übernahm er selbst als Peter Andrews.
Vor dem Screening fragten Sie das gut gefüllte Auditorium, wer den Film kenne. Und so gut wie jeder hob die Hand. Wie fühlt man sich, wenn man erkennt, etwas so Vielgeliebtes produziert zu haben?
Stacey Sher: Das ist schon eine unbeschreibliche Erfahrung. Bei dem, was ich tue, kann man nicht so oft zurückblicken. Ich habe das Gefühl, dass ich in vielerlei Hinsicht in eine kreative Phase eintrete, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Als Produzent drängt man immer nach vorn. Als ob man einen Stein den Berg hinaufrollen würde, wie Sisyphos. So fühlt sich jeder einzelne Tag an, wenn man einen Film produziert. Momente des Innehaltens und Zurückblickens gibt es selten. Man denkt nicht darüber nach, weil man sich den Film damals in der Fertigstellung gefühlt eine Million Mal angesehen hat, dann geht man vielleicht noch in ein paar Kinos, um zu sehen, wie er bei den Leuten ankommt. Und dann legt man ihn für eine lange Zeit beiseite. Als ich jetzt in Locarno im Screening saß, war das sehr emotional. Die Namen von Leuten zu sehen, die großartige Mitarbeiter waren, wie Editorin Anne V. Coates, die nicht mehr unter uns ist, meine Freundin Margery Simkin, die den Film gecastet hat, meinen Freund Jeffrey Kurland, der für das Kostümbild verantwortlich zeichnete. Oder Philip Messina, mit dem ich gerade erst wieder gearbeitet habe. „Erin Brockovich“ war sein erster Film, bei dem er vom Art Director zum Production Designer aufstieg. Zu wissen, dass der Film so viele Menschen berührt hat, dass er unser Denken über soziale Missstände verändert hat, aber auch wirklich unterhaltsam war in der Art und Weise, wie wir über Menschen und unsere Fähigkeit zur Veränderung denken, ist mir in Locarno wieder bewusst geworden.
„Ich habe von tollen Frauen gelernt wie Debra Hill, Lynda Obst, Polly Platt, Laura Ziskin.”
Das Locarno Film Festival ehrt Sie für Ihr Lebenswerk. Was lieben Sie am Filmeproduzieren? Warum ist Produzieren genau Ihr Ding?
Stacey Sher: Ich möchte Menschen berühren. Wir sind doch Geschichtenerzähler, oder? Alle Menschen sind Geschichtenerzähler. Wir suchen alle nach einer Verbindung. Einer meiner Lieblingsfilme ist „Sullivans Reisen“ von Preston Sturges aus dem Jahr 1941. Es ist die Geschichte eines Komödienregisseurs, der seines Genres überdrüssig wird. Er beschließt, nur noch Filme zu machen, die tiefgründig sind und von ernsten Themen handeln. Für die Recherche seines neuen Films will er am eigenen Leib das wahre Amerika und die dunklen Probleme des Landes kennenlernen und gibt sich als Landstreicher aus. Schließlich landet er in einem Gefängnis. Er sieht so viel Traurigkeit, so viel Schmerz und so viel Kummer. Eines Abends dürfen die Gefangenen einen Film gucken. Es wird eine seiner alten Komödien gezeigt und bald biegen sich die geschundenen Gefangenen vor Lachen. Da erkennt er: Wir sind hier, um uns gegenseitig zu berühren! Als also in Locarno so viele Leute die Hand hoben und sagten, sie hätten „Erin Brockovich“ gesehen und seien nun wiedergekommen, ist das die Antwort auf Ihre Frage.
Es gibt nicht allzu viele Ehrenpreise, die die produzentische Leistung honorieren.
Stacey Sher: Deshalb bewegt mich diese Auszeichnung auch so. Unser Job ist ziemlich unsichtbar. Einige Mitglieder meiner Familie wissen immer noch nicht, was ein Produzent eigentlich macht. Ich hatte großartige Mentoren. Ich habe von tollen Frauen gelernt wie Debra Hill, Lynda Obst, Polly Platt, Laura Ziskin. Von der Drehbuchentwicklung hin zur Durchführung einer Produktion. Außerdem habe ich den von Ray Stark gegründeten Produktionskurs an der USC mitgemacht. Er hatte dieses Programm damals aufgelegt, weil er sah, dass die Leute nicht für den Job ausgebildet wurden, in den er selbst hineingewachsen ist. Wenn man Barbra Streisands Memoiren kennt, weiß man, dass Stark vielleicht nicht der netteste Mensch der Welt war. Aber er hat Talente erkannt. Er hat die Stoffe entwickelt. Er hat Regisseure entdeckt. Er sorgte dafür, dass seine Filme gut promotet wurden. Ihm machte keiner was vor in Sachen Budgets. Ich habe viel gelernt. Ich kenne mich aus, in allen Bereichen einer Filmproduktion, von Zeitplänen lesen über Vergütungspakete, der Aufschlüsselung im Bereich Ausstattung, wie viele Änderungen eine Garderobenabteilung braucht, wenn man einen Stunt macht, und man wägt ab, wie lange es dauert, die Kleidung zu trocknen, und wie lange es dauert, ein zusätzliches Paar Hosen herzustellen. Ich kenne mich aus in der Musik, der Tonmischung, dem Marketing, Vertrieb und PR. Der Preis in Locarno unterstreicht die Wichtigkeit unseres Jobs. Ich bin da, um meine Filmemacher und meine Autoren und mein Studio zu unterstützen. Es gibt dieses Sprichwort: „You have to know what you’re doing“.
