Gestern Abend erhielt Julia von Heinz im Münchner Cuvilliés Theater den Friedenspreis des Deutschen Films – Die Brücke für ihren Film „Treaure – Familie ist ein fremdes Land“. Gerade erst war sie zusammen mit Produzent Fabian Gasmia vom Tribeca Film Festival zurückgekehrt. SPOT media & film traf die beiden aktuell zum Interview.
Gerade erst haben Sie „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ auf dem Tribeca Film Festival in den USA vorgestellt, wo der Film im Anschluss von Bleecker Street in mehr als 650 Kino auf Platz 13 der US-Kinocharts gestartet wurde.
Fabian Gasmia: Dazu kommen zahlreiche weitere Kinostarts: in Holland, Israel, UK und Kanada. Am kommenden Wochenende folgt gleich noch Australien und Südafrika. Der Film wurde in mehr als 50 Länder verkauft, in allen Territorien hat er substanzielle Kinostarts. Für uns als Seven Elephants war einer der Gründe, warum wir diese Firma gegründet haben, dass wir spannende Geschichten aus Deutschland heraus erzählen und einen Weg finden wollen, wie wir sie für die ganze Welt erzählen können. „Treasure“ hatte Julia ganz zu Anfang in die Firma als eines ihrer kommenden Regieprojekte mitgebracht. Da steckte unser Ansatz sozusagen in der DNA der Geschichte. Es ist schön zu sehen, wie das aufgeht.
Julia von Heinz: Ich habe in New York mit vielen Kolleg:innen gesprochen, die uns ermutigt haben, unseren Weg weiterzugehen. Die internationale Kinoauswertung ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Jede Woche, die der Film im Kino bleibt, feiere ich, denn die Fenster sind in den USA teilweise nur noch eine Woche lang. Dass „Treasure“ dies überhaupt gelungen ist, ist für mich eine ganz große Freude. Natürlich wünsche ich mir sehr viele Zuschauer für meinen Film, aber noch wichtiger ist mir, dass wir überhaupt diese Präsenz haben im Kino. Das Kino muss weiter ein Ort kultureller Vielfalt sein.
Fabian Gasmia: Als minoritärer Produzent habe ich einen solchen internationalen Aufschlag schon mehrfach miterlebt, gerade erst mit „King’s Land“ von Nikolaj Arcel. Aber als majoritärer Produzent ist das Neuland für mich. Anfangs hat man verwegene Träume, da hält man auf ein oder zwei Blättern in Kurzform fest, was man erzielen, wo man hinwill. Dann hat man ein leeres Büro, ein Geschäftskonto, zahlt sein Stammkapital ein. In diesem Moment hat man sonst nichts. Außer dieser Idee. Außer den Herzensprojekten, wegen derer man die Firma gegründet hat. Sechs Jahre später erfüllen sich diese Träume mit den ersten internationalen Kinostarts von „Treasure“, die sich jetzt bis ans Ende des Jahres erstrecken.
Für den fertiggestellten Film begann, wie schon für die Seven-Elephants-Produktion „Sonne und Beton“ von David Wnendt, die Reise auf der Berlinale. Hatten Sie dort den Aufschlag, den Sie sich erhofft hatten?
Julia von Heinz: Im Großen und Ganzen kann ich das sicherlich bejahen. Wir hatten eine große Premiere mit unseren wichtigsten Cast- und Crewmitgliedern, fünf ausverkaufte Vorstellungen und eine große Sichtbarkeit.
