Am Donnerstag kommt mit „Daddio – Eine Nacht in New York“ mit Dakota Johnson und Sean Penn ein klassischer US-Independent im Verleih von Leonine Studios in die deutschen Kinos. Wir nutzten die Gelegenheit, mit Autorin und Regisseurin Christy Hall über ihren starken Film zu sprechen.
Einen Film zu machen, der daraus besteht, dass zwei Menschen in Realzeit in einem Taxi sitzen und sich miteinander unterhalten, ist ein Wagnis…
Christy Hall: Dieser Film ist sehr kompliziert in seiner Einfachheit. Mir war das natürlich bewusst, von Anfang an. Es würde nicht einfach werden. Aber ich mag Herausforderungen. Als Künstler gibt mir das den nötigen Kick. Ich packe gerne Dinge an, von denen ich glaube, dass andere davor zurückschrecken würden. Ich mag es, wenn man mir sagt: Das ist doch unmöglich! Das Kino gibt es nun eine sehr lange Zeit. Vieles wurde schon gemacht, manchmal erscheint es einem undenkbar, noch neue Akzente setzen zu können. Dabei finde ich gerade in unserer Zeit, dass wir uns in einer Landschaft bewegen, die Neues ermöglicht, in der Neues machbar ist. Wir sollten experimentieren, an Orte drängen, an denen das Kino noch nicht war. Das Medium ist grenzenlos.
Aber dann doch auch immer eingeschränkt von einem Mangel an Zeit und Finanzen.
Christy Hall: Wir hatten einen sehr kurzen Dreh, das Budget war überschaubar. Die Produktion war so indie wie nur denkbar. Sony Pictures Classics kam als US-Verleih erst nach den Herbstfestivals an Bord. Wir mussten genau planen und überlegen, wie wir den Film innerhalb der gegebenen Parameter so innovativ und einfallsreich wie möglich umsetzen könnten.
Wie sah das aus?
Christy Hall: Zunächst habe ich an alte Schule gedacht. Das Taxi an eine Kuppel hängen und mit einem Van vorneweg von JFK nach Midtown fahren. Wäre schwierig geworden. Wir hätten immer nur in der Nacht drehen können, die Kontinuität wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, der Verkehr ein logistischer Albtraum. Ich wollte außerdem für die Schauspieler ein Umfeld schaffen, in dem sie konzentriert arbeiten konnten, sich aber trotzdem locker fühlten. Sean Penn sollte mal fünf Minuten Zigarettenpause machen können, Dakota Johnson sollte sich zwischendurch einen Kaffee holen können. Mir war es wichtig, dass sie sich wohl fühlten. Sie sollten nicht der Maschine dienlich sein. Die Maschine sollte ihnen dienlich sein.
„Die Schauspieler sollten nicht der Maschine dienlich sein. Die Maschine sollte ihnen dienlich sein.“
Sie sind also in eine Studiobühne ausgewichen – sieht man dem Film nicht an!
Christy Hall: Danke, das war der Plan. Wir haben überlegt, wie sich das umsetzen ließe. Green-Screen wäre eine Option gewesen, hätte aber unser Budget mühelos gesprengt. Bei den uns zur Verfügung stehenden Mitteln ein No-Go. Es ist ein sehr teures Verfahren. Und dann erhält man nicht einmal die Textur und Echtheit, die ich mir als Filmemacherin gewünscht habe.
Was war denn nun Ihre Lösung?
Christy Hall: Erst einmal haben wir so viel praktisch umgesetzt wie möglich. Die Szenen am Flughafen haben wir am Flughafen gedreht, das Auto auf der Straße ist das Auto auf der Straße. Am Schluss sind wir tatsächlich in Midtown. Alles im Taxi haben wir im Studio umgesetzt, mit Hilfe einer tollen neuen Technologie, nicht unähnlich einem LED-Volume, nur dass man verschiedene Panele einsetzt, die wie eine Rückprojektion eingesetzt werden, aber frei bewegbar sind. Mein Kameramann Phedon Papamichael hatte die Fahrt von JFK nach Midtown zuvor mit neun Kameras aufgenommen, die Aufnahmen konnten wir dann in 4K über die Panele wie gewünscht ausspielen. Es ist eine immersive Erfahrung für die Schauspieler. Wenn Sean im Studio am Steuer des Taxis saß, sah er um sich den Freeway und die Straßen von Manhattan. Am Monitor konnten Phedon und ich einstweilen checken, wie das alles aussah. Weil man Vordergrund und Hintergrund gleichzeitig einspielt, ist der Effekt ultrarealistisch. Ich bin sehr stolz auf das, was wir geleistet haben. Zumindest in den USA sind wir das erste Drama, das mit dieser Technologie gearbeitet hat.
Der Vorteil, wenn man zwei Figuren gemeinsam in einem fahrenden Taxi sitzen hat, liegt auf der Hand: Beide können nicht aussteigen, begegnen sich buchstäblich auf Augenhöhe und müssen das Drama miteinander ausmachen.
Chrissy Hall: Als wir erst einmal herausgefunden hatten, wie wir den Film drehen wollten und dass es möglich wäre, war die Zeit am Set einfach Klasse. Ich konnte mich voll und ganz auf die Arbeit mit Dakota und Sean konzentrieren. Wir konnten einfach spielen, konnten Spaß haben, konnten uns voll und ganz in das Drehbuch versenken. Ich komme aus der Welt des Theaters und war vor „Daddio“ etwas verunsichert, weil man mir erzählt hatte, wie viele Kameraschauspieler gerne improvisieren. Ich verstehe das und schließe auch nicht aus, dass es Projekte gibt, bei denen das gut funktioniert. Aber bei mir kommt es auf jede Silbe, auf jede Betonung an. Ich bin Dakota und Sean sehr dankbar, dass sie sich Wort für Wort an den Dialog gehalten haben, wie ich ihn geschrieben hatte.
War Ihnen das so wichtig, weil diese zwei Figuren Gestalten sind, die Sie tatsächlich kennen? Oder entstammen Sie einfach nur Ihrer Fantasie?
Christy Hall: Die Geschichte ist in keinster Form autobiographisch. Aber sie ist persönlich und geht mir sehr nah. Ist es nicht der Job von uns Geschichtenerzähler, einen Blick auf die Welt zu werfen und uns Gedanken zu machen, was uns auf den Nägeln brennt, was uns Menschen beschäftigt? Alles, was ich jemals geschrieben habe, hat einen solchen Ursprung. Oft sind es Sachen, mit denen ich seit Jahren schwanger gehe, die mich schon lange beschäftigen. Irgendwann kommt dann der Punkt, wo ich den Dialog förmlich in meinem Kopf höre und dann unbedingt auf Papier festhalten muss. Im Theater ist das fast die gesamte Miete: Figuren und Dialog. Ich mag diese Szenarios, in der sich zwei oder drei Figuren an einem Ort aufhalten und sich miteinander unterhalten. Viele der Geschichten, die aktuell in den USA erzählt werden, empfinde ich als seelenlos und ohne Rückgrat. Sie haben nichts zu sagen. Wir fürchten uns davor, in die Grauzonen vorzudringen. Aber dort hält sich die Menschheit auf. Das Kino hat immer schon die Poesie und Schönheit gefeiert, die sich in unseren Fehlern findet. Mir ist es wichtig, ehrlich zu sein, von echten Menschen zu erzählen. Darum ging es mir bei „Daddio“. Und darum wird es mir auch bei meinen kommenden Filmen gehen.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.