Seit Dezember 2023 ist André Naumann, vormals Herstellungsleiter und Chef-Producer beim MDR in Leipzig, Geschäftsführer der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM). Im Interview mit SPOT formuliert er die Ziele, die er kurz- und mittelfristig umsetzen will.
Beim Deutschen Filmpreis waren auch mit MDM-Fördermittel entstandene Filme siegreich, nämlich „Die Theorie von Allem“, der dreifach abräumte, und „Sieger sein“, der als bester Kinderfilm ausgezeichnet wurde. Marc Hosemann hatte Chancen auf die Lola als bester Darsteller in „Sophia, der Tod & ich“, ebenfalls ein Film, der zu Teilen in Mitteldeutschland gedreht wurde. Was macht diese Filme in Ihren Augen besonders?
André Naumann: Mit der Ausbeute beim Filmpreis sind wir sehr zufrieden. „Die Theorie von Allem“ ist ein sehr spezieller Film, Arthouse in Reinkultur, mitspektakulären Schwarz-Weiß- Bildern im Cinemascope-Format. Ein großer, ungewöhnlicher Film, der von der in Leipzig beheimateten Produktionsfirma ma.ja.de. Fiction produziert wurde. Wir freuen uns sehr, dass er es so weit gebracht hat. „Sieger sein“ ist aus der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ definitiv mein Lieblingsfilm. Ich habe die Reihe früher beim MDR mit betreuen dürfen. Soleen Yusef erzählt ein relevantes Thema, ihre Lebensgeschichte, sehr divers, emotional, humorvoll und mit Tiefgang zugleich. Ich habe selten eine so euphorische und euphorisierende Premiere erlebt wie diese auf der Berlinale. Ich hoffe, dass der Film eine große Kinokarriere vor sich hat und von ganz vielen Zuschauenden gesehen wird. Originäre deutsche Kinderstoffe haben es bekanntermaßen nicht einfach. Und schlussendlich „Sophia, der Tod & ich“ ist ein sehr origineller, großartig besetzter und gespielter Film und hätte auch einen Preis verdient gehabt.
Sie sind nun fünf Monate im Amt: Haben Sie sich gut eingelebt? Was waren Ihre ersten Schritte, Amtshandlungen?
André Naumann: Gut eingelebt habe ich mich auf jeden Fall, nach einem langen Entscheidungs- und Auswahlprozess, der sich fast über ein Jahr hinzog. Natürlich bringt mein neuer Posten auch viele große Herausforderungen mit sich. Ich will etwas bewegen, verändern und da habe ich mir eine ausgesprochen schwierige Zeit „ausgesucht“. Ich komme von der ARD-Reform in die große Filmförderreform hinein, einhergehend mit dem Harmonisierungsprozess der Regionalförderer. Das Basisgeschäft, die Kerntätigkeit der MDM, war für mich keine große Überraschung, weil ich über 13 Jahre lang als Mitglied im Vergabeausschuss saß und auch weil ich das Filmgeschäft von der Pike auf gelernt und Film schon immer geliebt habe. Ich hatte und habe einfach Lust auf diese Herausforderung. Erstaunlich war für mich allerdings, auf wie vielen Nebenschauplätzen die MDM neben dem klassischen Fördergeschäft aktiv ist.
Spotlight:
André Naumann
Der gebürtige Leipziger studierte Film- und Fernsehwirtschaft sowie Medienmanagement an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF und war zunächst beim Deutschen Fernsehfunk und dem NDR tätig. 1992 erfolgte der Wechsel zum neu gegründeten MDR. Dort war er in verschiedenen Funktionen und Führungspositionen tätig, so seit 2009 als Herstellungsleiter und Chef-Producer in der Programmdirektion in Leipzig. In dieser Zeit verantwortete er zahlreiche Film- und Fernsehproduktionen mit, unter anderem die preisgekrönten Dramen „Lotte am Bauhaus” und „Nackt unter Wölfen”, die ARD-Event-Serie „Charité”, zahlreiche „Tatorte” sowie Serien wie „In aller Freundschaft”. André Naumann war in einer Reihe von Arbeits- und Verhandlungsgruppen der ARD und der Produktionsallianz tätig und seit 2010 Mitglied im Vergabeausschuss der MDM.
