Die Crime-Geschichte „Wer ohne Schuld ist“ besticht durch ihre Provinz-Milieuschilderung von Gestrandeten, die Kino-würdigen Bilder und den wandlungsfähigen Aaron Hilmer sowie den heimlichen Star Johanna Götting.
FAST FACTS:
• „Wer ohne Schuld ist“ hat zwar ein Kommissarin, ist aber mehr Suchtdrama und Milieustudie
• „Niemand ist bei den Kälbern“-Regisseurin Sabrina Sarabi erzählt mit wertfreiem Blick einen Mord auf einem Dorffest
• Die Relevant Film Produktion für den SWR feierte Premiere auf dem Filmfest München 2024
CREDITS:
TV-Sender: SWR – Katharina Dufner (Redaktion); Produktion: Relevant Film Produktion – Heike Wiehle-Timm, Rieke Bubert (Producer); Regie: Sabrina Sarabi; Buch: Lilly Bogenberger, David Weichelt; Cast: Aaron Hilmer, Lou Strenger, Max Wolter, Johanna Götting, Sohel Altan Gol; Premiere: 2.7.24 Filmfest München
REVIEW:
Nur auf den ersten Blick ist der Crime-Film „Wer ohne Schuld ist“, der seine Premiere in der Sektion Neues Deutsches Fernsehen des Filmfests München feierte, ein klassisch öffentlich-rechtliches Sujet: Die junge Kommissarin Anita (Lou Strenger) kommt nach schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit zurück in die württembergische Provinz. Nach einem Dorffest in Dornbach ist der junge Mann Adam Yildirim tot. Sein Kopf wurde mit einem Stein eingeschlagen. Hauptverdächtigter ist der jetzige Freund (Aaron Hilmer) von Adams Ex-Freundin Isabella (Antonia Moretti), der wegen Eifersucht eine relativ kurze Zündschnur und dazu ein Alkoholproblem hat.
Aber „Wer ohne Schuld ist“ ist von der Regisseurin Sabrina Sarabi („Niemand ist bei den Kälbern“) mit Kino-würdigen Bildern erzählt. Auch liegt der erzählerische Fokus des Drehbuchs von Lilly Bogenberger und David Weichelt weniger auf der Polizistin als auf dem dörflichen Milieu und des Umfelds des verdächtigten Paul, der sich gerade wegen des Alkohols nicht mehr richtig an die Dorffestnacht erinnert, aber Blut auf seinem T-Shirt entdeckt. Nach „Luden“ spielt Aaron Hilmer hier wieder groß auf: Ähnlich wie schon Leonard Kunz im anderen Filmfest-München-Film „Ein Mann seiner Klasse“ ist es eine Figur, die auf Dorfebene hängen geblieben ist, sich in diesem Zwischenzustand der Orientierungs- und Kontrolllosigkeit aber eigentlich ganz wohl fühlt.
Es ist eine rohe und mitreißender Performance, die eigentlich bis zum Schluss rätseln lässt, ob er der Täter ist oder nicht. Hilmer zeigt einfach eine wahnsinnig große Bandbreite an Figuren: Von seinem Durchbruch als moderne rappende „Cyrano de Bergerac“-Version im Kino-Hit „Das schönste Mädchen der Welt“ über den schönen Zuhalter-Klaus in der Prime-Video-Serie „Luden“ bis eben jetzt zu Paul in „Wer ohne Schuld ist“.
Zusammen mit ihrem Kameramann Michał Grabowski findet Sarabi vor allem für die Liebeleien zwischen Paul und seiner Freundin Isabella Bilder, die in der Licht-Setzung melancholisch-romantischen Stimmungen aus Wong-Kar-wai-Filmen nacheifern. Auch das hat man seltener im klassischen ARD-Film. Vielleicht aber der Hauptunterschied ist, mit wie viel Empathie und Reiz diese Dorfclique der Gestrandeten und Taumelnden trotz der Alkoholprobleme und des potenziellen Mordes gezeichnet sind: Die nicht übermäßig komplexen Figuren, die perspektivlos die Zeit verstreichen lassen, wirken wie aus dem Leben gegriffen. Ihr Auf-der-Stelle-Treten wird nicht ohne eine gewisse Sympathie gezeigt. Das Ganze lebt von der Unmittelbarkeit und der Kraft der Slice-of-Life-Momente zwischen Kippen, geklauten Donuts und noch nicht ganz ausgetrunkenen Bierflaschen. Der Blick des Films auf die Figuren ist vor allem nicht moralisch wertend, sondern nach und nach enthüllend, was die tatsächlichen Vorkommnisse am Lagerfeuer anbelangt.
Heimlicher Star des Films, dessen Titel wie ein Bibelzitat klingt, aber noch allgemeiner gemeint ist und den Relevant Film Produktion („So laut du kannst“; Bernd Burgemeister Preisträger 2022) produzierte, ist die kleine Schwester von Pauls Saufkumpans in der Clique, der Johanna Götting mit nur wenigen Szenen eine einprägsame Präsenz gibt.
Michael Müller