Es hört sich nach dem spannendsten Job der Welt an…
Stacey Sher: Ich lerne dabei auch viel, jedes Projekt ist anders. Als wir zum Beispiel „Contagion“ drehten, kam ich mit Epidemiologen und Experten für Infektionskrankheiten in Kontakt. Ich war dann die Person, die man anrief, als die Coronapandemie über uns hereinbrach, weil ich die Nummern all der Experten in meinem Handy gespeichert hatte, die ich über diesen Virus fragen konnte. Als wir „Gattaca“ machten, lernte ich so viel über unsere DNA. Es gab nichts Erstaunlicheres, als dem Requisiteur, der den Schokoladenkuchen für Bruce Bogtrotter und Matilda in „Matilda“ gemacht hat, bei der Arbeit zuzusehen. Es war ein riesiger Schokoladenkuchen, damit Danny ihn aus einem bestimmten Winkel drehen konnte. Ich bin definitiv der glücklichste Mensch der Welt.
„Nach ‚Die Kehrseite der Medaille‘ sagte Steven Soderbergh, er müsse wieder ein Amateur werden, um sich wieder zum Profi entwickeln zu können.”
Man kämpft auch für Projekte, die sich nicht so leicht verkaufen lassen. Wie war das bei „Out of Sight“? Steven Soderbergh hatte davor eine Reihe von Filmen gemacht, die nicht erfolgreich waren.
Stacey Sher: George Clooney war als aller erster an Bord. Wir hatten „Schnappt Shorty!“ gemacht und uns dabei mit Elmore Leonard sehr gut verstanden. Wir bekamen also sein nächstes Buch, weil er der Meinung war, dass „Schnappt Shorty“ das erste Mal war, dass jemand wirklich gute Arbeit an seinem Werk geleistet hatte, mit Ausnahme von vielleicht „52 Pickup“. Scott Frank, der „Get Shorty“ adaptierte, ist einer meiner ältesten und engsten Vertrauten. Ich lernte ihn mit 21 Jahren in meiner ersten Arbeitswoche kennen. Seitdem sind wir Freunde. So haben wir also das Buch bekommen. Barry Sonnenfeld stand nicht zur Verfügung, um Regie zu führen. Also haben wir es einfach wieder mit Scott entwickelt. Das Drehbuch war spektakulär. George hat schnell zugesagt. Dann begannen wir, uns nach Regisseuren umzusehen. Wir hatten Vorstellungsgespräche in Dannys Haus. Die Leute kamen zahlreich und stellten ihre Ideen für ihre Vision des Films vor. Auch Steven kam. Er sagt oft, dass es zwei Arten von Regisseuren gibt. Es gibt diejenigen, die das Regieführen lieben, und diejenigen, die das Regieführen hassen. Er begann mit Ersterem und wurde zu Letzterem. Also hat er eine Zeit lang aufgehört. Nach „Die Kehrseite der Medaille“ sagte er, er müsse wieder ein Amateur werden, um sich wieder zum Profi entwickeln zu können. Jede Referenz, die er hatte, war perfekt. Er wurde uns von Casey Silver vorgeschlagen, der damals Universal leitete. Wir haben „König der Murmelspieler“ zusammen gemacht. Steven haute uns um. Wir sprachen über Referenzen wie „Das letzte Kommando“ von Hal Ashby, über eine kleine Hommage an „Wenn die Gondeln Trauer tragen“… Scott Frank und ich haben unsere eigene Hommage an „Shampoo“ in den Anfang des Films eingebaut, als er nach dem Vorstellungsgespräch den Mülleimer zertritt und die Krawatte abnimmt, was sehr der Szene ähnelt, als Georges Roundy die Bank verlässt und nach Geld fragt. Wir hatten also dieselbe Vision des Films und glaubten an ihn. Er wusste auch, dass wir ihn beschützen konnten, weil Danny Final Cut als Produzent hatte, was eines der großen Geschenke unserer Partnerschaft bei Jersey Films war. Es war ein wunderbarer Anfang.
Sie haben mit Soderbergh den vielleicht wichtigsten Film gemacht, der uns Covid verstehen ließ: „Contagion“…
Stacey Sher: Ich erzähle Ihnen eine lustige Geschichte. Wir wollten nämlich eigentlich Steven Bachs Buch über Leni Reifenstahl verfilmen. Wir sprachen mit Scott Burns, der „Contagion“ geschrieben hat, und dachten, wir würden alle einen Film über Leni Riefenstahl entwickeln. Doch Steven hatte irgendwann Zweifel, weil er nicht genau wusste, wer sich einen Film über Leni Riefenstahl ansehen wollen würde. Wir alle haben eine enorme Verantwortung gegenüber den Firmen, die uns Geld geben. Wir wollen keine Filme machen, die nicht funktionieren. Er ging also zu Scott und fragte ihn, ob er nicht noch was im Kopf habe. Scott kannte diesen Mann, der außergewöhnlich ist, allein sein Name ist außergewöhnlich: Dr. Larry Brilliant. Er ist Epidemiologe und hat bei der WHO zur Ausrottung der Pocken beigetragen. So nahm „Contagion“ seinen Lauf….