Welche Nebenschauplätze meinen Sie?
André Naumann: Aktivitäten im Bereich Standortentwicklung, Serviceleistungen der Film Comission, aber auch Themen wie Fachkräfte, Ausbildung und Nachwuchs, Festivals und Messen, das Pflegen europaweiter Kontakte der Medienbranche und so weiter. Inzwischen begleiten und beraten wir ja auch Filmproduktionen, die nicht gefördert wurden. Diese Angebote kosten viel Kraft, sind personal- und zeitintensiv und sind viel zu wenig bekannt. Das will ich ändern. Ich bin mir sicher, dass mir das mit dem tollen Team der MDM, das mich mit offenen Armen aufgenommen hat, auch gelingen wird. Ich fühle mich dort sehr wohl, ein bisschen wie in einer gut funktionierenden Familie.
„Made in Mitteldeutschland“ soll nach Ihrem Wunsch zum Gütesiegel einer gesamtdeutschen und europäischen Film- und Medienlandschaft werden. Sehen Sie denn auch finanzielle Spielräume, um dies zu erreichen?
André Naumann: Wir haben ein nicht unbeträchtliches Budget. Mit über 18 Mio. Euro im Jahr liegen wir bei den deutschen Länderförderern derzeit an vierter Stelle, freilich mit einem deutlichen Abstand zu den großen Drei FFF Bayern, Medienboard und der Filmstiftung NRW. Erst 2023 hatten unsere Gesellschafter den Etat noch einmal aufgestockt. Ich glaube aber, uns fehlt noch sehr an Kommunikation und Firmenportfolio. Mitteldeutschland hat nicht die großen Player aus dem Produktionsbereich. Es gibt den MDR als den großen Auftraggeber, aber hier bei uns sitzen keine Bavarias oder Constantins. Wobei ich mit einigen großen Unternehmen gerade im Austausch bin, um sie auch für Mitteldeutschland zu gewinnen, nicht als Briefkasten, sondern als echte Niederlassungen mit Geschäftsführer und Angestellten, die sich möglichst im Ausbildungsbereich engagieren, etwas für die Region tun. Wir haben in den drei Ländern zwar viele mittelständische Firmen und Unternehmen, die Ausbildungsmöglichkeiten bieten, auch viele Fortbildungsmaßnahmen im Medienbereich. Aber es ist doch auch sehr zerfasert, kleinteilig. Die meisten Produktionsunternehmen im Film- und Medienbereich sind dank Hilfsmaßnahmen ganz gut durch Corona durchgekommen. Aber die Herausforderungen kommen jetzt erst. Das Problem ist, dass all diese Firmen keine großen finanziellen Rücklagen haben. Mein Ziel ist es, „Made in Mitteldeutschland“ als Marke zu etablieren, über die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hinweg.
Und darin dürfte wiederum die Herausforderung liegen…
André Naumann: Wir haben nicht den einen zentralen Hauptstandort, sondern haben viele Standorte über drei Länder verteilt. Kommunikation ist hier das A und O. Gut angenommen wird unsere Gründerinitiative MEDIAstart, die nach drei Jahren langsam aus den Kinderschuhen herauswächst. Wir haben keine Filmhochschule in der Region, müssen uns anders speisen mit Talenten. Immerhin gibt es die angesprochenen zahlreichen Ausbildungsstätten, die zu Berufen mit Medienbezug ausbilden. Die Koordinierung der Bereiche Ausbildung/Entwicklungsmaßnahmen/Fachkräfte ist aufgrund der Kleinteiligkeit eines meiner Hauptziele. Wir werden diese Bereiche hoffentlich bald übergeordnet koordinieren können.
BKM Claudia Roth hat beim Deutschen Filmpreis noch einmal bekräftigt, dass sie engagiert am Vier-Säulen-Modell arbeitet. In der Branche herrscht größtmögliche Einigkeit in der Frage, dass eine strukturelle Reform notwendig ist. Wie ist Ihre Sicht der Dinge?
