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REVIEW KINO: „Dream Scenario“

Kuriose schwarze Komödie mit Nicolas Cage als Jedermann, der ohne sein Wissen in den Träumen anderer Menschen auftaucht.

CREDITS:
Land/Jahr: USA 2023; Laufzeit: 102 Minuten; Regie & Drehbuch: Kristoffer Borgli; Besetzung: Nicolas Cage, Julianne Nicholson, Michael Cera, Tim Meadows; Verleih: DCM; Start: 21. März 2024

REVIEW:
Die Rückkehr von Nicolas Cage aus den Niederungen minderwertiger Direct-to-Video-Ware, in die sich der exzentrische Oscargewinner selbst bereitwillig begeben hatte, nachdem seine zwischenzeitliche Ära als Jerry Bruckheimers goldener Junge von 1996 bis 2010 verklungen war, ist eine der erstaunlicheren Erfolgsgeschichten der jüngeren Zeit, übertrifft sogar noch die so genannte „McConaisance“, mit der sich Matthew McConaughey zu Beginn der Zehnerjahre aus der Asche der Vergessenheit erhoben hatte. Dabei ist Cages Comeback besser beschrieben als „Wiederentdeckung“, denn gerade die viel gepriesene Furchtlosigkeit des 60-Jährigen, auch in den Niederungen des C-Films stets mehr als alles zu geben, mag dazu beigetragen haben, dass eine neue Generation von Filmemachern auf den zwischenzeitlich einmal bestbezahlten Star Hollywoods aufmerksam wurde und mit ihm arbeiten wollte. 

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Nicolas Cage ganz ungewohnt in „Dream Scenario“ von Kristoffer Borgli; Foto: DCM

Ihr Referenzspektrum ist eben nicht „The Rock“ oder „Das Vermächtnis der Tempelritter“, sondern gerade die neueren wilden Schauspielvolten wie in Panos Cosmatos‘ „Mandy“ oder Richard Stanleys Lovecraft-Verfilmung „Die Farbe aus dem All“. Wildes Augenrollen und hemmungsloses Overacting sind für sie kein Ausschlusskriterium, sondern glühende Empfehlung; altbekannte Eskapaden wie das Verzehren echter Küchenschaben in jungen Jahren beim Dreh von „Vampire’s Kiss“ werden als Hinweis auf tausendprozentigen Einsatz gewertet und nicht als Zeichen besorgniserregender mentaler Instabilität. 

Nach „Pig“ und „Massive Talent“ ist „Dream Scenario“ bereits der dritte Meilenstein in kurzer Abfolge auf dem Weg zum Rebranding von Nicolas Cage zum Kultschauspieler der Generation „Everything Everywhere All At Once“, der Gottvater und MacDaddy der „Zero fucks given“-Attitüde. Wer an Karma glaubt, mag es als unausweichlich ansehen, dass der Cousin von Francis Ford Coppola zu Kristoffer Borgli finden würde, dem in Norwegen geborenen Filmemacher, der vor zwei Jahren mit seinem pechschwarzen Debüt „Sick of Myself“ in Cannes hohe Wellen schlug und sich damit in Stellung brachte als „total filmmaker“ in der Tradition eines Ken Russell, irgendwo im Spannungsfeld zwischen begnadetem Wahnsinn und Enfant terrible. 

In jedem Fall arbeiten der Regisseur und sein Star in perfekter Eintracht miteinander, um mit einer exaltierten, aberwitzigen und manchmal einfach nur witzigen Version von Hitchcocks „Der falsche Mann“ bisweilen buchstäblich die Schwerkraft aufzuheben und das Leben eines Jedermanns aus den Fugen geraten zu lassen. Das Genie von „Dream Scenario“ ist, Nicolas Cage als unscheinbaren Biologieprofessor und Familienmann zu besetzen, ein langweiliger Spießer mit Glatze und Vollbart, stets gekleidet in der grauen Uniform der Armee der Verlierer. Der Wahnsinn ist nicht Paul Matthews. Er geschieht um ihn herum.

Aus unerklärlichen Gründen erscheint dieser Otto Normalverbraucher immer mehr Menschen in ihren Träumen, zunächst als unbeteiligter Beobachter am Rand, später immer mehr als aktiver Partizipant und sogar als übergriffiger Vergewaltiger. Was dazu führt, dass der Mann, der keiner Fliege etwas antun könnte, ein Geächteter wird, von der Gesellschaft ausgestoßen, von seiner Frau verlassen, von den Kollegen wie eine heiße Kartoffel fallengelassen. Und von einer kleinen Gruppe Renegaten im Internet gefeiert, was Matthews etwas werden lässt, was er niemals werden wollte – eine Berühmtheit, was, wie man auf „Sick of Myself“ weiß, im Kino von Kristoffer Borgli zu wieder ganz eigenen Problemen führt. 

Es ist ein verblüffendes Kinoerlebnis, das mit brillanter technischer Umsetzung und genussvoll subversiver Erzählung stets geschickt die Balance hält zwischen Traum und Realität und dabei einen filmischen Raum schafft, in dem stets alles passieren kann und, wie man schnell merkt, alles passieren wird. Nicolas Cage – ausgerechnet! – wiederum sorgt für Erdung und Bodenhaftung, ist ein Sympathieträger im Auge des Sturms und Blitzableiter für die vielen Ideen und Überlegungen, mit denen „Dream Scenario“ sich ranschafft an Themen wie Identität, Normen und Cancel-Culture, immer mit einem zwinkernden Auge und dem Schalk im Nacken. 

Thomas Schultze