Mit „King’s Land“ legt der dänische Regisseur einen Ausnahmefilm vor, ein historisches Epos mit Mads Mikkelsen, das bei der 80. Mostra in Venedig umjubelt wurde und nun im Verleih von Plaion endlich in die deutschen Kinos kommt. Wir trafen den Filmemacher in Berlin.
Nach mehr als einem Jahr geht die Reise von „King’s Land“ langsam zu Ende. Was waren die in Ihren Augen wichtigsten Etappen, die Sie zurückgelegt habem?
Nikolaj Arcel: Es ist immer schwer, das erste Mal zu toppen. Bei „Die Königin und der Leibarzt“ war der größte Kitzel für mich, den Film auf der Berlinale zu zeigen. Diesmal war es nicht anders. Ich weiß, das klingt etwas absurd, aber Venedig war gleich der Höhepunkt. Wir waren danach auf vielen anderen großen Festivals, Telluride, Toronto, aber Venedig war etwas Besonderes, bedeutet mir sehr viel. Es war das erste Mal, dass ein richtiges Publikum den Film zu sehen bekam. Es war keine Testvorführung, es kein privates Screening für die Produzenten. Für mich war es elektrisierend. Danach beginnt die Arbeit. Verstehen Sie mich nicht falsch. Das liebe ich auch, speziell wenn ich auf den Film so stolz bin wie auf „King’s Land“. Aber da geht es dann darum, dass der Film die Runde macht, er sich herumspricht, sein Publikum findet. Das ist in Ordnung. Es ist leicht, wenn die Menschen den Film mögen. Deshalb war es eine Freude, mit „King’s Land“ zu reisen. Aber jetzt bin ich fast fertig, die Welttournee ist vorbei, und ich fange bereits an, mich zu lösen und dem nächsten Projekt zuzuwenden.
Fällt es Ihnen schwer, ein Projekt loszulassen, nachdem es Sie so lange begleitet hat?
Nikolaj Arcel: Die Misserfolge kann ich schwerer loslassen als die Erfolge. Bei einem Film, auf den ich stolz bin, weil ich weiß, dass er etwas geworden ist, kann ich sagen: Das war’s, gute Erfahrung. Next. Die Kröten beschäftigen mich mehr, belasten mich. Sie sind wie schlechte Liebesaffären. Über die denkt man sein ganzes Leben lang nach, was man falsch gemacht hat, was nicht funktioniert hat. Die guten sind einfach nur schöne Erinnerungen.
Ich gehe einmal davon aus, dass Sie „King’s Land“ zu den schönen Erinnerungen zählen, und das zurecht. Aber wie jedes Projekt, das ein Filmemacher beginnt, ist es zu Beginn ein Glaubenssprung. Man hofft, dass der Film so gut wird, wie man ihn sich vorstellt. Gab es bei „King’s Land“ einen Punkt, an dem Sie wussten, dass Sie auf dem richtigen Weg sind?
Nikolaj Arcel: Die große Tragödie für uns Regisseure ist es, dass wir niemals in der Lage sind, einen Film so zu erleben, wie er vom Publikum gesehen wird. Deshalb geht es zumindest mir so, dass ich es nicht wirklich weiß, bis ich einen Film herzeigen kann. Ich kann aber sagen, dass ich alles tue, dass ich hart arbeiten werde, um dem Publikum den bestmöglichen Film zu zeigen. Man schreibt ihn, man dreht ihn, man setzt ihn zusammen im Schneideraum, wo ein Film dann wirklich zu einem Film wird. Aber zu keinem Zeitpunkt kann ich wirklich genau sagen, wie das Publikum ihn dann wahrnehmen wird, was er mit einem Zuschauer anstellen wird. Man denkt, dass er gut ist. Deine Freunde sagen dir, dass er gut ist. Aber ist er es wirklich? Hmm. Vielleicht… Wenn man es wüsste, würde man immer gute Filme machen. Man kennt jedes noch so kleine Detail, aber man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Also müssen Sie auf das erste Screening warten.