André Naumann: Der Realitätscheck sagt mir: Die FFG-Novelle wird es geben, weil das derzeitige Gesetz ein „Ablaufdatum“ hat. Das ist ein Gesetzgebungsverfahren, das zum 1. Januar 2025 abgeschlossen sein muss. Diese Reform birgt nicht sehr viele Überraschungen, vieles war seit längerem in der Branche bekannt. Sie beendet die selektive Förderung fast vollständig. Die Neusortierung der BKM-Förderung soll unter der Regie der FFA stattfinden. Die Säulen Anreizmodell und Investitionsverpflichtung werden aber vermutlich nicht zum 1. Januar 2025 passieren. Das sagen Fachleute in der Politik, in den Ländern, einfach weil die Gesetzgebungsverfahren länger dauern. Wenn wir Glück haben, wird es Mitte 2025 so weit sein. Außer Frage steht, dass diese beiden Säulen unabdingbar sind. Die Streamer müssen via Investitionsverpflichtung zur Kasse gebeten werden, weil deren Investitionen massiv nachlassen. Auf die öffentlich-rechtlichen Sender bezogen, die ja schon in die Regionalförderungen einzahlen, wäre meine Forderung, dass es Anrechnungen aller Leistungen gibt. Bezüglich des Steueranreizmodells mit Investitionsverpflichtung weiß ich nicht, ob man damit die ganz großen Produktionen nach Deutschland locken kann. Den Wettstreit, wer den höchsten Incentive bietet, kann man nicht gewinnen und sollte man auch nicht führen. Wichtig ist, die Förderung differenziert wahrzunehmen. Es gibt nicht nur Mainstream, es gibt auch Arthouse, Kinderfilm oder Animationsfilm, die ganz andere Bedürfnisse haben. Und eben auch Länder- und Regionalförderer, auch die haben nicht alle identische Schwerpunkte und Ziele. Auch ist es schwierig, als einzige Messgröße immer nur das Geld und Kosten zu nehmen. High-End-Serien und Premiumfilme werden nur über Budgets definiert, was wiederum impliziert, dass Film teuer sein muss, um gut sein zu können. Das finde ich den falschen Ansatz.
In Deutschland wird das föderale System die größte Hürde sein…
André Naumann: Das französische Modell wurde uns im Zuge der Förderreform immer wieder erklärt. Aber es ist schwer übertragbar. Frankreich hat Paris in der Mitte, ist in kultureller Hinsicht politisch zentral gesteuert. In Deutschland liegt die Kulturhoheit bei den Ländern. Auch das österreichische Modell wurde für Deutschland hochgerechnet. Da kämen unendliche Summen raus, weil der Markt hier viel größer ist. Es ist nicht ganz einfach. Ich bin ein großer Fan der Demokratie und in der aktuellen Situation mehr denn je Fan des Föderalismus. Föderalismus mag anstrengend sein und viel Geld kosten. Das Anstrengende steckt aber im Kern der Demokratie. Das ist auch eine Qualität und für mich alternativlos, um das geschundene Wort zu benutzen.
Wie stehen Sie zu Klagen, die Öffentlich-Rechtlichen würden zu wenig für den Kinofilm tun – sowohl monetär wie mit Sendeplätzen?
André Naumann: Das ist eine Frage der Bewertung. Vom Grundsatz her liegt die Wahrheit in der Mitte. Es gibt zwar viele Sender-Beteiligungen, aber es dürften gern mehr sein. Der Grund, warum es in den letzten Jahren weniger wurde, hat mit der Programmpolitik und Planbarkeit zu tun. Ein Film, der fürs Fernsehen produziert wird, kann sendeplatzbezogen produziert werden. Von vornherein ist klar, wann der wie läuft. Bei einem Kinofilm ist der Sender in der Auswertungskette hingegen weit hinten, egal, wie viel der Sender bezahlt hat. Ein Kinofilm ist deshalb aus Sendersicht eine Investition mit Unbekannten und Einschränkungen, zumindest was den Programmeinsatz betrifft. Natürlich müssten sich die Sender mehr engagieren beim Kinofilm. Wir stehen mit dem MDR diesbezüglich auch in Gesprächen und ich bin da optimistisch. Doch wenn das Geld allgemein knapper wird, leiden eher Kinoproduktionen, weil sie nicht uneingeschränkt programmierbar und oft nicht im Sinne der Repertoirefähigkeit sind. Ein „Tatort“ kann dagegen problemlos tausendmal gesendet werden. Der MDR und die MDM verfolgen im Schulterschluss das Ziel, die Region zu stärken, und arbeiten aktuell an Aktivitäten, das den ansässigen Produktionsfirmen zugutekommt.