„Heute muss immer alles so schnell gehen. Wo ist die Zeit zum Träumen?”
Neben Soderbergh ist auch Quentin Tarantino eng mit Ihnen verbunden. Beides sind DIE Filmemacher, die das unabhängige Filmschaffen der Neunzigerjahre definiert haben. War ihnen denn sofort klar, dass diese beiden Vorreiter einer ganzen Generation sein würden?
Stacey Sher: Das hätte jeder erkannt! Sie sind einfach magisch! Brillant! Schauen Sie, wir sind doch im Alchemiegeschäft. Wir sind nicht in der Wissenschaftsbranche. Niemand will einen Film entwickeln, der kein Hit wird. Doch den einen Masterplan gibt es nicht. Die erste Zeile in William Goldmans großartigem Buch „Adventures in the Screen Trade“ lautet: „Nobody knows anything“. Es war die erste Lektüre, die ich in meinem Studium lesen musste. Man merkt einfach, wenn jemand eine Vision hat. Wissen Sie, wenn man sich fünf Minuten von Céline Songs „Past Lives“ ansieht, kann man ihre Vision spüren. Ich habe dieses Bauchgefühl, besser kann ich es nicht beschreiben. Vielleicht ist es meine Gabe, diese Talente zu erkennen.
Inwiefern unterscheiden sich Soderbergh und Tarantino in der Art der Herangehensweise?
Stacey Sher: Beide sind akribisch auf ihre Art. Jeder Filmemacher orientiert sich an eigenen Maßstäben. Man muss sich als Produzentin einfach in den Dienst der Person stellen und einen Weg finden, das Beste aus ihr herauszuholen. Es geht um den Filmemacher, aber manchmal geht es auch darum, wie man dem Film dient, und indem man dem Film dient, dient man auch dem Filmemacher.
Wenn Sie auf Ihre Anfänge als Produzentin zurückblicken und die heutige Realität betrachten: Wie hat sich die Branche verändert? Was sind die größten Herausforderungen?
Stacey Sher: Früher wurde unser Beruf vom System unterstützt. Die meisten Leute wie ich hatten Verträge mit Unternehmen, die einem nicht nur Büroräume und ein Team zur Verfügung stellten, sondern auch ein Gehalt zahlten. Man war krankenversichert. Und man hatte vor allem Zeit! Vergessen Sie den Luxus eines Entwicklungsbudgets, so wie wir einen Blind-Deal mit Quentin machen konnten. Das war die seltene Gelegenheit, mit einem außergewöhnlichen Autor-Regisseur zusammenzuarbeiten. Die Leute haben früher viel mehr mitgemacht, es gab eine Gemeinschaft. Wir waren eine Ideenfabrik, eine Fabrik, in der Fantasien leben durften. Heute muss immer alles so schnell gehen. Wo ist die Zeit zum Träumen? Alle stehen unter großem Druck. Es kostet eine Menge, einen Film herauszubringen. Ich habe enormen Respekt vor den Managern der großen Studios. Sie können nicht so viele Risiken eingehen, weil alles durch die Linse der Veröffentlichung der Quartalszahlen betrachtet wird. So hat sich die Welt also verändert. Und auch das Geschichtenerzählen. Ich schätze, ich bin wie Martin Scorsese von der alten Schule. Ich mag das Wort „Content“ nicht, weil es sich wie ein Wegwerfartikel anfühlt. Mein Mann ist in der Musikbranche tätig, und er sagt immer, in dem Moment, als die Leute eher bereit waren, 6 Dollar für eine Tasse Kaffee auszugeben als 1,99 Dollar für einen Song, kam die Kunst ins Wanken. Die Wertschätzung für Dinge hat sich geändert. Aber für mich gibt es nichts Magischeres als das Kino. Meine Tochter hat in ihrem ersten Jahr am College eine Arbeit geschrieben. Sie schrieb über die Faszination von Kino, weil das ein Bereich ist, den sie kennt. Und sie schrieb diesen Satz, den ich so tiefgründig fand: „Man geht mit einer Gruppe von Fremden in einen Raum, lacht zusammen, weint zusammen, und manchmal verliebt man sich sogar zusammen. Und man verlässt ihn verändert.“ Das finde ich magisch. Ich bin überhaupt nicht gegen andere Auswertungsarten! Wenn ich irgendwo auf Reisen bin und „Pans Labyrinth“ gerade nur auf einem Handybildschirm sehen kann, soll das so sein. Ich würde ihn trotzdem lieber auf einer Kinoleinwand sehen. Das ist einfach so!
Das Gespräch führte Barbara Schuster.