Fabian Gasmia: Die Gala-Spezial-Sektion als solche ist toll: Man trifft auf ein großes Publikum. Man kann früh testen, wie ein Film ankommt. Im Fall von „Treasure“ hat das sehr gut funktioniert, weil das Publikum verzaubert war bei der Premiere. Früher hatte die Sektion mit dem Friedrichstadtpalast eine optimale Plattform. Wir sind nicht die Einzigen, die bedauern, dass es diese Spielstätte mitten in der Stadt nicht mehr gibt. Die neue Spielstätte für die Reihe, die Verti Music Hall, ist ein schöner Ort, liegt an der East Side Gallery aber etwas dezentral. Das kann passen. Bei den entsprechenden Filmen. Bei Filmen mit einem großen internationalen Star, der von einem Studio betreut wird, Filme also, die kurz danach ihren Kinostart haben. Bei großen deutschen Produktionen, die mit ihrem Team kommen. Weniger geeignet halte ich diese Spielstätte für deutsche Filme wie „Treasure“, der internationale Stars und Ansatzpunkte aus drei Kontinenten hat. Erstens hat man nicht genug Tickets, zweitens ist die Kommunikation schwierig, drittens muss man seine Stars bei leicht chaotischen Zuständen durch die Fans durchnavigieren. Vielleicht kann die neue Leitung das noch einmal überdenken und eine andere Lösung finden. Ich wünsche Tricia Tuttle einen Traumstart. Sie scheint genau die richtige Energie zu haben, den großen Tanker Berlinale auf Kurs zu bringen. Wichtig ist, dass ihr für die ersten Editionen mindestens der gleiche Etat zur Verfügung steht. Für einen großen ersten Aufschlag wünsche ich ihr von Herzen ein mehr an Budget, obwohl natürlich die Zeiten gerade nicht danach stehen. Aber für den deutschen Kinofilm ist die Berlinale als dessen wichtigstes Schaufenster unerlässlich.
„Mein Film ist ein Beitrag zur Erinnerungskultur“
Julia von Heinz
Julia von Heinz: Mir war es wichtig, mit „Treasure“ auf der Berlinale zu laufen. Mein Film ist ein Beitrag zur Erinnerungskultur. Erinnerungskultur wird aus guten Gründen staatlich gefördert, weil das Gedenken an den Holocaust zu unserer Staatsräson gehört. Diese Erinnerungskultur steht aktuell allerdings auf dem Prüfstand. Sie wird hinterfragt, speziell seit dem 7. Oktober letzten Jahres nunmehr von zwei Seiten. Wer die Erinnerungskultur schon immer abschaffen wollte, das ist die AFD. Das tut sie in Punkt 7 ihres Parteiprogramms, wo klar formuliert ist, dass man sich mit kultureller Förderung weniger auf die NS-Zeit, sondern mehr auf die positiven Aspekte deutscher Geschichte fokussieren will. Wenn die AFD mehr Sagen bekommt, wird es die Erinnerungskultur kaum noch geben. Mittlerweile wird sie aber auch in progressiven Kreisen immer schärfer kritisiert. Hier steht der Vorwurf im Raum, Erinnerungskultur unterstütze das staatliche Vorgehen Israels im Gazakrieg. Da wird ein Zusammenhang erstellt, der von uns selbstverständlich nicht intendiert wird, zumal diese Eskalation der Ereignisse in keinster Form absehbar war, als wir die Arbeit an unserem Film begonnen haben.
Mit dem frühen Auftritt auf der Berlinale wollten Sie sich dieser Diskussion stellen?
Julia von Heinz: Ich will Teil des Dialogs sein. Und ich will Erinnerungskultur verteidigen. Ich muss es auch verteidigen. Es ist nicht so, dass „Treasure“ glatt durchgewunken wird, schon gar nicht in der Filmkritik. Sondern er fordert uns heraus, uns zu bekennen. Gerade jetzt. Das fing auf der Berlinale an. Und ich möchte das. Ich stelle mich gerne in diesen teilweise eisigen Wind.
Fabian Gasmia: Der Film basiert auf wahren Erlebnissen der Schriftstellerin Lily Brett. Er spiegelt für uns durchaus unerwartet dicht, was unsere beiden Hauptdarsteller:innen erlebt haben in ihrer eigenen Vergangenheit in ihren eigenen Familien. Julias Film gelingt es auf zutiefst humanistische Weise, die Sprachlosigkeit einzufangen, die in der kleinsten Keimzelle des Zusammenlebens, der Familie, entstehen kann, wenn Hass, Fremdenfeindlichkeit, die Ablehnung des Anderen und das nicht mehr miteinander reden in der grausamsten und schrecklichsten Form unserer Geschichte geschehen. Da wir momentan Zeichen sehen, wo wir an die düstere Vergangenheit erinnert werden, ist es uns beiden ein tiefes Anliegen, dass wir ein Zeichen setzen und Farbe bekennen. Für einen Humanismus, für ein Miteinander. Und nicht für ein Gegeneinander.
