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REVIEW KINO: „Déserts – Für eine Handvoll Dirham“

Absurde Komödie über zwei Geldeintreiber, die durch die südmarokkanische Wüste kreuzen, um die Allerärmsten ihre Schulden begleichen zu lassen.

CREDITS:
O-Titel: Déserts; Land/Jahr: Frankreich, Deutschland, Marokko, Belgien, Katar 2023; Laufzeit: 125 Minuten; Regie, Drehbuch: Faouzi Bensaïdi; Besetzung: Fehd Benchemsi, Abdelhadi Taleb, Rabii Benjhaile, Hajar Graigaa, Faouzi Bensaïdi; Verleih: Camino; Start: 27. Juni 2024

REVIEW:
So ist das im Kino. Während der Film auf der Leinwand läuft, laufen im Kopf des Zuschauers immer gleich noch mehrere weitere Filme ab, reiht man ein, wägt man ab, setzt das Gezeigte mit dem in Zusammenhang, was man bereits gesehen und abgespeichert hat in seinem Leben, wenn man sich denn erinnern kann. Bei den ersten Bildern von „Déserts – Für eine Handvoll Dirham“ ging es zumindest mir so, dass gleich zwei Gedanken miteinander in Streit traten, als man erstmals Mahdi und Hamid sieht, wie sie in ihren fast identischen Anzügen in ihrem schrebbeligen Auto kreuz und quer durch die südmarokkanische Wüste pflügen. „Warten auf Godot“ sagt der eine Gedanke, weil diese aus weitem Abstand gefilmten Bilder so eine betont existenzialistisch-absurde Komponente haben. Vincent Vega und Jules Winnfield aus „Pulp Fiction“ sagt der andere Gedanke, noch so zwei schräge Vögel, die über Gott und die Welt diskutieren und sich wichtig haben, aber doch nur kleine Lichter sind, Handlanger und Fußsoldaten aus der zweiten Reihe. 

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„Déserts – Für eine Handvoll Dirham“ von Faouzi Bensaïdi (Credit: Camino Filmverleih)

Das sind nicht die schlechtesten Referenzen und einer der Gründe, warum man gleich ganz wach zusieht bei dieser abgründigen und immer etwas melancholischen Komödie. Dass der marokkanische Regisseur Faouzi Bensaïdi, der seinen Film in Deutschland erstmals auf dem letztjährigen Filmfest Hamburg vorgestellt hat, obendrein weiß, wie ein effektives Kinobild aussieht, noch dazu in raumgreifendem Scope-Format von 2,35 zu 1, trägt sicherlich ebenfalls dazu bei. Das hat eine ganz eigene Qualität, den Figuren immer aus gebührender Entfernung zuzusehen, also wollte man sie nicht stören bei ihren Aktivitäten, die mit zunehmender Spieldauer eine immer tragischere Dimension annehmen und sich zunehmend vom Boden der Realität verabschieden. Okay, Mahdi und Hamid sind keine Killer, aber schmutzige Aufgaben erfüllen müssen sie trotzdem, im Auftrag eines windigen Inkassobüros in Casablanca, das auf den schönen Namen „Taya Credit“ hört, Schulden eintreiben bei den Allerärmsten. Dass sie wiederum in ihrer Agentur wenig Ansehen genießen, ist Teil dieses Teufelskreises, mit dem der Kapitalismus selbst die Wüste Marokkos erreicht hat. 

Politische Realitäten werden nicht ausgeklammert, wie das auch bei einem Aki Kaurismäki nicht der Fall ist, der einem als weitere Referenz für den filmischen Ansatz Bensaïdis einfallen würde. Und doch will „Déserts – Für eine Handvoll Dirham“, besetzt unter anderem mit Fehd Benchemsi, einem der größten Stars des zeitgenmäßen marokkanischen Kinos, kein politischer Film sein, sondern ein elliptisch durch verschiedene Situationen erzählter Western, ein marokkanisches Roadmovie durch unbehauste, fremde Gegenden, eine Komödie mit unerwarteten tragischen Dimensionen, die schließlich unversehens links abbiegt, als ein aus dem Gefängnis geflohener Verbrecher zusätzlich in den Mittelpunkt der Handlung rückt und mit ihm ein mystischer Realismus Einzug hält, als würde der Film ganz nah heranrücken wollen an den Ursprung der titelgebenden Wüsten, vor unseren Augen und in den Seelen der Figuren, und sich darin verlieren. Wo gerade noch unablässig geplappert wurde, hält Sprachlosigkeit Einzug. Es wird gestorben. In einer Szene in „Frankenstein Junior“ müssen die Hauptfiguren eine Leiche ausgraben. „Es könnte schlimmer sein, es könnte regnen“, sagt Marty Feldman als Igor, um die schlechte Stimmung zu verbessern. Dann beginnt es zu regnen. So ähnlich ist das auch in diesem Film, wo wenig sicher ist, außer dass es immer noch schlimmer kommt, als hätten sich die Coens der Filmwelt von Terrence Malick bemächtigt. Und das mit Bildern aus Marokko, die faszinierend sind, weil sie einem eine fremde Welt zeigen, als hätte man sie immer schon gekannt. 

Thomas Schultze