Seit 14. Juni rollt der Ball bei der Fußball-EM in Deutschland. SPOT media & film blickt zurück auf die zweite Turnierwoche auf und neben dem Platz.
„Rechtzeitig eine vor den Bug bekommen“, schrieb mir ein Freund nach dem 1:1 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im letzten EM-Vorrundenspiel gegen die Schweiz am Sonntagabend auf WhatsApp. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Tatsächlich war ja nicht zu erwarten, dass die Nagelsmänner weiter so souverän agieren würden wie gegen Schottland; hatte sich ja schon gegen Ungarn phasenweise abgezeichnet.
Das EM-Fieber im Land steigt indes weiter. Nicht nur, dass die Fanfeste bei angenehmen Temperaturen aus allen Nähten platzen – beispielsweise beim Fanfest im Münchner Olympiapark wurden bis zum Sonntag insgesamt 300.000 Besucher gezählt; zum Achtelfinale kündigte OB Dieter Reiter eine Ausweitung der Fanzone um das Olympiastadion an. Auch im TV sorgte die Partie am Sonntagabend mit gut 25,5 Mio. Zuschauern für einen neuen Bestwert für das laufende Turnier. Der Gesamtmarktanteil lag bei über 73 Prozent, bei den 14- bis 49-Jährigen und den 14- bis 59-Jährigen fiel sogar die 80-Prozent-Marke.
Jetzt heißt es zumindest aus deutscher Sicht erstmal durchschnaufen bis zum Samstag, wenn es in Dortmund gegen Dänemark geht.
Am Tag zuvor war Dortmund wieder fest in der Hand der türkischen Fußballfans. 45.000, so die Schätzung von ZDF-Kommentator Oliver Schmidt, waren im Stadion, wohl noch Zehntausende mehr in der Stadt unterwegs. Genutzt hat der Support ihrem Team nichts; es unterlag 0:3 gegen Portugal. Für mich der Moment des Spiels: ein junger Fan rannte während des Spiels, verfolgt von Ordnern, zu Portugals Superstar Cristiano Ronaldo und der stellte sich ganz bereitwillig zu einem Selfie mit ihm auf. So arrogant CR7 manchmal auch rüberkommen mag, den Dreikäsehoch hat er glücklich gemacht. Apropos Flitzer: gleich fünf waren es in diesem Spiel. Gut, ähnlich wie ZDF-Experte Christoph Kramer kann ich ja mit dem Buben noch Verständnis haben, dass er seinen Idolen ganz nah sein will. Aber bei Erwachsenen kann ich da wirklich nur den Kopf schütteln.
Am Abend dann die Wiederauferstehung des Geheimfavoriten Belgien mit einem 2:0-Erfolg gegen Rumänien. Amüsante Randnotiz: im und um das Kölner Stadion durfte nicht nur das Sponsorenbier der Fußball-EM, sondern auch „local beer“, also Kölsch, verkauft werden. Allerdings in Halbe-Liter-Bechern, was wohl bestimmt nicht nur ich als Bayer ein wenig spooky finde. Den Düsseldorfern war es dem Vernehmen nach übrigens nicht gelungen, für ihr Alt-Bier bei den EM-Spielen eine Ausschankgenehmigung für das Stadion zu bekommen.
Ab Montag standen die Fußballfans an den Bildschirmen dann vor einer logistischen Herausforderung: um Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden, müssen die Spiele einer Gruppe am dritten und entscheidenden Vorrundenspieltag parallel ausgetragen werden – und wurden auch parallel von einem der öffentlich-rechtlichen Sender und RTL im Fernsehen übertragen. Mögliche Lösung: Laptop mit Livestream eines Spiels ohne Ton auf dem Schoß, das andere Spiel mit Ton im TV.
Verlierer dieses Spieltags war neben den Kroaten, die sich in der achten Minute der Nachspielzeit im Spiel gegen Italien noch den Ausgleich einfingen und den zweiten Platz und das sichere Weiterkommen ins Achtelfinale noch an die Squadra Azzurra abgeben mussten. Während diesen Krimi im ZDF mehr als elf Mio. Zuschauer verfolgten, schaffte es RTL mit dem Parallelspiel der bereits fürs Achtelfinale qualifizierten Spanier gegen Albanien beim Gesamtpublikum nicht einmal in die Top 25 des VGF-Rankings und blieb bei den 14- bis 49-Jährigen in beiden Halbzeiten unter der Zehn-Prozent-Marke.
