Atmosphärisch beunruhigender Mysteryschocker über eine junge Frau, die in einem undurchdringlichen Wald Zuflucht findet in einer geheimnisvollen Hütte, die nachts von unerklärlichen Kreaturen belagert wird.
FAST FACTS:
• Regiedebüt von Ishana Shyamalan, die Tochter von M. Night Shyamalan
• Basierend auf dem Erfolgsroman „The Watchers“ von Horrorspezialist A.M. Shine
• Dakota Fanning Mania: Nach „The Equalizer 3“ und „Ripley“ die nächste starke Rolle
CREDITS:
O-Titel: The Watchers; Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 102 Minuten; Regie, Drehbuch: Ishana Shyamalan; Besetzung: Dakota Fanning, Georgina Campbell, Olwen Fouéré, Oliver Finnegan, Alistair Brammer, John Lynch; Verleih: Warner Bros; Start: 6. Juni 2024
REVIEW:
Versuch nicht zu sterben. Hat ein gelber Papagei von der Amerikanerin Mina gelernt, die den seltenen Vogel in einer Tagesfahrt von Galway nach Belfast bringen soll. Mina tauft ihn „Darwin“, und das macht natürlich Sinn, weil es schon bald auch darum gehen wird, dass die überleben werden, die sich am besten an die Umstände anpassen. Dass es besondere Umstände sind, erschließt sich gleich in den allerersten Szenen von „They See Us“, in einem Prolog, in dem man einen Mann mit wachsender Verzweiflung durch einen Wald stolpern sieht, angefüllt mit kargen Bäumen, deren Äste sich wie Skelette in den undurchdringlichen Nebel recken, immer wieder vorbei an demselben Schild: Point of No Return. Was der Mann zuletzt sieht, bevor er stirbt, erfüllt ihn mit nacktem Horror: Das sei doch unmöglich, ruft er. Dann blendet der Film auf Schwarz und hin zu Mina, die fortan in den Mittelpunkt der lange Zeit bizarren, rätselhaft anmutenden Handlung rückt.
Erst vor ein paar Monaten streifte eine Kamera zu Beginn eines Films ähnlich zielstrebig durch einen Wald, in Ryūsuke Hamaguchis Venedig-Hit „Evil Does Not Exist“. Ishana Shyamalan, 22-jährige Tochter von M. Night, geboren ein paar Jahre nach dessen größten Hit, „The Sixth Sense“, versucht, die These dieses Titels in ihrem Spielfilmdebüt zu widerlegen. Da ist etwas Unheimliches, Unerhörtes, Monströses, BÖSES, das die Menschen wie Meerschweinchen im Testlabor beobachtet. Mitten in dem bedrohlichen Märchenwald ist eine Hütte aus Beton, deren metallene Eingangstür sich mit vier Schlössern verriegeln lässt. Ein riesiges Panoramafenster ist tatsächlich ein Einwegspiegel, der den Blick von draußen nach drinnen freigibt, die „Watchers“ ungesehen jede Nacht ihre menschliche Beute studieren lässt. Tagsüber kann man raus, sich frei bewegen, Nahrung jagen, Früchte sammeln, sofern man keines der „Point of No Return“-Schilder passiert.
In dieses Szenario gerät Mina, als ihr Wagen mitten auf der Straße stehenbleibt, die durch den Wald führt. Im letzten Moment kann ihr die weißhaarige Madeleine den Weg in die Hütte weisen, bevor die Watchers aus ihren Löchern kommen und die Herrschaft über das Territorium übernehmen. Madeline ist am längsten in dieser Extremsituation, hat sich mit den Gegebenheiten arrangiert, ist voller guter Tipps und Hinweise, an welches Regelwerk man sich zu halten hat. Und hat diese weitergegeben an den jungen, latent aggressiven Daniel wie auch Ciara, deren Ehemann John es war, den man in den ersten Szenen des Films gesehen hat. Nun gibt sie ihr Wissen auch an Mina weiter, die nicht bereit ist, sich in die Gefangenschaft zu fügen. Ihr rebellisches Wesen, das ihr früher im Leben schon nicht immer der beste Weggefährte war, lässt es nicht zu. Und so tastet sich der Film mit ihr vor durch dieses rätselhafte Szenario, gibt Stück für Stück Antworten, ohne sich jemals richtig ausrechnen zu lassen.
Am Schluss hat der Film vielleicht den einen oder anderen Haken zuviel gemacht und an einem entscheidenden Moment zu sehr erinnert an die erste Folge der zweiten Staffel von „Lost“ („The Hatch“), und doch ist es ein beeindruckendes Filmdebüt, das die junge Shyamalan da vorlegt. Nicht ganz überraschend, weil sie als Regisseurin von sechs Folgen der ebenfalls zutiefst beunruhigenden und in ihrer Tonalität und Erzählung gar nicht einmal so unähnlichen Apple-Serie „Servant“ bereits gezeigt hat, dass sie ihr Handwerk von der Pieke auf gelernt hat. Und doch beeindruckt ihr Umgang mit filmischen Mitteln, wie sie mit Schärfen und Unschärfen spielt, wie sie immer wieder starke und eindringliche Bilder findet für ihre Adaption des Horrorbestsellers „The Watchers“ von A.M. Shine, wie sie eine ungute und beklemmende Stimmung erzeugt: Das warme, gelbe Licht aus dem Panoramafenster, umgeben von einem endlosen schwarzen Wald, vergisst man so schnell nicht.
Vor allem aber funktioniert „They See Us“ so gut, weil sich Dakota Fanning in der Hauptrolle den Arsch abspielt. Nach „The Equalizer 3“ und „Ripley“ ist dieser Film nun der nächste Schritt in kurzer Abfolge auf dem Weg zu ihrer verdienten Renaissance, die mit der Rolle der Squeaky Fromme in „Once Upon a Time in… Hollywood“ begonnen hatte. Was für eine interessante Schauspielerin sie geworden ist, so uneitel und unbemüht, aber doch immer elektrisierend: Nie trägt sie dick auf, nie übertreibt sie in der Wahl der Mittel, und doch gelingt es ihr im Rahmen dieser unerklärlichen Mysterygeschichte, eine Figur zu formen, deren Weltschmerz mit Händen greifbar erscheint. Versuch nicht zu sterben. Als Zuschauer stimmt man alsbald ein in dieses Mantra.
Thomas Schultze