Eine Förderanstalt wie die MDM wird von öffentlicher Hand finanziert: Gesellschafter der MDM sind der Freistaat Sachsen, das Land Sachsen-Anhalt, der Freistaat Thüringen, der MDR sowie das ZDF. Am 1. September stehen Landtagswahlen an, die Umfrageergebnisse sind erschreckend, sowohl in Thüringen als auch Sachsen liegt die AfD in diesen Umfragen vor der CDU. Wie gehen Sie damit um?
André Naumann: Die MDM hat fünf Gesellschafter, das ist ein zutiefst demokratisches Prinzip. Ein einzelner kann da noch nicht viel bewirken. Die Gesamtentwicklung ist natürlich besorgniserregend, und ich denke sehr viel drüber nach. Aber ich würde dennoch nicht so schwarzmalen. Die MDM ist sehr klar demokratisch und föderal strukturiert und das ist nicht über Nacht änderbar. Ich werde alles daransetzen, dass es auch bei uns „bunt“ bleibt.
Die MDM ist im Einsatz für die Belange der mitteldeutschen Medienbranche: Welches sind aktuelle Belange neben der anstehenden Filmförderreform? Welche Ziele haben Sie sich mittelfristig gesetzt?
André Naumann: Mit liegt die Stärkung und der Ausbau der mittelständischen Produzentenlandschaft am Herz. In der aktuellen Förderrunde müssen wir uns einer wahren Antragsflut erwehren. Wir haben fast das Doppelte an Anträgen und freuen uns besonders, dass auch die großen Produktionsfirmen wieder dabei sind und bei uns drehen wollen. Ebenso stärken möchte ich den Games-Bereich, der sehr schön wächst und gedeiht, sowie die angesprochene Strukturierung im Bereich Ausbildung/Nachwuchs/Fachkräfte angehen. Intern gibt es ebenfalls viel zu tun. Mein internes Hauptaugenmerk liegt auf der Digitalisierung der Prozesse, die parallel zum großen Harmonisierungsprozess der Regionalförderer läuft, was keine einfache Aufgabe sein wird. Im Juli gibt es hierzu ein Treffen mit den Kolleg:innen der anderen Förderungen. Auch das wird ein Kraftakt für die nächsten Jahre.
Wie ist es um die Kinolandschaft in Mitteldeutschland bestellt? Welche Möglichkeiten haben Sie da?
André Naumann: Insgesamt bleibt es eine Herkulesaufgabe unsere Region in der Fläche zu stärken. Es gibt Standorte wie Leipzig, die fantastische Wachstumsprognosen haben. Auf dem Land oder in kleineren Städten sieht es anders aus. Diese sind sehr schwer mitzunehmen. Die MDM vergibt ja seit vielen Jahren die Kinoprogrammpreise, die während der Coronazeit mehrfach erhöht wurden. Nun hat der Aufsichtsrat zugestimmt, hier noch mal nachzulegen und die Kinoprogrammpreise zu erhöhen damit wir mehr Spielstätten unterstützen können. Die Arthousekinos und alternativen Spielstätten haben es nicht nur bei uns schwer. Die Unterstützung dieser Abspielstätten ist wichtig, auch vor dem Hintergrund, dass sie bei der aktuellen Förderreform nicht unbedingt die Begünstigten sind. Auch Aktivitäten unserer Film Commission, wie z.B. die Kinotour #rausinskino sind wichtig, um die ländlichen Regionen zu beleben und zu stärken. Auch das gehört zum demokratischen Dialog.
Das Gespräch führten Barbara Schuster und Thomas Schultze