Mehr als 100 Jahre ist es her, dass Deutschland den modernen Vampirfilm mit „Nosferatu“ erfand. Jetzt gerade entsteht eine richtige deutsche Vampirserien-Welle. Neuester Zugang ist das ZDFneo-Format „Love Sucks“, das heute auf dem Filmfest München Weltpremiere feierte.
FAST FACTS:
• Die ZDFneo-Vampirserie „Love Sucks“ ist Teil einer größeren deutschen Vampirserien-Welle
• Damian Hardung und Havana Braun spielen die von „Romeo & Julia“ inspirierten Hauptrollen
• Die Premiere war am 1. Juli auf dem Filmfest München in der Sektion Neues Deutsches Fernsehen
• Produzentische Kräfte hinter dem Projekt von Marc O. Seng sind Studio Zentral und die U5 Filmproduktion
CREDITS:
Produktion: Studio Zentral – Lasse Scharpen, U5 Filmproduktion – Katrin Haase, Oliver Arnold; Buch: Marc O. Seng (Headautor), Julia Penner, Thorsten Wettcke; Regie: Andreas Prochaska, Lea Becker; Redaktion: Petra Tilger, Nadja Grünewald-Kalkofen; ZDFneo-Koordination: Christiane Meyer zur Capellen; Cast: Havana Joy Josephine Braun, Damian Hardung, Rick Okon, Stipe Erceg, Dennis Scheuermann, Anne Ratte-Polle, Dana Herfurth, Lotte Engels, Edita Malovčić, Lisa-Marie Koroll; Weltpremiere: Filmfest München am 1.7.24; TV-Start: Vsl. Herbst 2024
REVIEW:
Ein wummernder, pulsierender, geradezu Carpenteresker Synthie-Score zieht einen rein in die düsteren Rummel-Bilder der neuen ZDFneo-Serie „Love Sucks“, die am heutigen 1. Juli ihre Weltpremiere auf dem Filmfest München feierte und 1980er-Nostalgiker mit dem vielversprechenden Beginn sofort an Joel Schumachers Klassiker „The Lost Boys“ denken lassen. Die Serie ist eine blutige, epische und mutige Angelegenheit geworden, die das wachsende Angebot an hochwertigen deutschen Serienformaten um „Der Upir“, „City of Blood“ oder eine gewisse ARD-Serie mit Vampirthematik gewinnend ergänzt.
In ihrer ernstgemeinten Form bietet „Love Sucks“ für Kritiker potenziell viele Angriffspunkte. Aber zuerst gilt es zu konstatieren, dass Headautor Marc O. Seng zusammen mit den beiden Produktionsschmieden Studio Zentral (Lasse Scharpen) und U5 (Katrin Haase, Oliver Arnold) hiermit einen großen und wilden Wurf gewagt und weitgehend verwandelt hat.
Die junge Kirmesboxerin Zelda (Newcomerin Havana Joy Josephine Braun) und der dandyhafte Vampir Benjamin von Greifenstein („Maxton Hall“-Superstar Damian Hardung) beginnen sich in einem Showkampf im Ring zu verlieben. Es ist ein zeitloser „Romeo und Julia“-Stoff, weil die beiden dazugehörigen Familien zu erbitterten Feinden werden: Hier die Schausteller-Familie um Vater Ilja (Stipe Erceg), dort die Vampirbrut um Obervampirin Katharina (Anne Ratte-Polle).
Klug Vampir-Mythologie für mehr Tiefe verarbeitet
Zusammen mit Julia Penner und Thorsten Wettcke hat Marc O. Seng im Writers Room den Familien nicht nur die Fehde in die Wiege gelegt, sondern das Ganze auch mit historischer Tiefe ausgestattet und klug in die Vampir-Mythologie verarbeitet. Es gibt nicht nur die Vampire, sondern auch deren legendäre Gegenparts, was die Liebesgeschichte noch deutlich interessanter macht. Auch traut sich „Love Sucks“ teils Jahrhunderte zurückzuspringen und erzählt die Figuren in einer Art parallelem Kostümdrama als Rückblende weiter, was leicht hätte lächerlich werden können, hier aber zum Beispiel Rick Okons Figur als diabolischer Bruder Theo von Greifenstein durchaus weitere emotionale Facetten verleiht.
Das Unglück entspinnt sich, als sich die Rummel-Boxerin Zelda heimlich auf den Orgien-Ball der Vampire schleicht und jemanden töten muss, um selbst zu überleben. Schon Ende der ersten Episode zeigt Regisseur Andreas Prochaska, der die ersten vier Episoden inszenierte – Lea Becker führte bei den letzten vier Episoden Regie – diese Party als einzigen Bilderrausch, in dem aus Gesichtern Fratzen werden, Menschen ausgetrunken und Körper im Rhythmus der Musik bewegt werden.
Bei der Weltpremiere auf dem Filmfest München waren die ersten beiden Prochaska-Episoden zu sehen, dazwischen gab es einen kurzen Zusammenschnitt von Episoden, um abschließend noch zwei der hinteren Becker-Episoden zu zeigen. Ein Luxus, den man sich häufiger bei der Präsentation von Serien im Festivalbereich wünschen würde. Wobei gerade auf diese Weise die Episoden mit der Kennenlernphase zwischen Zelda und Benjamin auf der Strecke blieben, sich das Publikum also in den Zwischenräumen denken musste, wie die beiden sich weiter annäherten.
Damian Hardung macht nicht auf Robert Pattinson
Wer aber denkt, Damian Hardung würde hier wie in „Maxton Hall“ wieder vor allem das begehrenswerte Eightpack sein oder gar Robert Pattinson in „Twilight“ als hauchender Schönling nacheifern, liegt falsch. Wobei es schon viele Zeitlupeneinstellungen von ihm gibt. Sein Benjamin leidet wegen eines dunklen Familiengeheimnisses am meisten am ewigen Leben als eher introvertierter Vampir. Selbst in der Liebe zur Boxerin Zelda hat er etwas Gequältes. Havana Joy Josephine Braun dagegen spielt mit viel Körpereinsatz und einer wachsenden Überzeugung für diese Beziehung.
Es sind aber andere, die in der Serie die Szenen stehlen. Lotte Engels zum Beispiel als Vampir-Küken Xandra von Greifenstein, die auf den Spuren von Kirsten Dunst in „Interview mit einem Vampir“ wandelt. Sie ist in ihrer Boshaftigkeit und mit einigen schönen Onelinern ausgestattet eine der am besten geschriebenen Figuren der gesamten Serie. Edita Malovčić als Ermittlerin Stefanie Breitschneider haftet etwas Magisches und Überlebensgroßes an, obwohl sie in den gezeigten Episoden gar nicht so viel Screentime hat.
Einer der größten Knackpunkte für ein Gefallen oder Nichtgefallen dürften die Dialoge der Vampire sein, die aufgrund des Alters natürlich angemessen antiquiert und zeitlos klingen müssen. Aber nicht wirklich erklärt wird, warum so mancher Austausch darüber hinaus auch so gestelzt und hölzern wie ein tödlicher Pflock ins Herz eines Vampirs sein muss. Die Momente machen die Serie nicht kaputt, aber sie kosten letztlich doch die höchsten Weihen, die das Format wegen der Atmosphäre in der Bankenstadt Frankfurt am Main, der Dunkelheit und Härte der Genreszenen sowie einiger wunderschöner melodramatischer Liebesspitzen noch mehr verdient hätte.
Michael Müller