Am Dienstag liefen hier permanent Meldungen im Verkehrsfunk, dass die dänischen Fußballfans mit ihrem friedlichen Fanmarsch zur Münchner Arena – mit „Erlaubnis“ der Polizei – ganze Straßenzüge lahm legen. Und das schon mehrere Stunden vor Anstoß des Spiels gegen Serbien.
Das gleiche Bild in Berlin, wo die niederländischen Fußballfans die Straßen in ein Meer aus Oranje verwandelten. Immer auf den Lippen, perfekt choreografiert: die Fanhymne „Links rechts“ der niederländischen Band Snollebolleks
Im Spiel gegen Österreich dürfte den Anhängern der Elftal das Feiern aber vergangen sein; Ralf Rangnicks Truppe sicherte sich mit 3:2 den Sieg in dieser wohl stärksten Gruppe des Turniers. Ein Spiel, dessen Liveübertragung mehr als die knapp 3,9 Mio. Zuschauer in der zweiten Hälfte bei RTL verdient gehabt hätte; in der ersten Halbzeit waren es gar nur 2,69 Mio. gewesen.
Zu Feiern wusste aber auch die türkischen und die georgischen Fans nach dem Einzug ihrer Teams ins Achtelfinale am Mittwochabend; in München sorgten die türkischen Fans mit einem hupenden Autokorso dafür, dass die Leopoldstraße rund um das Siegestor teilweise gesperrt werden musste.
Vor den Bildschirmen war dagegen zum Abschluss der Vorrunde – gejammert auf hohem Niveau – eine gewisse „EM-Müdigkeit“ festzustellen. So kamen sowohl das 21-Uhr-Spiel zwischen der Türkei und Tschechien als auch das 18-Uhr-Spiel zwischen der Slowakei und Rumänien im Ersten auf die jeweils niedrigsten Reichweiten, die mit einer öffentlich-rechtlichen Übertragung um die entsprechende Uhrzeit im bisherigen Turnier erzielt wurden.
Das wird sich am Samstag sicher wieder ändern, wenn die Nagelsmänner zu ihrem Achtelfinale gegen Dänemark antreten.
(Spielfeld-)Randnotizen
Luka Modric, Kroatiens wohl bester Fußballer aller Zeiten, wurde mit seinem Treffer zum 1:0 gegen Italien, 31 Sekunden, nachdem er einen Elfmeter verschossen hatte, gut zwei Monate vor seinem 39. Geburtstag zum ältesten Torschützen der EM-Geschichte.
Skurrile Situation in der Gruppe C: nach dem letzten Vorrundenspieltag standen Dänemark und Slowenien punkt- und torgleich mit der gleichen Anzahl geschossener Tore auf Platz zwei. Da auch der direkte Vergleich beider Teams unentschieden geendet hatte, musste eine Entscheidung, wer diesen behält und direkt ins Achtelfinale einzieht, und wer auf Platz drei abrutscht. So wurde die Fairplaywertung zurate gezogen, in die gelbe und rote Karten einfließen. Und da hatten die Dänen eine gelbe Karte weniger zu stehen als die Slowenen und wurden zum Achtelfinalgegner der Nagelsmänner. Aber auch die Slowenen zogen als einer von vier besten Gruppendritten in die nächste Runde ein.
Der Torschützenkönig des Turniers steht aktuell so gut wie fest: es ist der Herr Eigentor; schon siebenmal trafen Spieler seit dem 14. Juni ins eigene Netz.
Bei der Partie zwischen der Türkei und Tschechien wurden 18 gelbe Karten gezeigt. So viel wie noch nie in einem EM-Spiel.
Fazit nach der zweiten Turnierwoche
Die EM-Euphorie in Deutschland hält an, ob vor den Bildschirmen – auch wenn es dort zum Abschluss der Vorrunde eine kleine Delle gab – oder auf den Fanfesten und Straßen. Und das Schöne dabei: es wird – von sehr wenigen Ausnahmen einmal abgesehen – friedlich und ausgelassen miteinander gefeiert.
Topfavorit auf den Titel ist für mich Spanien, die als einzige mit der Maximalpunktzahl von neun durch die Vorrunde kamen und auch spielerisch zu überzeugen wussten. Neben dem deutschen Team unbedingt auch auf der Rechnung haben muss man Österreich. Das Team von Ralf Rangnick konnte sich in der vermeintlich schwersten Vorrundengruppe gegen Frankreich, die Niederlande und Polen als Gruppensieger behaupten – Chappeau!
Mein „Favorit der Herzen“: Georgien. Zum ersten Mal überhaupt bei einer EM dabei, schaffte es die von Ex-Bayernspieler Willy Sagnol trainierte Truppe ins Achtelfinale, wo jetzt allerdings die schier übermächtig scheinenden Spanier warten.