Nikolaj Arcel: Wenn der Film dann ankommt und es gute Besprechungen gibt, weiß man, dass die nächsten Monate angenehm werden. Das ist nicht immer so, wie ich aus leidvoller Erfahrung sagen kann. Von den sechs Filmen, die ich bisher gemacht habe, sind drei das geworden, was ich machen wollte. Vielleicht nicht exakt das, was ich mir ursprünglich vorgestellt hatte, aber doch sehr nah an meiner Ambition. All die Ideen, die ich rüberbringen wollte, finden sich klar formuliert wieder. Bei diesem Film wollte ich beispielsweise von einem Mann erzählen, der so ambitioniert und besessen davon ist, jemand Wichtiges zu werden, dass er nicht realisiert, was seinem Leben wahre Bedeutung gibt, dass ihm Liebe und Freude beinahe durch die Finger rinnen. Wenn das rüberkommt, habe ich meine Arbeit richtig gemacht. Das werte ich als Filmemacher als Erfolg. Aber natürlich spricht man immer auch mit vielen Leuten und zuckt mit den Achseln, was sie in einem Film gesehen haben.
Gilt das auch für „King’s Land“?
Nikolaj Arcel: Immer wieder kommen Leute zu mir und sagen, der Film sei ein Western. Bitte schön? Ein Western? Das war nicht meine Absicht. Ich wollte ein historisches Epos machen. Lean. Selznick. So was in der Art.
Na, hören Sie mal! Es geht um die Frontier, die Anfänger einer Zivilisation. Das ist doch John Ford pur. Außerdem sitzt ihr Held auf einem Pferd!
Nikolaj Arcel: Na gut, ich gebe mich geschlagen. Ist „King’s Land“ halt ein dänischer Western.
Sollte er aber nicht sein?
Nikolaj Arcel: Sollte er nicht.
Wenn Sie den Film jetzt ansehen, erkennen Sie dann noch die Absicht, die am Anfang dahintersteckte?
Nikolaj Arcel: Ganz deutlich. Zwei Mal ist mir das in meiner Karriere bisher passiert, dass sich alle Einzelteile perfekt ineinandergefügt haben. Ich mache mir da nichts vor. Ein Großteil davon ist pures Glück, aber es hat einfach alles gepasst: die Geschichte, das Drehbuch, die Besetzung, die Crew, die Locations, der Dreh. „King’s Land“ und „Die Königin und der Leibarzt“, das sind die beiden Filme. Alles lief nach Plan. Das gibt es nicht oft. Ich schätze mich sehr glücklich. Vielen Kollegen ist nicht ein solches Projekt nie beschieden. Ich hatte es bereits zweimal.
Was kann schon schieflaufen, wenn man Mads Mikkelsen besetzt?
Nikolaj Arcel: Man könnte den Gegenspieler falsch besetzen. Schon funktioniert der Film nicht mehr. Da kann auch Mads Mikkelsen nichts retten. Er wäre immer noch gut, weil er immer gut ist. Aber der Film? Da braucht man mehr als nur Mads. Bei „King’s Land“ waren wir vom Glück geküsst. Jeder Schauspieler war goldrichtig.
Wie viel von Ihnen steckt in dem Film?
Nikolaj Arcel: Für mich ist es ein sehr persönlicher Film. Ich erkenne mich wieder in Ludvig. Wie er war ich ein sehr ambitionierter Mann, habe sehr hart gearbeitet, weil ich einfach nur Filme machen wollte. Ich bin sehr spät Vater geworden, habe geheiratet, eine Familie gegründet. Das war erst vor vier Jahren, da war ich Ende Vierzig. Jetzt habe ich zwei Kinder. Davor hat sich mein Leben nur um Filme gedreht, wie Ludvig ebenfalls ein besessener, verbissener Mensch ist, der erst im Lauf des Films lernt, was es bedeutet, ein Vater zu sein und jemanden zu lieben. Ich kenne das. Ich kenne diese Verbissenheit, diese krankhafte Ambition. Rückblickend kann ich es sagen: Besonders gesund ist es nicht, so besessen nur von einer Sache zu sein.
Hätten Sie „King’s Land“ machen können, wenn Sie diese persönliche Erfahrung nicht gemacht hätten?
Nikolaj Arcel: Ich glaube nicht. Das Verrückte ist, dass ich ein besserer Filmemacher geworden bin, seitdem ich nicht mehr so versessen bin. Ich bin sehr dankbar dafür. Freunde haben zu mir gesagt, dass ich mehr Empathie besitze, seitdem ich Vater geworden bin. Das hängt damit zusammen, dass man als junger Vater in allen anderen Menschen sieht, dass sie irgendwann einmal ein Kind waren. Man ist offener, nimmt die Dinge stärker war, anstatt sich in seinem Kopf zu verschanzen. Für einen Filmemacher ist es das größte Geschenk: mehr Mitgefühl! Berichtigen Sie mich, aber ich sehe „King’s Land“ als meinen emotionalsten Film. Weil ich selber ein emotionalerer Mensch geworden bin.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.