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Trügerisches Plus

Im Rahmen ihres Vierteljahresberichts hat die SPIO die Zahl der Kino-Neustarts im ersten Quartal unter die Lupe genommen – und kommt auf den ersten Blick zu einem möglicherweise überraschenden Ergebnis. Bei dem der Blick auf den deutschen Film Probleme offenbart.

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Der aus 2023 geschobene „Dune: Part Two“ stärkte als Blockbuster mit mehr als drei Mio. Besuchen das erste Kinoquartal 2024 – das dennoch nur knapp an das Vorjahresniveau anknüpfen konnte. (Charts: © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc.)

Eigentlich herrscht mehr oder minder branchenweiter Konsens: Dass das Kinojahr 2024 nicht besser dasteht, als es das aktuell tut, hängt vor allem mit Lücken im Startkalender zusammen. Nun ja, damit – und mit einem von Wetterkapriolen geprägten April, der die Zahlen von einem Ende März nahezu erreichten Vorjahresniveau nach dem Wochenende der KW 17 auf ein Minus von gut zehn Prozent nach Besuchen gedrückt hatte.

Insofern mag überraschen, was die SPIO in ihrem Vierteljahresbericht feststellt: Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der neugestarteten Langfilme zwischen Januar und März gestiegen – und das um immerhin zehn Prozent. 

Nun könnte man angesichts der (berechtigten) Klagen über streikbedingte Verschiebungen der Studio-Titel annehmen, dieses Plus sei primär Filmen von außerhalb der USA geschuldet – läge damit allerdings falsch. Denn tatsächlich stiegen die von der SPIO gezählten Erstaufführungen von US-Langfilmen gegenüber dem Vorjahr von 21 auf 27 – und damit immerhin um fast 29 Prozent. Gibt es den Streikeffekt also am Ende gar nicht?

Das wäre tatsächlich ein Trugschluss. Nicht nur, weil sich die Schockwellen der Verschiebungen über das gesamte laufende Jahr (und darüber hinaus) ziehen. Sondern auch, weil es nicht zuvorderst um quantitative Lücken geht – sondern um die eher überschaubar besetzte Riege der echten Tentpoles. Von denen, das muss allerdings auch erwähnt werden, das eine oder andere vom Vorjahr in das erste Quartal gewandert war. 

Tatsächlich war laut Comscore der letzte Februar (dem die erste Spielwoche von „Dune: Part Two“ zugeschlagen wurde) sogar stärker als 2023, der März nur wenig schlechter (und dabei noch besser als der März 2019!). Boden verloren wurde vor allem im Januar – was letztlich auch eine Folge des nicht optimal besetzten Weihnachtsgeschäfts war, so wacker sich vor allem „Wonka“ und „Raus aus dem Teich“ als Langläufer auch geschlagen hatten.

Erstaufgeführte Langfilme nach Monaten

Zeitraum20202021*202220232024
Januar63264240
Februar56304948
März27343348
Gesamt14690124136
Quelle: SPIO; *keine Angaben aufgrund des Lockdowns

Zu beachten gilt es zudem: Wenn von „Lücken“ in den Startlisten die Rede ist, bezieht man sich auf ein vorpandemisches Niveau. Denn der Vergleich von 2024 mit den Vorjahren hinkt insofern, als diese ihrerseits schon von Produktionsunterbrechungen und Startverschiebungen gezeichnet waren. Nur dass es (vom zweiten Halbjahr 2023 einmal abgesehen) dort um pandemie-, und nicht um streikbedingte Effekte ging. Knackpunkt ist: An sich wäre es kein Drama, das Vorjahresniveau gehalten zu haben. Das gelang im ersten Quartal 2024 zumindest nach Besuch beinahe, bevor die Zahlen im April einbrachen. Und es stand nach Umsatz nie zu erwarten, nachdem es an einem singulären 3D-Hit wie „Avatar: The Way of Water“ fehlte, der nicht nur ungeahnte Massen in die Kinos zog; sondern der dies vor allem zu einem überdurchschnittlich hohen Preis tat. Aber: Noch ist der Kinomarkt in einer Phase, in der Wachstum gefragt ist, um zumindest wieder an die Zahlen der Jahre vor 2020 anknüpfen zu können.

Dass dieses Wachstum möglich ist, hat sich 2023 aufs Neue wiederholt erwiesen. (Noch) nicht beim Blick auf die Gesamtjahreszahlen. Aber auf einzelne Monate. Und vor allem auf einzelne Filme. Selbstverständlich ist es schwierig (bis schier unmöglich), zu prognostizieren, was konkrete Titel vor der Corona-Zäsur an Zuspruch erfahren hätten; zudem lässt sich nicht leugnen, dass 2023 eine ganze Reihe an Enttäuschungen zu bieten hatte. Ein entscheidender Indikator für Wachstumsperspektiven ist allerdings, dass eine beeindruckende Reihe an Sequels die Ergebnisse ihrer vor 2020 gestarteten Vorgänger übertreffen konnte; teils sogar sehr deutlich.

Nicht zu vergessen ist: Obwohl 2020 Mitte März ein bundesweiter Lockdown ausgerufen wurde, der keine Kino-Neustarts mehr zuließ, wurden in jenem Jahr für das erste Quartal unter dem Strich noch zehn Erstaufführungen mehr gezählt als 2024. Auch dies zur Relativierung jener zehn Prozent, um die das Angebot an Neustarts zuletzt wuchs.

Erstaufgeführte Langfilme nach Herstellungsland

Herstellungsland20202021202220232024
Deutschland55244942
Frankreich9101513
Großbritannien7447
USA29202127
sonst. EU-Länder10131216
Andere Länder36192331
Gesamt14690124136
Quelle: SPIO; *keine Angaben aufgrund des Lockdowns

Interessant ist aber nicht zuletzt der Blick auf den deutschen Film. Denn entgegen dem allgemeinen Trend ging die Zahl der Erstaufführungen, die die SPIO Deutschland zuordnet (dass es damit auch so eine Sache sein kann, zeigt die Aufhübschung des deutschen Marktanteils durch die Aufnahme minoritär deutscher Koproduktionen in die entsprechende FFA-Auswertung), zurück. Um immerhin 14 Prozent und auf ein Niveau, das um knapp 24 Prozent unter jenem aus 2020 lag. Was umso schwerer wiegt, als sich die 2023 noch einmal deutlich zugenommenen Klagen über Auftragsrückgänge und schwindendes Sender-Engagement womöglich erst noch so richtig in den Startzahlen niederschlagen werden.

Ergänzend muss auch erwähnt werden: Die Zahlen, die Comscore zu den Neustarts veröffentlicht, weichen teils massiv von jenen ab, die die SPIO veröffentlicht. Tatsächlich sieht Comscore (wo man sich an Spiel- und nicht an Kalenderwochen orientiert, was teilweise Erklärung für die Diskrepanz ist) im ersten Quartal sogar einen minimalen Rückgang der Anzahl an Neustarts gegenüber 2023. Was sich aber auch aus den Bilanzen der Münchner Zahlenexperten ablesen lässt: Das Startniveau aus 2019 ist noch nicht wieder erreicht (nach Comscore-Zählung wird das sehr viel deutlicher als nach SPIO-Zählung). Insbesondere nicht beim deutschen Film, für den es 2024 sogar abwärts ging. Nach Comscore-Zählung (37 Neustarts ggü. 58 im ersten Quartal 2023) steil und auf ein Niveau, das sogar unter jenem aus 2022 lag. Eine Entwicklung, die es unbedingt im Auge zu behalten gilt. Egal, welcher Zählweise man folgt.