Julia von Heinz: Der Film ist keine Aussage zu anderen transgenerationalen Traumata, die an anderer Stelle entstehen. Es sagt nichts darüber, was in Gaza passiert. Das ist nicht das Thema, war nicht das Thema. Das muss ein anderer Film tun. Er sagt nichts darüber, was gerade in Sudan passiert. Und auch nicht, was mit den Uiguren in China passiert. Dieser Film sagt etwas zu dem Thema, mit dem er sich befasst. Das ist mir auch wichtig. Für mich ist es nicht hinzunehmen, wenn „Treasure“ in Zusammenhänge gebracht wird, als würde er andere Unmenschlichkeiten rechtfertigen. Dagegen verwahre ich mich.
„Uns beiden ist es ein tiefes Anliegen, dass wir ein Zeichen setzen und Farbe bekennen.“
Fabian Gasmia
Fabian Gasmia: „Treasure“ bezieht Stellung zu einem ganz bestimmten Thema, das er ernst nimmt und dem er gerecht zu werden versucht. Er sagt aber wahrscheinlich und hoffentlich auch ganz universell etwas darüber aus, wie sich die Tochter eines palästinensischen oder sudanesischen Vaters fühlt, der das Grauen erlebt hat, aber nie darüber erzählen mag. Ich will mich nicht in den Mittelpunkt rücken, aber auch ich kenne das als Sohn eines algerischen Kriegsflüchtlings, dem es nicht möglich war, über das Schreckliche von ihm Erlebte zu reden. Deshalb halte ich unseren Film auch aus biographischen Gründen für sehr wichtig. Er erzählt von einem spezifischen Trauma, aber er tut das auf ganz universelle Weise. Julia hat einmal sehr schön gesagt: Wenn dieser Film auch nur ein Kind oder Elternteil dazu bringt, zum Hörer zu greifen und das Gespräch zu suchen, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, haben wir für uns erreicht, was wir uns als Ziel gesetzt hatten.
Wie waren die Reaktionen auf dem Tribeca Film Festival? Reagieren die Menschen dort anders, sprechen sie danach andere Themen an?
Julia von Heinz: Ich habe fünf Vorführungen beigewohnt. Bei der Premiere waren wir sehr stark im Kreis der Filmemacher:innen und Lily Bretts Familie. Bei den anderen Screenings kam ich dann sehr stark ins Gespräch, teils mehr als eine Stunde, erst im Saal und danach im Foyer. Gerade Menschen aus der zweiten und dritten Generation, die mit den Auswirkungen des Traumas auf ihre Familie konfrontiert sind und nunmehr in verschiedenen Filmen, nicht nur meinem, im Mittelpunkt stehen, waren stark vertreten und suchten den Austausch. Ich hatte eine Vorführung im Museum of Jewish Heritage, wo viele waren, die sich aufgrund ihrer eigenen Biographie in der Figur der Ruth Rothwax wiedergesehen haben. Eine Frau erzählte mir, dass sie das selbst mit sich gemacht hätte, was Ruth mit sich macht, eine Nummer zu stechen. Wir haben uns umarmt und miteinander geweint.
Fabian Gasmia: Immer wieder haben wir gehört: Diese Reise habe ich selbst gemacht. Die Menschen waren sehr berührt, ganz unmittelbar.
Julia von Heinz: Diese Erfahrung in New York bedeutet mir sehr viel. Solche Menschen konnte ich nur dort antreffen. Dass ich das erleben durfte, hat mich ungemein bereichert. Was nicht heißt, dass ich mich jetzt nicht darauf freue, den Film in Deutschland zeigen zu können. Im Land der Täter und Täterinnen wird die Rezeption sicherlich anders, aber nicht minder emotional sein.
Fabian Gasmia: Wir wollen den Film unbedingt auch denen zeigen, die geblieben sind oder zurückgekommen sind. Wir wollen zuhören. Wir wollen wissen, was sie denken. Ich glaube, da stehen uns sehr bewegende Momente bevor. Aber ebenso auch kritische und herausfordernde Momente, die ich ebenso begrüße. Wir wollen unseren Film zeigen und werden ihn verteidigen und erklären, einordnen. Wir suchen den Austausch, das Gespräch. Wie gesagt: das Miteinander, nicht das Gegeneinander.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.